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#190: Stammzelltransplantation bei progedienter MS. Interview mit André Decher zu seinen Erfahrungen

In Folge 190 vom Podcast habe ich André Decher zu Gast im Interview. Er ist MS-Patient, dessen Krankheitsverlauf von Anfang an von einer schnellen Behinderungszunahme ohne Schübe geprägt war, als eine progrediente Form der MS. Entgegen der wissenschaftlich fundierten Faktenlage entschied er sich dafür eine Stammzelltransplantation im Ausland durchzuführen.

Ich habe eine ganze Weile überlegt, ob ich ihn als Gast einlade, eben weil bei den individuellen Eckdaten von André man weder in Deutschland, Österreich, der Schweiz oder Großbritannien eine Stammzelltransplantation durchführen würde.

Nochmal kurz zusammengefasst, wer die besten Chancen hat von der Stammzelltransplantation zu profitieren:

  • hohe entzündliche Aktivität in Form von Schüben und MRT-Aktivität
  • kurze Krankheitsdauer, am besten weniger als 10 Jahre
  • junges Lebensalter, möglichst unter 40 Jahre
  • keine anderen Erkrankungen
  • hochwirksame Medikamente zeigen keinen Erfolg (Voraussetzung in Deutschland)
  • bisher nur wenige bleibende Behinderungen

Warum ist das so?

Weil die Stammzelltransplantation vor allem eine Auswirkung auf das erlernte Immunsystem hat, dass außerhalb des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) aktiv ist, also die T- und B-Zellen, die aus dem Blutkreislauf ins zentrale Nervensystem (ZNS) einwandern. Bei den progedienten Verlaufsformen spielt dieser Teil aber kaum noch eine Rolle. Das zerstörerische Geschehen findet im ZNS statt. Allerdings ist die Chemotherapie, die für den Neustart des Immunsystems benötigt wird, neurotoxisch und kann daher im ZNS weitere Schäden anrichten. Damit scheinen die Nachteile bei einer starken bestehenden Beeinträchtigung, geringer oder keiner Entzündungsaktivität und längerer Krankheitsdauer eindeutig zu überwiegen.

Warum habe ich André dennoch eingeladen und lasse ihn seine Geschichte erzählen?

Weil er eine Perspektive der MS vertritt. Und auch wenn die Gruppe der primär progredienten Menschen mit MS kleiner ist, gewiss sehr viele hoffen, dass sie von der Stammzelltransplantation profitieren können. Solltest Du dazu gehören, dann denk bitte daran, dass wirksame Behandlungen in Deutschland bezahlt werden und für den Patienten quasi kostenlos zur Verfügung stehen, von minimalen Zuzahlungen abgesehen. Die Anbieter in Russland und Mexiko haben die Stammzelltransplantation als ein Geschäftsmodell entdeckt, und verdienen damit viel Geld.

Natürlich gibt es gewiss Grenzfälle, die die Kriterien in Deutschland minimal nicht erfüllen und für die die Stammzelltransplantation eine gute Alternative sein kann. Wenn Du dazugehörst, dann hat André jede Menge gute Tipps für Dich.

Trotz allem freue ich mich für André, dass ihm die Therapie Mut und Energie gegeben hat so hartnäckig an Physiotherapie und Sport dranzubleiben und sich kleine Erfolge zu erarbeiten. Und ich wünsche ihm dass er weiterhin kleine und gerne auch größere Erfolge erreicht.

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Inhaltsverzeichnis

Vorstellung

Nele: Hallo André, schön, dass du heute mein Gast bist, und vielen Dank für die Einblicke, die du uns gewähren wirst.

Doch bevor wir loslegen, wäre es ganz lieb, wenn du dich den Hörerinnen und Hörern erst einmal vorstellst, damit die wissen, wen ich heute hier als Gast habe. #00:01:51#

André Decher: Mein Name ist André Decher. Ich bin 44 Jahre alt und habe die Erstdiagnose von Multiple Sklerose PPMS (Primär Progrediente MS) oder auch SPMS (Sekundär Progrediente MS); da sind sich die Ärzte nicht ganz so einig, vor ungefähr 15 Jahren bekommen. Im April 2007 war das ganz genau. Ich arbeite noch. Ich arbeite seit 20 Jahren bei einem großen Medizintechnik-Unternehmen in Hessen. Ich wohne auch in der Nähe von Fulda in Hessen. Ich bin mittlerweile getrennt, habe zwei Kinder; 10 Jahre alt und 7 Jahre alt.

Vor etwa zwei Jahren habe ich eine Stammzelltransplantation bezüglich der Multiplen Sklerose gemacht. Das war im November, beziehungsweise Dezember 2020 in Mexiko, in Puebla. Seit der Zeit ist meine Krankheit stehengeblieben und ich habe sehr oft seit dieser Zeit Physiotherapie. Fünfmal, manchmal sogar sechsmal pro Woche. Heute Morgen schon ganz früh gehabt und da gelingt es mir zusammen mit meinem Physiotherapeuten in kleineren Schritten immer mal wieder neue Funktionalitäten, die mein Körper bereits vergessen hatte, wieder zurückzugewinnen und das sind echt tolle Erfahrungen. Ich sitze übrigens seit zehn Jahren im Rollstuhl, habe einen EDSS-Wert, also einen Behinderungsgrad von 7.5. Das ist ganz schön dolle viel. #00:04:03#

Weg zur Stammzelltransplantation

Wie kamst du auf die Idee eine Stammzelltransplantation durchzuführen und wie bist du in Mexiko gelandet?

Nele: Das klingt in der Tat nach einem sehr aggressiven Verlauf und nach einer zügigen Abwärtsentwicklung. Insofern nachvollziehbar, dass du geschaut hast, was du für Alternativen findest. Jetzt wäre es trotzdem für mich spannend zu erfahren und sicherlich auch für die Hörerinnen und Hörer, wie du auf die Stammzelltherapie gekommen bist und wie du am Ende dann im Mexiko gelandet bist. Kannst du uns da mal ein bisschen dein Weg skizzieren? #00:04:31#

André Decher: Also das ganze ging los, als ich mit meiner Diplomarbeit fertig war. Ich habe Wirtschaftsinformatik studiert und ich war vorher schon guter Sportler und wollte danach wieder einsteigen. Bin also auf den Weg gegangen und wollte wieder Joggen ganz viel, so sieben Kilometer, acht Kilometer, damit man einfach wieder ein bisschen reinkommt. Da bin ich gestolpert. Das bin ich früher nie oder davor nie, und das hat auch nicht aufgehört. Da bin ich dann zu dem ersten Neurologen, der mich dann unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt hat. Dann zum zweiten Neurologen, und der hat mich dann in die Notaufnahme des Krankenhauses von Fulda geschickt, und dort wurde dann die Diagnose gegeben. Dann habe ich mit den klassischen Medikamenten begonnen. Betaferon war das zu meiner Zeit und habe dann auch eine Eskalation gemacht mit Mitoxantron und ganz ehrlich, hat alles nicht geholfen.

Ja, und dann hatte ich ein paar Jahre lang nichts genommen außer Vitamin D, aber nicht ultrahoch, sondern einfach nur ein bisschen Vitamin D. Dann hatte ich mir zu Weihnachten mal ein neues Handy gegönnt und habe mir dann gedacht, “Okay, was könntest du denn jetzt hiermit alles noch Tolles anstellen?” Also habe ich den Einstieg in Facebook gewagt und da habe ich mir dann erstmal meine Heimatregion als Gruppe genommen, aber dann auch etwas zum Thema Multiple Sklerose.

Austausch in einer Betroffenengruppe

Und da habe ich dann das aller, aller erste Mal von der Möglichkeit einer Stammzelltransplantation gehört. Nicht von meinem Arzt, nicht von meinem Neurologen, oder sonst irgendjemandem, sondern durch diese Facebook-Gruppe. Dann habe ich mir auch ein Video von Katja Schmollack geschaut. Das gab es bei YouTube, und da habe ich dann etwas tiefer gebohrt. Habe mich dann informiert, was bedeutet das überhaupt? Wo gibt es diese Möglichkeiten? Habe mir in der damaligen Zeit jedenfalls noch gedacht, “Okay, das lässt du dann hier mal im Krankenhaus in der Nachbarschaft machen.”

So war meine etwas einfache Vorstellung, weil das hat sich ja nicht so kompliziert angehört, also eher wie eine Chemotherapie, die man bei Krebspatienten kennt. Aber da wurde ich ganz schnell geerdet. Ich habe bei ganz vielen Krankenhäusern angefragt, unter anderem in Deutschland bei dem Klinikum in Hamburg-Eppendorf, bei dem Professor Heesen, aber auch in Wien, in Salzburg, in Turin, ganz vielen. Am Schluss kam ich dann auf Moskau und dort wollte ich das ganze probieren. Vom Krankenhaus hatte ich eine Zusage, aber dann kam aber so ein kleiner gemeiner Fall dazu, nämlich Corona.

Und die Russen hatten alle Grenzen für Ausländer dichtgemacht. Man kam also nicht mehr nach Russland. Ich hatte viel probiert, um nach Russland zu kommen, es ging aber nicht. Und eigentlich aus der Not heraus geboren, habe ich mich dann für Mexiko entschieden, weil da die Grenzen geöffnet waren. Und alles, was ich gelesen hatte, war auch, dass die einen gleichen Ablauf hatten wie Moskau, dass die auch in Verbindung miteinander stehen und deshalb habe ich mich für Mexiko entschieden, weil ich bei den deutschen oder europäischen Krankenhäusern nicht genommen wurde, nach Moskau gab es kein Weg rein, also Mexiko. Ein bisschen Bedenken hatte ich schon, muss ich sagen. #00:09:18#

Wie lief die Stammzelltransplantation in Mexiko ab?

Nele: Es klingt nach einer mittellangen Odyssee, aber zum Glück hast du ja am Ende dann deine Therapie in Mexiko erhalten. Jetzt wäre es toll, wenn du ein bisschen deine Erfahrungen teilst, weil du ja auch gerade gesagt hast, dass du schon so ein bisschen Bedenken hattest, bevor es nach Mexiko ging. Also wie lief das dort alles ab? Wie zufrieden warst du damit? Und vielleicht auch, wie lange war der zeitliche Rahmen? Also Vorbereitung, eigentliche Durchführung der Stammzelltherapie und Nachbereitung, bis du wieder nach Hause fliegen konntest. #00:10:01#

 André Decher: Also du hattest mich ja nach der Vorbereitung und Nachbereitung gefragt. Ich habe das so bis in den April glaube ich 2020, habe ich noch an Moskau gehangen und habe dafür gekämpft, dass ich dorthin kann. Das ging dann nicht, und mit Mexiko, habe ich das erste Mal, ich glaube Mai oder so, Kontakt aufgenommen und die haben mir dann gleich mögliche Termine genannt und ich habe dann gleich einen der ersten wahrgenommen.

Vom Mai dem ersten Kontakt bis zur Anreise Anfang November oder Mitte November, also knapp sechs Monate. Das Wichtigste ist eigentlich, das man das Geld für diese Behandlung zur Verfügung hat. Das hat 54,500 US-Dollar gekostet. Zu den damaligen Zeiten waren das noch 45,000 Euro, glaube ich. Das ist jetzt ein bisschen anders. Ja, und die Behandlung an sich hat ganz genau vier Wochen gedauert und dann ist man damit durch.

Ablauf in Mexiko

Das heißt, es geht gleich los mit einer ersten Chemotherapie, dann erst kam die Untersuchung bezüglich Lunge, Herz, und so weiter. Noch ein MRT wurde da gemacht, dann kam die erste Chemo, dann wurden die Stammzellen vom Rückenmark ins Blut gelockt. Als die Konzentration im Blut hoch genug war, wurden dann die Stammzellen abgezapft in einer Art Blutbecher und wurden dann in einem Beutel aufgehoben. Dann kam die zweite Chemotherapie und dann, nachdem die zweite Chemotherapie fertig war, habe ich die Stammzellen wieder zurückbekommen, und dann sind meine weißen Blutkörperchen abgefallen, nach unten gegangen bis auf… Also der Normalwert ist bei jedem, glaube ich, so um die 12.000 und die sind dann heruntergegangen bis auf 130 bei mir. Dann sind die aber in zwei oder drei Tagen wieder gut angestiegen, sodass ich dann die Heimreise gefahrlos mit dem Flugzeug von Mexiko nach Deutschland antreten konnte.

Und dann war ich kurz vor Weihnachten 2020 zu Hause. Wie gesagt, Corona war da volle Pulle aktiv, und da war ich erst noch in Quarantäne. Dann habe ich Anfang Januar 2021 schon wieder von zu Hause aus gearbeitet. Es ging mir dann den Umständen entsprechend gut. Also mein Immunsystem war ganz ordentlich. Ich musste noch sechs Monate jeden Tag eine Tablette nehmen; antiviral und antibakteriell, damit mein Immunsystem weiter geschützt ist. Die Tabletten kann man aber auch hier in Deutschland bekommen. Dann habe ich im Sommer 2021 eine Reha gemacht. Mit regelmäßiger Physiotherapie habe ich schon vorher begonnen. Das war, glaube ich, so im Februar 2021. Übrigens hatte ich da zwischenzeitlich noch eine dolle Blasenentzündung.

Jetzt im Sommer 2022, habe ich dann noch eine nächste Reha gemacht und für den Sommer 2023 plane ich wieder eine Reha zu machen. Ich hatte bereits im Sommer 2022 bei meiner letzten Reha angekündigt, dass ich ein Jahr später, also jetzt im Sommer 2023, wieder in der gleichen Einrichtung aufschlagen werde, weil auch die dortige Chefärztin der Neurologie so einen Fall bezüglich Multipler Sklerose noch nie kennengelernt hat. Das wurde schon in der Reha bestätigt, dass es auch Fortschritte gegeben hat, und das kannte sie einfach nicht. Deshalb ist sie sehr gespannt darauf, wie die Situation jetzt im Sommer 2023 sein wird. #00:14:37#

Welche subjektiven Verbesserungen hast du schon erreicht?

Nele: Total spannend und es klingt vor allen Dingen so, als ob du jetzt sehr motiviert trainierst und symptomatische Therapieangebote nutzt, sowohl im täglichen Leben als eben auch in Form von einer wirklich regelmäßigen Reha. Letztes Jahr eine Reha im Sommer, dieses Jahr eine Reha im Sommer. Diese Motivation, die kommt ja vermutlich auch mit davon, dass die Stammzelltherapie gemacht wurde, und dass du dir da erhoffst, dass die MS zum Stillstand kommt und du damit irgendwie wieder Boden gut machen kannst gegen die Erkrankung. Vielleicht kannst du uns mal sagen, ob du in deinem Empfinden schon Verbesserungen erreicht hast, oder wie sich das für dich anfühlt? #00:15:11#

André Decher: Ob das wirklich mit der Stammzelltransplantation zusammenhängt oder mit dem Sport, den ich sehr häufig mache? Keine Ahnung. Ist mir auch egal, Hauptsache es gibt an der einen oder anderen Stelle Verbesserungen. Was waren denn so die Verbesserungen? Also, mittlerweile hat sich bei meiner Blase schon wieder etwas Beruhigung eingestellt. Beim Laufen… Also, ich konnte früher mein linkes Bein überhaupt nicht bewegen. Das war nur dran gewachsen. Mittlerweile geht das wieder ganz ordentlich, also ich kann das Bein bewegen nach vorne einigermaßen, nach oben einigermaßen, nach hinten geht noch gar nicht.

Das rechte Bein macht das auch schon ganz ordentlich. Ich bin schon wieder in der Lage, problemlos zu sitzen. Das hat auch schon vor der Stammzelltransplantation einigermaßen funktioniert, ohne umzufallen, ohne alles, auch längere Zeit und so. Das war schon immer mal ein Problem. Mittlerweile funktioniert es auch, dass ich mich aus dem Sitz wieder hinstellen kann. Also ich kann stehen und auch selbstständig aufstehen und das ist jetzt eine Verbesserung, die erst seit ganz kurzer Zeit erfolgt ist und alles zum Thema Bewegung ist bei mir deutlich besser geworden. Ich kann noch nicht laufen, aber ich arbeite daran und das Ganze ist Gott sei Dank ein Schlag weiter. Spastiken habe ich zum Beispiel fast gar keine mehr. Die sind fast gänzlich weg. #0:17:33#

Wie hast du das Geld für die Behandlung aufgebracht und hast du Tipps für andere, die es nicht allein schaffen?

Nele: Schön. Das freut mich total. Und wenn die Spastiken schon mal fast weg sind und du einfach auch eine bessere Mobilität erreicht hast, das ist ja was ganz Großartiges. Ich drücke dir ganz doll die Daumen, dass das weitergeht Stück für Stück. Sicherlich sind Wunder unwahrscheinlich, aber kleine Verbesserungen Stück für Stück, das würde mich sehr für dich freuen. Und du bist ja da offenbar wirklich ganz engagiert dran.

Jetzt gehen wir mal ein Schritt zurück. Wie hast du es denn geschafft, die Kosten für die Stammzelltransplantation im Ausland zusammenzubekommen, denn die sind ja recht hoch? Es wurde dir nicht bezahlt und ich denke mal für die meisten, die sich im progredienten Verlauf befinden, wird die Kasse die Kosten nicht übernehmen. Vielleicht hast du den ein oder anderen Tipp, den du hier weitergeben kannst. #00:18:17#

 André Decher: Zum Thema Finanzierung, wie habe ich die 54,000 US-Dollar überhaupt aufgetrieben? Aus meiner Sicht ganz einfach, ich habe das vorher gespart und habe das dann diesbezüglich ausgegeben. Aber jetzt hast du Nele natürlich gleich den Interview-Partner an deiner Seite. Ich glaube, es gibt keinen anderen in Deutschland, bei dem die gesetzliche Krankenkasse für eine Behandlung außerhalb Europas, die nicht von der Krankenkasse anerkannt ist, auch noch was bezahlt hat. Bei mir war es der Fall. Ich bin bei einer geschlossenen Betriebskrankenkasse bei meinem Arbeitgeber gesetzlich versichert und meine Krankenkasse hat 34,000 Euro davon übernommen.

Finanzierung der aHSCT

Also ich habe es erst bezahlt aus eigener Tasche und habe es dann im Nachhinein erstattet bekommen. Wie gesagt, ich glaube, ich bin der einzige, bei dem das so außerhalb von Europa bis jetzt erfolgt ist. Ich kenne jedenfalls keine anderen. Wie habe ich das gemacht? Ich habe im Vorfeld vor der Behandlung bei dem Chef meiner Krankenkasse angerufen. Ich habe ihn gefragt, ob er das finanzieren will. Hat er gesagt, überlegt er sich, dann hat er gesagt, “Ja, Sie beteiligen sich großzügig daran.” Und als ich dann wieder zurückgekommen bin, habe ich ihm die Rechnung geschickt und das Geld hat er mir dann überwiesen, nichts mit Antrag oder so. Ich weiß, ganz, ganz seltener Fall, aber den gibt es auch. Ich kenne aber die meisten, die das über GoFundMe, also über eine Spendenaktion, das Geld vorher angesammelt haben. Da kenne ich echt ganz viele.

Ich kenne leider auch viele, die gegen ihre gesetzliche Krankenkasse oder auch private Krankenkasse geklagt haben, dass sie das bitte übernehmen sollen. Da habe ich aber noch keinen gehört, der diesbezüglich Erfolg gehabt hätte. Ich habe aber jetzt aus der Schweiz eine Sprachnachricht bekommen, wo sich eine Patientin, die mir die Rückmeldung gegeben hat, dass ihre Schweizer Krankenkasse diese Stammzellenbehandlung auch in Mexiko bezahlt. Das ist natürlich eine tolle Sache, im Prinzip, weil eine erwiesene Funktion dessen vorhanden ist, die machen das ja in Zürich auch. #00:21:26#

Hast du das Gefühl, dass die starre Ablehnung eine Stammzelltransplantation bei progredienter MS in Deutschland durchzuführen langsam aufgeweicht wird?

Nele: Sehr spannend, also vielen Dank zunächst für die Tipps, wie man es vielleicht angehen kann, dann ich denke auch dein Weg wird vorerst kaum anderen Menschen offenstehen, aber danke auch für die Information über die Dame in der Schweiz, die eine Mitfinanzierung durch ihre Kasse im Nachhinein bekommt. Das ist toll.

Jetzt weiß ich, dass du sehr vernetzt bist, dass du dich in der Gruppe zur Stammzelltransplantation auch viel im deutschsprachigen Raum austauscht und andere berätst, die überlegen diesen Weg zu gehen. Wie ist denn dein Gefühl? Hast du das Gefühl, dass da Bewegung reinkommt? Dass vielleicht in den kommenden Jahren mehr und mehr Menschen mit einer progredienten Verlaufsform der MS davon profitieren könnten? Und dass die Kassen sich vielleicht perspektivisch doch mehr und mehr daran beteiligen, sodass man vielleicht früher oder später nicht mehr ins Ausland gehen muss, und dann eben die Therapie auch hier in Deutschland machen kann? #00:22:20#

 André Decher: Also ich habe tatsächlich das Gefühl, dass in dieses Thema Bewegung kommt. Da ist sicherlich zuallererst mal Professor Heesen zu nennen, der ganz unermüdlich dieses Thema aufgreift und immer wieder bohrt und bohrt und bohrt. Und ich glaube auch tatsächlich, dass das Thema PPMS oder SPMS, also die progredienten, die schlechter werdenden Varianten, dass dort eine Aufweichung passiert, dass Krankenkassen… Ich glaube, Krankenkassen sind gar nicht so sehr das Problem, das ist eher der medizinische Dienst der Krankenkassen, der hier eine Ablehnung empfiehlt, dass da tatsächlich Bewegung reinkommt. Auch für die Sachen, wo man behauptet, es gäbe keinerlei Verbesserungsmöglichkeiten. Das ist aus meiner Sicht eine echt positive Nachricht. Und solche Information, wie aus der Schweiz, die befeuern natürlich diese Hoffnung, dass sich auch hier in Deutschland perspektivisch etwas wandeln wird. #00:24:04#

Wie hast du dein persönliches Risiko der Stammzelltransplantation gegen die Chance die MS zu stoppen abgewogen?

Nele: Das wäre doch wirklich eine schöne Entwicklung, wenn das zum einen was bringt und wenn Bewegung reinkommt. Übrigens, wenn du dich, die du oder der du gerade hier zuhörst, dich nochmal für das Thema Stammzelltransplantation beim Professor Heesen interessierst, dann höre gerne nochmal in die Podcast Folge 101 rein. Da habe ich ihn zu Gast und da unterhalten wir uns über das Thema Stammzelltransplantation.

Aber kommen wir zu einem anderen Punkt, der da auch in dem Podcast angesprochen wird. Jetzt muss man ja abwägen, eine Stammzelltransplantation bringt ja nicht nur Möglichkeiten, sie bringt ja auch ganz einfach Gefahren. Wie war das denn für dich? Wie hast du damals abgewogen, das Risiko von möglichem Krebs, den so eine Stammzelltherapie auslösen kann und anderen Gefahren versus die Möglichkeit die MS zu stoppen? Wie war das bei dir genau? #00:24:51#

André Decher: Bei mir persönlich war die Entscheidung glasklar. Ich hatte ja schon einige Behandlungen in Deutschland durch, die die klassischen Behandlungsvarianten waren und das hat sich in, sage ich mal, ungefähr fünf Jahren der Diagnose so weit entwickelt, dass ich dann im Rollstuhl saß. Vorher war ich guter Sportler und wenn ich diesen Weg gedanklich hätte weitertreiben sollen, dann hatte ich mich als schwerster Pflegefall im Bett gesehen und nur auf die Tapete angeguckt. Und selbst beim Kratzen auf der Stirn hätte ich eine Pflegekraft gebraucht, und das wollte ich auf gar keinen Fall. Deshalb sind und waren mir auch die möglichen Risiken sehr klein erschienen, und deshalb habe ich auf jeden Fall gesagt, das möchte ich machen. #00:26:23#

Hat man bei dir vor der Stammzelltransplantation noch Aktivität im MRT gesehen?

Nele: Absolut nachvollziehbar. Ich glaube, da hätten sich ganz viele genau wie du entschieden und das Risiko in Kauf genommen. Jetzt nochmal eine andere Frage. Wie ist das eigentlich bei dir gewesen? Hattest du noch erkennbare Aktivität im MRT zum Zeitpunkt, wo du dich für die Stammzelltherapie entschieden hast oder war da sowieso bei dir immer nur sehr wenig zu sehen? Wie hat sich das bei dir genau dargestellt? #00:26:44#

André Decher: Ich war wie wahrscheinlich viele schon ganz oft im MRT, Kopf, Brustwirbelsäule, Halswirbelsäule, volles Programm und aktive Herde wurden bei mir nie gesehen. Es wurden aber immer Vernarbungen gesehen, sowohl im Kopf als auch in der Wirbelsäule und schlechter ging es mir ohnehin von Mal zu Mal. Aber gesehen hat man nie was. Mit Kontrastmittel nicht, ohne Kontrastmittel nicht. Gesehen hat man nichts. Ich bin auch eigentlich mittlerweile der Überzeugung, dass grundsätzlich das MRT, so wie wir es so haben, nicht für diese Krankheit geeignet ist. Entweder sollte man eine bessere Auflösung oder eine ganz andere Technik verwenden. #00:27:47#

Wie blickst du heute in deine berufliche und persönliche Zukunft?

Nele: Danke auch nochmal hier für das Teilen deiner Erfahrung. Ja, das stimmt natürlich, dass MRT in deinem Fall dann nicht wirklich das sinnvollste Mittel der Wahl ist, und das gilt sich ehrlich auch für andere progrediente Betroffene. Da kommen sicherlich zunehmend andere Biomarker ins Spiel, wie vielleicht die Neurofilament-Leichtketten oder, oder, oder.  Aber trotzdem Danke, dass du an der Stelle nochmal deine Erfahrung geteilt hast.

Kommen wir zu einem anderen Punkt. Wie ist es denn für dich nach der Stammzelltherapie, nach den ersten Erfolgen, die du für dich spürst und wahrnimmst? Wie blickst du aktuell auf deine Zukunft, sowohl beruflich als auch privat? #00:28:24#

André Decher: Berufliche und persönliche Zukunft. Gute Frage. Also beruflich mache ich mir eigentlich toi, toi, toi, keine Gedanken. Da, würde ich sagen, läuft alles wie in den letzten Jahren auch. Da brauche ich mir toi, toi, toi eigentlich auch keine großen Gedanken zu machen.

Privat, ja… Ich hoffe, dass das Thema Laufen wieder funktioniert und dementsprechend auch meine Selbstständigkeit wieder größer wird. Diese Hoffnung habe ich und dementsprechend, habe ich auch vor da wieder, oder ich bin gerade dabei noch Anlauf zu nehmen oder ich bin auch jetzt schon auf dem Weg in den Sandkasten zu springen. Ich hoffe, das funktioniert alles so wie ich mir das so vorstelle. #00:29:50#

Verabschiedung

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf den Weg geben?

Nele: Ich wünsche dir auf jeden Fall, dass dieser Sprung in den Sandkasten bald gelingt, und dass du bald wieder mehr in die Bewegung kommst, wieder selbstständiger wirst. Das würde mich sehr für dich freuen und das hättest du dir auch absolut verdient.

Bevor wir jetzt zum Abschluss kommen, meine Frage an dich: möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch was mitten auf dem Weg geben? Vielleicht gerade den, die wie du in einer ähnlichen Situation stecken, dass sie in progredienten Verlauf der MS sind, dass sie sich Sorgen um ihre Zukunft machen, wo die Reise hingeht, und überlegen auch eine Stammzelltherapie in Erwägung zu ziehen, aber nach aktuellem Stand keine Chancen haben diese in Deutschland bezahlt zu bekommen? #00:30:34#

 André Decher: Ich glaube, die Stammzelltransplantation ist die einzige wirklich gegebene Möglichkeit, um diese blöde, verdammt blöde Krankheit Multiple Sklerose ein für alle Mal aufzuhalten. Verbesserung dadurch glaube ich nicht. Ich glaube, dass eher durch Sport, Sport und Sport aufhalten und dementsprechend glaube ich auch, dass man gerade bei den progredienten Varianten so schnell wie möglich damit starten sollte und nicht abwarten sollte. Worauf sollte man warten? Auf dass der Rollstuhl, der neue Freund wird? Wenn das Geld fehlt, was in den meisten Fällen der Fall ist, sammelt euch das Geld zusammen. GoFundMe ist eine großartige Möglichkeit. Ich kenne Leute, die den gesamten Betrag an einem Tag eingesammelt haben und sind dann ab in dem Fall nach Mexiko gefahren. Aber ob Mexiko oder Moskau, das ist sicherlich einfach sterben in Schönheit. Das kann man so oder so machen. Im Moment ist sicherlich Mexiko der attraktivere Anbieter, aber die Behandlung an sich ist identisch. #00:32:13#

Wie kann man mit dir in Kontakt treten, wenn man noch zusätzliche Fragen zur Stammzelltransplantation hat?

Nele: Danke André. Und dadurch, dass wir hier das Interview ein bisschen zeitlich asynchron aufnehmen, habe ich auch natürlich gleich mal auf die Seite geschaut und habe da bei GoFundMe wirklich einige Leute gefunden, die es geschafft haben das Spendenziel zu erreichen und damit also ohne eigene Ersparnisse den Weg der Stammzelltransplantation nehmen konnten. Also eine gute Option. Man muss seinen Anruf sicherlich immer persönlich ansprechend machen, aber ich glaube, die zeitliche Investition, die lohnt sich dafür allemal.

Jetzt kann es sein, dass der eine oder andere Hörer oder Hörerin mit dir persönlich in Kontakt treten möchte. Wie ist das möglich? Auf welchen Wegen erreichen sie dich, um vielleicht nochmal ganz konkrete Fragen zu stellen oder sich einfach eins zu eins mit dir auszutauschen? #00:33:09#

André Decher: Jeder kann mich gerne anschreiben. Gerne per Mail. Die Adresse wäre [email protected], aber ich glaube, der wichtigere Ratgeber ist Facebook. Die Gruppe für das Thema HSCT. Dort gibt es großartige Informationen. Da habe ich mich auch selbst darüber schlau gemacht. Die Adresse für meinen Weg, also was ich alles gemacht habe, um das ganze nochmal ein bisschen detaillierter nachzulesen, den gebe ich dann gleich natürlich auch Nele, um das Ganze in den Show Notes zur Verfügung zu stellen. Ist ein bisschen eine komplizierte Adresse, sorry. #00:34:08#

Danke und alles Gute

Nele: Danke für all die Tipps, die du gegeben hast. Ich wünsche dir persönlich ganz viel Kraft – emotional und körperlich, um weiter auf deiner Reise voranzukommen. Ganz viel Erfolge für deine kommende Reha, und dass du dir Stück für Stück wieder deine Selbstständigkeit mehr und mehr zurück erarbeiten kannst, und dass die MS wirklich dauerhaft gestoppt ist. Ich werde deinen Weg aus der Distanz auf jeden Fall weiterverfolgen und freue mich natürlich mit dir, wenn du kleine und größere Erfolge zu feiern hast. In diesem Sinne viel Glück, viel Erfolg, und mache es gut. Tschüss! #00:35:02#

André Decher: An alle Zuhörer: haltet die Ohren steif und nicht unterkriegen lassen, um es mit Winston Churchill zu sagen, “If you have to go through hell, keep going.” Tschüss und euch toi, toi, toi! #00:35:22#

Einordnung Faktenlage Stammzelltransplantation

Je entzündlicher die MS, je früher im Verlauf, je geringer die bisherige Behinderung, je jünger, je gesünder, abgesehen von der MS, desto größer sind die Chancen von der Stammzelltransplantation zu profitieren.

Je chronischer / progredienter, später im Verlauf, je mehr Behinderungen bereits bestehen, je mehr gesundheitliche Probleme zusätzlich zur MS vorliegen, je älter, desto geringer der voraussichtliche Nutzen und höher das Risiko für Komplikationen.

Eine genaue Aussage kann niemand treffen. Es bleibt in der seriösen Wissenschaft am Ende eine Wahrscheinlichkeit und die bewertet jeder Mensch subjektiv anders.

Danke an André für seine Erfahrung. Ich weiß, dass er schon vielen zur Seite stand und steht, deren Chancen von der Behandlung zu profitieren deutlich höher sind als bei sich selbst. Wenn Du Dich für das Thema Stammzelltransplantation bei MS interessierst, findest Du hier weitere Beiträge:

 

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Hier findest Du eine Übersicht zu allen bisherigen Podcastfolgen.

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