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#182: Wie gelingt die zügige und eindeutige MS-Diagnose?

Im heutigen Beitrag geht es um die Untersuchungen, die am Anfang der Diagnose Multiple Sklerose stehen. Natürlich gibt es sehr eindeutige Fälle, die eine so typische und klar erkennbare MS mit Krankheitsschüben haben, dass es leichtfällt, die richtige Diagnose zu stellen.

Aber es gibt eben auch schwierigere Fälle, wo es nicht so eindeutig ist. Und bemerkenswert viele Erkrankungen können zumindest für eine gewisse Zeit der Multiplen Sklerose sehr ähnlich erscheinen.

Aus diesem Grund haben wir auch ein komplettes Modul lang im Multiple Sklerose Management Studium Vorlesungen zu den einzelnen Untersuchungen und anderen Erkrankungen von denen es die MS abzugrenzen gilt.

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Inhaltsverzeichnis

Warum ist es so wichtig, eine frühzeitige korrekte Diagnose zu stellen?

Multiple Sklerose ist eine chronische Erkrankung, die ohne Eingreifen kontinuierlich voranschreitet. Wie schnell und aggressiv MS vorliegt, variiert von Person zu Person und hängt auch vom eigenen Lebenswandel ab und Komponenten, die wir heute noch nicht genau wissen und ich deshalb hier als Glück oder Pech bezeichne.

Fakt ist, dass eine schnelle präzise Diagnose die Basis bildet, um dann über die beste Strategie nachzudenken und zu entscheiden, was der Multiplen Sklerose entgegengesetzt werden kann. Denn je eher man ins Geschehen eingreift, desto besser sieht die Langzeitprognose aus. Schließlich zerstören die Entzündungen im Gehirn Myelin und je eher das verhindert wird, umso besser. Denn dann bleibt die neurologische Reserve länger erhalten. Und vermutlich ist es für viele eine ganz andere Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören oder sich mehr zu bewegen, wenn klar ist, dass das einen positiven Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung hat.

Was bedeutet eigentlich Differentialdiagnose?

Wenn ein Patient zum Arzt kommt, macht er das, weil ihm etwas Neues aufgefallen ist und er darunter eine Einschränkung oder eine Verschlechterung in seinem Alltag erfährt. Die Intensität soll hier keine Rolle spielen. Diese Veränderung bezeichnet man im Rahmen einer Erkrankung als Symptom.

Nun sind Symptome selten absolut spezifisch. Ich kann beispielsweise Kopfschmerzen haben, weil ich mir den Kopf gestoßen habe, unter Schlafmangel leide, dehydriert bin aufgrund erhöhten Alkoholkonsums, weil ich einen Sonnenstich habe und so weiter. Der Arzt wird also je nach Beschreibung seines Patienten Untersuchungen vornehmen und Fragen stellen, um die Ursache einzugrenzen und der vor ihm sitzenden Person zu helfen.

Nun gibt es bei Multipler Sklerose wirklich viele andere Erkrankungen, die zumindest im Anfangsstadium der MS ähneln können. Aus insgesamt neun ursächlichen Richtungen gilt es andere Erkrankungen abzugrenzen.

Wie bereits erwähnt beschäftigen wir uns im Multiple Sklerose Management Studium über viele Vorlesungen hinweg mit der korrekten Diagnose und Abgrenzung zu anderen Erkrankungen. An der Stelle möchte ich auch nochmal betonen, dass Ärzte zu Recht sechs Jahre lang studieren und dann noch mehrere Jahre eine Facharztausbildung machen. Der menschliche Körper ist komplex und Google weiß eben nicht wirklich besser Bescheid, als jemand der lange studiert hat, und weiterhin stetig an Fortbildungen teilnimmt.

Abzugrenzende Differentialdiagnosen

Um Dir eine kleine Idee davon zu geben, aus welchen Bereichen die anderen möglichen Erkrankungen kommen, nenne ich sie einmal:

  • entzündlich demyelinisierend: ADEM, Anti-MOG, NMOSD, IPANS (inflammatory pandemyelination syndrome)
  • infektiös: Borreliose, PML, HIV, Herpes zoster (Gürtelrose), COVID-19
  • autoimmun: Vaskulitis (Entzündung der Blutgefäße), Neurosarkoidose (seltene Komplikation der Sarkoidose einer systemischen Bindegeweserkrankung), etc.
  • vaskulär (Blutgefäße betreffend): Migräne, multiple Embolien, etc.
  • metabolisch (Stoffwechsel betreffend): Vitamin B 12 Mangel, Kupfermangel
  • neoplastisch (Neubildung von Gewebe im Körper – Krebs): ZNS-Lymphom, Gliome, Metastasen
  • Spinal (Rückenmark): Vaskuläre Malformationen (angeborene, gutartige Gefäßfehlbildungen), spinale Enge
  • Genetisch: Mukopolysaccharidosen (Körper fehlen Enzyme zum Abbau und Speichern komplexer Zuckermoleküle), Leukodystrophien (Stoffwechselkrankheiten der weißen Gehirnsubstanz), etc.
  • Psychosomatisch: Depression, chronische Schmerzstörungen, etc.

 

In den meisten Kategorien gibt es mehr Erkrankungen, ich habe nur Beispiele genannt. Und je nach Untersuchung können sie teilweise sehr schnell abgegrenzt werden. Für die Ärzte gilt dabei immer der Grundsatz, dass die Diagnose die wahrscheinlich Zutreffendste sein sollte und keine andere Erkrankung wahrscheinlicher sein sollte. Denn seltene Erkrankungen kommen selten vor und häufige Erkrankungen oft.

Daher bitte nicht beschweren, wenn Du Untersuchungen oder Tests machen sollst, die nicht zu Deiner Erwartungshaltung der Diagnose passen. Der Arzt hat lange studiert, liest nach und bespricht sich womöglich auch mit Kollegen, um die richtige Diagnose zu stellen. Und er wird normalerweise beim wahrscheinlichsten anfangen und solange weiter suchen bis die Ergebnisse mit Diagnosekriterien übereinstimmen.

Bei MS ist Migräne ein typisches Beispiel für die Abgrenzung. Migräne kommt viel häufiger vor als MS und niemand soll Medikamente gegen die MS bekommen, der „nur eine Migräne“ hat. Dabei möchte ich Migräne nicht kleinreden. Es geht mir hier wirklich darum, dass Fehldiagnosen zu Fehlbehandlungen und womöglich unnötigen Medikamentengaben führen, die teuer und nutzlos sind und auf das eigentliche Problem gar keinen Einfluss haben.

MS-Diagnose auf Basis der McDonald-Kriterien

Um eine Krankheit sicher diagnostizieren zu können, bedarf es also einer spezifischen Definition. Da Multiple Sklerose sehr komplex und vielschichtig ist, gibt es nicht den einen Test oder das eine Kriterium, sondern es geht viel mehr um eine Summe aus Ergebnissen, die dann zur Diagnose führt. Über die Jahrzehnte und die dabei immer größer gewordene Menge an Wissen rund um die MS konnten diese Kriterien immer mehr verfeinert werden.

Heutzutage werden meist die McDonald-Kriterien genutzt, um eine MS zu diagnostizieren, die nach dem neuseeländischen Neurologen William Ian McDonald benannt sind. Diese Kriterien werden kontinuierlich verfeinert, was zu einer immer früheren Diagnosestellung führt, aber auch die Gefahr erhöht versehentlich eine MS diagnostiziert zu bekommen, obwohl man eine andere Erkrankung hat.

Deshalb bleibt der Gesamteindruck wichtig, zu dem der klinische Befund, die MRT-Auswertung, der Liquorbefund und paraklinische Ergebnisse, die mithilfe von Apparaturen oder technischen Geräten erhoben werden, gehören.

Bereits 1877 definierte der französische Neurologe Jean-Martin Charcot die MS als eine Erkrankung die

„…. zeitlich disseminierte Läsionen in einer Vielzahl unterschiedlicher anatomischen Regionen ….“

aufweist. Also Entzündungen, die an unterschiedlichen Stellen im Gehirn und / oder Rückenmark zu unterschiedlichen Zeiten auftreten. Das ist bis heute die grundlegende Definition geblieben. Mittlerweile kann man aber dank der MRT und anderer Untersuchungen diese zeitlich und örtlich unterschiedlichen Entzündungen besser feststellen, auch wenn sie der betroffenen Person noch keine spürbaren Probleme verursachen.

Typische MS-Symptome zum Zeitpunkt der Diagnose

Zu den typischen MS-Symptomen zählen:

  • Sensibilitätsstörungen (Hypästhesie),
  • unkontrollierbares Zittern, meist der Augen (Nystagmus),
  • gestörte Bewegungskoordination (Ataxie),
  • Sehnerventzündung (Optikusneuritis),
  • Lähmungen (Paresen),
  • erhöhte Eigenspannung der Muskulatur (Spastik),
  • Blasenstörungen und
  • Depression.

 

Natürlich gibt es noch weitere Symptome. Falls seltene MS-Symptome am Anfang einer Diagnose stehen, ist definitiv Vorsicht geboten, da es sich vielleicht doch um eine andere Erkrankung handeln könnte.

Zur Bedeutung der MRT für die MS-Diagnose

Es gibt typische Bereiche im zentralen Nervensystem, die bei einer MS Läsionen aufweisen und auch die Form der Entzündungsherde gibt Hinweise darauf, wie wahrscheinlich eine MS oder andere Erkrankung vorliegt.

Ganz simpel erklärt, gelten das Gehirn und Rückenmark als unterschiedliche Regionen. Das Gehirn splittet sich allerdings noch weiter auf, wenn es um räumlich unterschiedliche Bereiche geht. Falls Du es mal mit Deinem MRT-Befund abgleichen willst, findest Du womöglich folgende Angaben für die Lage der Entzündungen:

  • Periventrikulär
  • Optisches System
  • Rückenmark
  • Hirnstamm
  • Kortikal/subkortikal

 

Eine zeitliche Unterscheidung ist gegeben, wenn im gleichen MRT eine oder mehrere Läsionen Kontrastmittel aufnehmen und andere nicht.

Liquorbefund aus der Lumbalpunktion und Oligoklonale Banden

Oligoklonale Banden, kurz OKB genannt, können bei bis zu 95% aller MS-Patienten nachgewiesen werden. Dafür ist eine Lumbalpunktion nötig, also die Entnahme von Nervenwasser. Das geschieht dort, wo sich kein Rückenmark mehr befindet. Du musst also keine Angst vor der Untersuchung haben. Ich empfand es damals als ein ekliges Gefühl, als mir die 10 bis 15 ml Nervenwasser entnommen wurden. Es tat aber nicht weh. Ich habe damals, wie empfohlen extrem viel Wasser in kurzer Zeit getrunken habe und zu Beginn still gelegen. Außer einem ungewollten Zucken der Beine, was noch am selben Tag etwas später vorüber ging, hatte ich keinerlei Nebenwirkungen.

Aber bitte wirklich sehr viel trinken und das zackig nach der Behandlung, und zwar am besten stilles Wasser oder sehr dünnen Tee. Das ist eine gute Prophylaxe gegen mögliches Kopfweh.

Übrigens treten oligoklonale Banden auch bei anderen Erkrankungen auf. Wenn sie nicht vorhanden sind, ist das untypisch für eine MS, aber nicht ausgeschlossen. Und sie können in Bezug auf die Diagnose als für die Aktivität der MS zu einem früheren Zeitpunkt gewertet werden.

Elektrophysiologie zur MS-Diagnose (Evozierte Potenziale - VEP, SEP, MEP)

Bei den evozierten Potenzialen, die man visuell (VEP, somatosensibel (SEP oder SSEP) und motorisch (MEP) messen kann, werden ganz vereinfacht Reize an einer Stelle ausgesandt und über Elektroden gemessen, wie schnell sie den Weg zurücklegen und ob es Unterschiede gibt. Also ganz konkrete bei den visuell evozierten Potenzialen schaut man auf einen Bildschirm mit einem Schachbrettmuster, dessen Anordnung sich immer wieder ändert. Und die Elektroden auf dem Kopf messen, wann die Information ankommt und ob es Unterschiede zwischen dem linken und rechten Auge gibt. Denn bei einer Sehnerventzündung bei MS ist in aller Regel nur ein Auge betroffen. Durch diesen Test und die beiden anderen, SP und MEP, kann man, sofern vorhanden, eine Auswirkung der Läsion nachweisen. Dazu muss es aber auch eine passende Läsion im MRT-Befund geben. Sonst liegt eine andere Ursache vor.

Blutuntersuchungen - was das Serum alles hergibt

Das Blut auch Serum genannt ist ebenfalls interessant. Es muss für den Abgleich mit der Lumbalpunktion ohnehin erhoben werden. Aber es kann auch nach Antikörpern geschaut werden, ob ein Vitamin-B12-Mangel vorliegt und vieles mehr. Falls mehrere Röhrchen Blut abgenommen werden oder Du mehrfach Blut entnommen bekommst, versuche es positiv zu sehen, denn Deine Ärzte wollen erst die richtige Diagnose stellen, um Dich dann bestmöglich zu behandeln.

Weitere Untersuchungen zur Differentialdiagnose bei MS

Je nachdem welche Erkrankungen wahrscheinlich sind, sollst Du vielleicht auch Urin abgeben oder andere Tests und Untersuchungen durchführen lassen. Wenn Du neugierig bist, dann frag bei Deiner Ärztin oder Deinem Arzt nach, warum diese Tests sinnvoll sind, und recherchiere nicht auf eigene Faust im Internet. Meist werden Dir durch die Suchmaschinen ohnehin die gruseligsten Möglichkeiten angezeigt und nicht die wahrscheinlichsten.

Zitiert aus Patientenleilinie MS

Kriterien für eine eindeutige MS-Diagnose im schubförmig remittierenden Verlauf

Doch wann steht nun eigentlich eine gesicherte MS-Diagnose? Eine gut aufbereitete Darstellung verschiedener Optionen findest Du in der Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten, die den McDonald-Kriterien von 2017 folgt. Ich fasse die wichtigsten Aussagen zusammen, die ich der Erklärung der eben genannten Patientenleitlinie entnommen habe und hier zitiere.

Folgende Kriterien werden für die MS-Diagnose im schubförmigen Verlauf genutzt:

  • aufgetretene Schübe
  • Auffälliger Befund in der ärztlichen Untersuchung [neurologische Untersuchung, je nach Symptom weitere Untersuchungen wie Evozierte Potenziale (visuell – VEP, motorisch – MEP, somatosensibel – SEP oder SSEP), eher selten Optische Kohärenztomographie (OCT)
  • MRT-Befund möglicherweise mit zeitlicher und räumlicher Dissemination 
  • Oligoklonale Banden (OKB) im Nervenwasser
  • Ausschluss anderer Diagnosen

Für eine MS-Diagnose müssen aber nicht alle Werte auffällig sein, sondern eine Mindestsumme erreicht werden, was verschiedene Kombinationen erlaubt. 

Wichtig: MS-Diagnose – der Normalfall

Normalerweise erhältst Du eine MS-Diagnose, wenn Du MS-typische neurologische Beschwerden und klinische Befunde hast, Dein MRT passende Läsionen zeigt und andere Erkrankungen ausgeschlossen wurden. Veränderungen im Nervenwasser treten bei bis zu 95% der Betroffenen auf und unterstützen die Diagnose, sind aber nicht notwendig. Auch andere Untersuchungen können Hinweise liefern, ob es isch um eine MS oder eine andere Erkrankung handelt.

Beispielfall aus der Patientenleitlinie, der verschiedene Möglichkeiten der MS-Diagnose aufzeigt

Stell Dir folgende Situation vor: Eine 32-jährige Frau geht zum Neurologen, weil sie seit zwei Tagen auf dem rechten Auge nicht mehr richtig sehen kann. Sie hat keine Vorerkrankungen und bisher nie neurologische Beschwerden gehabt. Der Neurologe findet in der Untersuchung eine Sehverschlechterung (= auffälliger Untersuchungsbefund) und stellt die Verdachtsdiagnose Sehnerventzündung (= Schub). Er veranlasst die bei MS-Verdacht empfohlenen Untersuchungen (s.o.).

Szenario 1

Im MRT sind MS-typische Läsionen im Gehirn und Rückenmark zu sehen (= räumliche Dissemination), zwei dieser Läsionen nehmen Kontrastmittel auf, eine nicht (= zeitliche Dissemination). Im Nervenwasser sind Oligoklonale Banden (OKB) nachweisbar. Es gibt keinen Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Erkrankung. Der Neurologe stellt die Diagnose einer MS.

Szenario 2

Im MRT sind MS-typische Läsionen im Gehirn und Rückenmark zu sehen (= räumliche Dissemination), zwei dieser Läsionen nehmen Kontrastmittel auf, eine nicht (= zeitliche Dissemination). Im Nervenwasser sind keine Oligoklonalen Banden (OKB). Es gibt keinen Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Erkrankung. Der Neurologe stellt die Diagnose einer MS.

Szenario 3

Im MRT sind MS-typische Läsionen im Gehirn und Rückenmark zu sehen (= räumliche Dissemination), keine der Läsionen nimmt Kontrastmittel auf (Kriterien der zeitlichen Dissemination sind nicht erfüllt!). Im Nervenwasser sind keine Oligoklonalen Banden (OKB). Es gibt keinen Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Erkrankung. Es wird der Verdacht auf eine MS geäußert (vorerst Diagnose KIS = Klinisch isoliertes Syndrom).

In der Kontroll-MRT sechs Monate später sind zwei neue Läsionen sichtbar (= zeitliche Dissemination). Nun stellt der Neurologe die Diagnose einer MS.

Szenario 4

Im MRT sind MS-typische Läsionen im Gehirn und Rückenmark zu sehen (= räumliche Dissemination), keine der Läsionen nimmt Kontrastmittel auf (Kriterien der zeitlichen Dissemination sind nicht erfüllt!). Im Nervenwasser sind aber Oligoklonale Banden (OKB) nachweisbar. Es gibt keinen Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Erkrankung. Der Neurologe stellt die Diagnose einer MS.

Szenario 5

Im MRT sind MS-typische Läsionen im Gehirn und Rückenmark zu sehen (= räumliche Dissemination), keine der Läsionen nimmt Kontrastmittel auf (Kriterien der zeitlichen Dissemination sind nicht erfüllt!). Im Nervenwasser sind keine Oligoklonalen Banden (OKB). Es gibt keinen Hinweis auf das Vorliegen einer anderen Erkrankung. Es wird der Verdacht auf eine MS geäußert (zunächst Diagnose KIS = klinisch isoliertes Syndrom).

Ein Jahr später tritt ein eindeutiger zweiter Schub mit Lähmung des linken Beins auf, die der Neurologe in der Untersuchung auch feststellen kann (= 2. Schub; 2. auffälliger Untersuchungsbefund). Nun stellt der Neurologe die Diagnose einer MS.

Wichtig: Eine MS-Diagnose kann schon beim ersten Schubereignis gestellt werden

Wie in den Szenarien 1, 2 und 4 beschrieben, kann es sein, dass eine MS-Diagnose schon nach dem allerersten Schub gestellt wird. Nämlich dann, wenn im ersten MRT die Kriterien der räumlichen Dissemination erfüllt sind und zusätzlich eine zeitliche Dynamik nachgewiesen wird – und zwar entweder durch eine zeitliche Dissemination im MRT oder das Vorhandensein von Oligoklonalen Banden (OKB) im Nervenwasser.

Diagnosekriterien der sekundär progredienten MS

Für die sekundär progrediente MS gibt es leider nicht ganz so klare Diagnosekriterien. Eine gängige Definition ist folgende: Eine sekundär progrediente MS liegt dann vor, wenn bei einem Menschen mit gesicherter schubförmiger MS über sechs bis zwölf Monate eine langsame, klinisch objektivierbare Verschlechterung unabhängig von Schüben auftritt.

Diagnosekriterien der primär progredienten MS

Eine primär progrediente MS wird nach Ansicht der Expert*innengruppe diagnostiziert, wenn ein Mensch über mindestens ein Jahr langsam zunehmende MS-typische und klinisch objektivierbare neurologische Beschwerden hat und mindestens zwei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • mindestens eine Läsion in einer MS-typischen Hirnregion (periventrikulär, kortikal/juxtakortikal, infratentoriell)
  • mindestens zwei Läsionen im Rückenmark (d.h. „spinal“ = im Rückenmark gelegen)
  • Nachweis oligoklonaler Banden (OKB) im Nervenwasser.

MS-typische Bereiche für Entzündungen im zentralen Nervensystem

Es gibt verschiedene Erkrankungen, die Läsionen im Gehirn verursachen können. Als MS-typisch gelten diese nur, wenn sie in ganz bestimmten Bereichen des zentralen Nervensystems liegen: Kortikal/juxtakortikal (in oder an der Grenze zur Hirnrinde; grün), periventrikulär (an die Seitenventrikel grenzend; pink), infratentoriell (Hirnstamm und Kleinhirn; blau) und spinal (Rückenmark; orange). Auf dieser Abbildung sind die Ventrikel, natürliche Hohlräume in Inneren des Gehirns, gelb hinterlegt.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von TakePart Media.

Was unterscheidet einen MS-Verdacht von der Diagnose MS?

Es gibt immer wieder Menschen, bei denen einige, aber nicht alle Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt sind. Dann wird der Verdacht auf eine MS geäußert. Diese Verdachtsfälle lassen sich meistens die folgenden zwei Kategorien einteilen: klinisch isoliertes Syndrom oder radiologisch isoliertes Syndrom.

Klinisch isoliertes Syndrom (KIS, englisch auch CIS)

Wenn ein Mensch MS-typische Beschwerden, also einen Schub, hat und MS-typische Läsionen im MRT (räumliche Dissemination), sonst aber keine weiteren Kriterien für eine MS-Diagnose erfüllt sind, nennt man dies klinisch isoliertes Syndrom (KIS) (klinisch = durch ärztliche Untersuchung feststellbar, isoliert = einzeln, Syndrom = Krankheitsbild). Ein KIS kann der Beginn einer MS sein – muss es aber nicht.

Radiologisch isoliertes Syndrom RIS)

Es gibt auch Menschen, die eine MRT machen lassen, ohne MS-verdächtige neurologische Beschwerden zu haben (z.B. um Kopfschmerzen abzuklären) und bei denen dann durch Zufall MS-typische Läsionen gefunden werden. Das nennt man dann Radiologisch isoliertes Syndrom (radiologisch = im MRT sichtbar, isoliert = einzeln, Syndrom = Krankheitsbild). Auch ein RIS kann, muss aber nicht der Vorbote einer MS sein: In einer Studie mit knapp 500 RIS-Patient*innen entwickelte im Laufe von 10 Jahren etwa die Hälfte eine MS. Das Risiko eine MS zu entwickeln war höher

  • bei jungen Menschen (unter 37 Jahre)
  • wenn im Nervenwasser oligoklonale Banden gefunden wurden und
  • wenn die Läsionen an bestimmten Stellen waren (Kleinhirn, Hirnstamm, Rückenmark).

 

Bei Menschen mit RIS, die alle Risikofaktoren gleichzeitig hatten, war das Risiko deutlich höher: 87 von 100 entwickelten innerhalb von 10 Jahren eine MS. Lag keiner oder nur einer der Risikofaktoren vor, entwickelte nur etwa ein Viertel in diesem Zeitraum eine MS. Da es nur wenige vergleichbare Studien gibt, sind diese Werte aber nur als Schätzungen zu verstehen.

Zitatblock Patientenleitlinie Multiple Sklerose beendet

Zusammenfassung zur MS-Diagnose und Tipps

Ich hoffe, Du verstehst nun besser warum teilweise mehr oder weniger aufwendige Untersuchungen nötig sind. Und denk dran, unmittelbar nach einer Lumbalpunktion ganz viel Wasser oder dünnen Tee trinken, damit das Nervenwasser schnell ersetzt wird, was entnommen wurde. Das hilft dem Kopfweh vorzubeugen. Bei Blasenstörungen entsprechende Vorsorgemaßnahmen treffen, lies gern hier nach:

Die MRT-Untersuchung ist ebenfalls sehr wichtig, sowohl um eine sichere MS-Diagnose zu stellen, als auch um den Verlauf und die Wirksamkeit der verlaufsmodifizierenden Therapie zu überprüfen. Ich weiß, dass manche Menschen Angst davor haben, bitte ansprechen und dann kann zum Beispiel ein Beruhigungsmittel verabreicht werden. Mehr zur MRT findest Du in folgenden Beiträgen:

Und falls Du eben erst selbst die MS-Diagnose erhalten hast, habe ich noch ein paar Beiträge, die Dich interessieren könnten:

Vielen Dank an der Stelle nochmal an Prof. Dr. Matthias Mäurer für seine anschauliche Vorlesung zur Einführung in die MS-Diagnostik, an Prof. Dr. Jürg Kesselring für seine Vorlesung zur MS-Diagnostik im Laufe der Zeit, an PD Dr. Özgür Yaldizli für seine Vorlesung zu den aktuellen Diagnosekriterien nach McDonald 2017, sowie an die Deutsche Hirnstiftung für die Finanzierung und Dr. Insa Schifmann und Prof. Dr Christoph Heesen für die Erstellung der Patientenleitlinie Multiple Sklerose.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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