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#188: Über Philosophische Kinderbücher und das Leben mit MS. Interview mit Stefanie Hofmann-Hidde

Heute begrüße ich Stefanie Hofmann-Hidde zu Gast im Interview. Sie hatte 2003 eine Sehnerventzündung und erhielt wenig später die Diagnose Multiple Sklerose. Die Erkrankung verlief bei ihr sehr intensiv, sodass sie seit 2014 berufsunfähig ist.

Seit einigen Jahren widmet sie ihre Freizeit dem Schreiben und Illustrieren von philosophischen Kinderbüchern, für die sie auch Lesungen veranstaltet. Außerdem hat sie eine Tochter im Kleinkindalter, die ihr viel Freude bereitet.

Wir sprechen über ihren bisherigen Weg im Umgang mit der Erkrankung und ihre große Leidenschaft für Kinderbücher.

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Inhaltsverzeichnis

Vorstellung

Ich bin 2004 zum Weiter-Studieren nach Berlin gegangen, zusammen mit meinem damaligen Freund (der seit 2012 mein Ehemann ist) und liebe es, mir Geschichten für Kinder auszudenken.

Diagnose und aktueller Status

Wann erhieltest du die Diagnose MS und was war der Anlass dafür?

Alles begann 2003 mit einer Sehnerventzündung. Zu der Zeit habe ich noch in Kiel studiert. Und dann konnte ich irgendwie auf einem Auge nicht mehr gut gucken und alles am Auge tat weh. Ich habe das erst einmal ignoriert. Aber es wurde immer schlimmer und ich sah auf diesem einen Auge immer weniger. Also bin ich zum Augenarzt und der hat mich direkt ins Krankenhaus geschickt. Da war ich 10 Tage oder so und wurde dann mit „wahrscheinlich MS“ entlassen. In dem Moment war ich mir absolut sicher, dass ich MS habe.

Hattest du bereits vorher Symptome, die du rückblickend mit der MS zu tun hatten?

Das frage ich mich manchmal. Ich hatte als Kind einschießende Schmerzen im Fuß, was damals natürlich niemand besonders ernst genommen hat. Auch hatte ich nie ein besonders gutes Gleichgewicht. Aber jedes Kind ist anders, also denkt man sich nichts dabei. Also wer weiß…

[Anmerkung Nele: Multiple Sklerose verläuft bei Kindern leider meist sehr intensiv und diese Symptome deuten nicht auf eine MS in der Kindheit hin.]

Wie hast du die Diagnose aufgefasst und wie war es für dein Umfeld?

Offiziell habe ich die Diagnose erst ein Jahr später in Berlin bestätigt bekommen. Aber schon im ersten Jahr nach dieser ersten Sehnerventzündung hatte ich weitere Sehnerventzündungen, wechselnd auf beiden Augen. Und ich habe einfach nur gedacht: Kein Problem, mit Cortison geht ja alles wieder weg. Meine Eltern haben quasi gar nicht reagiert, als würde die MS dann wieder verschwinden. Und sonst habe ich es niemandem erzählt. Einerseits habe ich das Ganze nicht Ernst genug genommen, andererseits wusste ich, dass MS eine ganz schön ernste Sache ist und wollte wegen der Diagnose nicht in eine Schublade geschoben werden.

Wurden dir zu Beginn verlaufsmodifizierende Therapien empfohlen und wie hast du dich entschieden?

Die erste Therapie wurde mir erst 2004 in Berlin angeboten. Rebif 22. Da ich weiterhin Schübe hatte, wurde ich sehr schnell auf Rebif 44 hoch gesetzt. In Kiel war eine Therapie gar kein Thema, weil der Neurologe, den ich mir gesucht hatte, es nicht für notwendig hielt. Er war auch nicht sicher, ob es überhaupt wirklich MS ist. Meine Schübe hat dann mein Hausarzt mit Cortison behandelt.

Hast du bereits einen Therapiewechsel hinter dir und wenn ja, was war der Anlass dafür?

Ich habe mit Rebif gestartet, bin dann zu Tysabri gewechselt, habe später Gilenya genommen und 2015 und 2016 habe ich Lemtrada erhalten. Ich hatte durchgehend seit 2003 mehrere Schübe im Jahr und irgendwie konnte keine Therapie meine MS bremsen. Auch Lemtrada hat nicht sofort richtig geholfen, sondern die MS nur ein wenig gebremst. Seit 2017 ist meine MS aber ruhig, was das Thema Schübe betrifft.

[Anmerkung Nele: Wenn die hochwirksamen Medikamente keinerlei Effekt zeigen, ist das ein klarer Hinweis darauf die Diagnose nochmals zu hinterfragen und andere mögliche Erkrankungen in Betracht zu ziehen, die mit ähnlichen Symptomen einhergehen, wie in diesem Fall z. B. NMOSD-Spektrum Erkrankungen.]

Nutzt du symptomatische Therapieangebote? Wenn ja, welche?

Nein, im Moment gar nicht. Ich habe lange Jahre Physiotherapie gemacht, zwischendurch habe ich auch Hippo-Therapie ausprobiert. Im Moment bin ich mit meinem Töchterchen so ausgelastet, wie es keine Physiotherapie je leisten könnte.

Wie hast du nach der Diagnose deinen Lebensstil angepasst?

Gar nicht. Ich habe genauso begeistert weiter studiert und gearbeitet wie vorher. Ich war mir sicher, mit Cortison geht ja immer alles wieder weg. Außerdem wollte ich nicht auf meine MS reduziert werden. Ich wollte die Gleiche wie vor der Diagnose sein.

Wie blickst du auf deine Zukunft und haben sich deine beruflichen und privaten Pläne verändert?

Ich bin seit 2014 berufsunfähig und alles was ich jetzt noch mache, ist freiwillig. Mittlerweile habe ich gelernt, besser auf mich aufzupassen und auf meinen Körper zu hören. Ich habe mich selbstständig gemacht und schreibe und illustriere Kinderbücher. Aber bei aller Begeisterung liegt mein Arbeitspensum am Tag bei nur zwei bis drei Stunden. So lässt sich meine MS scheinbar bändigen.

Außerdem bin ich 2020 Mama geworden und verbringe so viel Zeit wie möglich mit meinem Töchterchen.

Was war dein tiefster Punkt mit der MS und wie hast du dich wieder rausgekämpft?

2012 habe ich in der zweiten Jahreshälfte einen Schub nach dem nächsten gehabt. Ende November waren meine Beine betroffen. Ich hatte aber erst 10 Tage vorher die letzte Schubbehandlung bekommen. Als ich dann mit den nicht mehr laufenden Beinen zum Neurologen gegangen bin – da habe ich noch gelacht, dass ich schon wieder einen Schub habe – hat mein Neuro gesagt: „Ich kann Ihnen nicht mehr helfen. Sie müssen ins Krankenhaus.“ Das hat mich damals sehr schockiert: Ich war schon öfter wegen meiner MS im Krankenhaus gewesen. Ich hatte also kein Problem mit dem Krankenhaus. Aber wenn plötzlich dein Neuro, der dich seit acht Jahren behandelt, sagt, dass er dir nicht mehr helfen kann, dann ist das schon krass.

Ich habe dann im Krankenhaus zehn Tage Plasmapherese bekommen: Blutwäsche. Jeden zweiten Tag. Die Tage dazwischen kam ich ins MRT. Aber es ist keine Besserung eingetreten. Aber immerhin war das Cortison aus meinem Blut rausgewaschen. Weil die Plasmapherese nicht funktioniert hat, hat man mir wieder Cortison gegeben. Über acht Tage, jeden Tag zwei Gramm. Das war wirklich viel, zumal ich von der Blutwäsche noch geschwächt war. Ich bin dann am 30. Dezember aus dem Krankenhaus entlassen worden und konnte ein ganz kleines bisschen laufen. Den Januar habe ich im Bett und auf dem Sofa verbracht, im Februar bin ich für fünf Wochen zur Reha gefahren, danach habe ich eine schrittweise                Wiedereingliederung in meinen Job begonnen.

Obwohl diese Zeit wirklich schrecklich war und ich seitdem gehbehindert bin und es danach mit den Beinen auch noch schlechter geworden ist, habe ich irgendwie immer weiter gemacht. Ich war zwischendurch sehr verzweifelt und habe gedacht, dass ich nie wieder arbeiten kann. Das war für mich das totale Horrorszenario. Aber trotzdem steht man jeden Tag wieder auf und schaut, was vielleicht klappt. Und über alles, was ich wieder lernen konnte, habe ich mich wahnsinnig gefreut.

Wie geht es dir aktuell mit der MS?

Ich habe 2017 meinen letzten Schub gehabt, meine MS hat sich zum Glück beruhigt. Andererseits bin ich gehbehindert und kann gar nicht mehr freihändig laufen. Alles über 50 Meter mache ich mit dem Rolli. Anfänglich war das eine schreckliche Erfahrung. Inzwischen bin ich dankbar, weil ich damit eine ganze Menge Selbständigkeit und Freiheit zurück bekomme. Ich kann nicht joggen oder bergsteigen, aber meinen Alltag alleine meistern. Und dafür bin ich sehr dankbar!

Kinderbücher

Wie entstand bei Dir die Idee Kinderbücher zu schreiben und zu illustrieren?

Die Idee mit den Kinderbüchern hatte ich schon am Anfang meines Studiums. Man fragt sich ja schon, was man mal werden möchte. Und ich wollte in die Politik und die Welt verbessern – oder eben politische, philosophische Bücher für Kinder schreiben.

Wann hast du dein erstes Kinderbuch veröffentlicht und worum geht es darin?

Mein erstes Kinderbuch „Der Löwengeburtstag im Zoo“ ist 2016 erschienen und handelt vom Tiger Linus, der ein Geburtstagsgeschenk für den Löwen Ferdinand sucht. Beide leben im Zoo und es mangelt ihnen oberflächlich betrachtet an nichts. Da Ferdinand also vermutlich schon alles hat, beschließt Linus, für Ferdinand einen Geburtstagsparty zu veranstalten. Im Zoo und mit allen Tieren, die dort leben. Und damit nimmt das Abenteuer seinen Lauf. Denn eine Party im Zoo, mit allen Tieren – Zebras, Tapiren, Hühnern, aber auch Krokodilen und Löwen – zu feiern, ist natürlich gar nicht so einfach. Erst recht, wenn es für das Geburtstagskind eine Überraschung sein soll.

Wie viele Bücher hast du bereits fertiggestellt und für welches Alter sind deine Kinderbücher und Malvorlagen gedacht?

Ich habe vier Bücher für Kinder ab etwa vier oder fünf Jahre veröffentlicht und ein Buch für Kinder ab zehn Jahren. Zu den Büchern, die ich selbst illustriert habe, gibt es auch Malbücher. Außerdem habe ich ein Glückstagebuch heraus gegeben. Letztes Jahr habe ich mir dann einen Traum erfüllt und meinen eigenen Verlag gegründet. Den Kinderbuchverlag Kiliposa. Ich bin damit immer noch Selfpublisherin, aber eben im Selbstverlag. Ich würde mich sehr freuen, auch andere Autoren zu verlegen, mit philosophischem und politischem Schwerpunkt. Ich bin gespannt, wie sich alles entwickelt. Die ersten drei Bücher sind bereits erschienen.

Veranstaltest du auch Lesungen mit deinen Kinderbüchern?

Ich liebe es sehr, aus meinen Büchern vorzulesen. Manchmal tue ich das im Internet. Aber viel toller ist das natürlich vor Publikum. Auf den Buchmessen oder zum Beispiel in Bibliotheken, aber auch in Schulen.

Wie gehst Du an ein neues Projekt heran?

Ich habe mehr Ideen, als ich Zeit und Kräfte habe. Ich muss also sehr gut planen und strukturiert vorgehen, um so viel wie möglich von all dem zu schaffen. Außerdem bremse ich mich selbst, um mich nicht zu überanstrengen, was mir meine MS leider sehr übelnimmt.

Wo finden interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer deine Bücher?

Quasi überall. Meine Bücher haben eine ISBN und sind damit für den Buchhandel und im Internet an den bekannten Orten jederzeit bestellbar.

Was hat es mit den Memo-Spielen auf sich? Gibt es da bereits ein fertiges Produkt?

Die Memo-Spiele. Ich würde wahnsinnig gerne zu meinen Büchern und Malbüchern auch Memo-Spiele verkaufen. Aber das gestaltet sich so viel komplizierter als der Buchmarkt. Ich habe ein paar Memo-Spiele produzieren lassen, aber die Produktionskosten sind so hoch und der Weg in den Handel so schwierig, dass das Memo-Projekt im Moment komplett auf Eis liegt. Aber auch da denke ich: Mal schauen, was noch kommt!

An welchen Projekten arbeitest du im Moment?

Ich habe immer mehrere Schreibprojekte gleichzeitig. Am meisten schreibe ich aktuell an einer Fortsetzung meiner Tier-Rate-Geschichten, die im Februar erschienen sind. Zeichnerisch versuche ich mich derzeit an Kamelen. Nicht zum ersten Mal, aber so langsam gefallen mir die Ergebnisse ganz gut.

Wünsche und Ziele

Gibt es einen großen unerfüllten Wunsch?

Na klar, wer hat den oder die nicht… Bezüglich meiner Gesundheit: Ich würde wirklich gerne wieder besser laufen können. In Bezug auf meine Bücher: ich würde mich sehr freuen, wenn mein Buch „Julius und Adenauer“ verfilmt würde.

Welche Entwicklung wünschst du dir im Bereich der Forschung und Behandlung der MS in den kommenden 5 Jahren?

Am besten wäre es natürlich, wenn MS heilbar wäre. Solange dies nicht der Fall ist, wäre es toll, wenn vorhandene Nervenschädigungen repariert werden könnten.

Blitzlicht-Runde

Was war der beste Ratschlag, den du jemals erhalten hast?

Dass ich mich entspannen und zur Ruhe kommen soll.

Wie lautet dein aktuelles Lebensmotto?

Das Leben ist schön.

Mit welcher Person würdest du gern einmal ein Kamingespräch führen und zu welchem Thema?

Mit Gerald Hüther über die Art, wie wir Menschen miteinander umgehen.

 Vervollständige den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose... “

Fluch und Segen gleichzeitig.

Welche Internet-Seite kannst du zum Thema MS empfehlen?

Tatsächlich gar keine, weil ich zum Thema MS nicht mehr im Internet unterwegs bin und gar keine mehr kenne.

Welches Buch oder Hörbuch, das du kürzlich gelesen hast, kannst du uns empfehlen und worum geht es darin?

Yuval Noah Harari: „21 Lektionen für das 21. Jahrhundert“. Das ist nicht die klassische Einschlaflektüre, aber ein wahnsinnig spannendes und lehrreiches Buch.

Verabschiedung

Hast du einen Tipp, den du deinem jüngeren Ich geben würdest, für den Zeitpunkt der Diagnose?

Hör auf deinen Körper und nimm nicht immer den schwierigsten und anstrengendsten Weg.

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Ich finde ehrlich gesagt, dass MS so scheußlich ist wie ihr Ruf. Auch deshalb, weil sie so unterschiedlich verlaufen kann und dadurch ziemlich unberechenbar ist. Aber man kann immer aus allem das Beste machen. Auch aus einer Diagnose wie MS. Aufgeben oder jedenfalls nicht mutig weiter machen, ist keine Option. Wenn die MS unfreundlich zu dir und alles gerade schwer ist: Gibt nicht auf, sondern sei geduldig! Es geht immer irgendwie weiter! Vielleicht sogar besser als gedacht!

Wo findet man dich im Internet?

Meinen Verlag unter: www.kiliposa.de

Und mehr zu mir unter www.hofmann-hidde.de

Vielen Dank, liebe Stefanie für die Offenheit zu deinem Weg mit MS, dein Engagement um Kinderbücher und weiterhin viel Erfolg und Freude bei Lesungen damit.

Bis bald und mach das beste aus Deinem Leben,
Nele

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Hier findest Du eine Übersicht zu allen bisher interviewten MS-Patienten.

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Nele von Horsten

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