Diesmal stelle ich Glatirameracetat vor, das als Copaxone oder Clift bekannt ist und zu den zugelassenen verlaufsmodifizierenden Medikamenten für schubförmige MS gehört. Es war eines der ersten Medikamente, das als präventive Therapie für MS-Patienten zugelassen wurde, und war eine zufällige Entdeckung. Ursprünglich sollte es zu Forschungszwecken MS bei Mäusen auslösen, doch plötzlich entdeckte man, dass es eine schützende Wirkung hat.
Wie die bereits vorgestellten Fumarate hat es einen breiter angelegten Wirkmechanismus. Ich werde im Folgenden versuchen, einen guten Überblick zu geben, ohne in die absolute Tiefe zu gehen. Und wie immer gilt: Lass dich bitte von MS-Spezialisten beraten, die deine individuelle Situation, deine Wünsche, deine Ängste und deinen allgemeinen Gesundheitszustand kennen.
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Inhaltsverzeichnis
Allgemeine Informationen
Um einen guten Überblick über das große Thema der Therapieentscheidungen zu bekommen, empfehle ich dir, zuerst die Folge 250 zu hören: Immuntherapie bei MS. Ein Wegweiser durch Wirksamkeit und Auswahl mit Prof. Tjalf Ziemssen. Dort wirst du erfahren, warum:
- Man die verschiedenen verlaufsmodifizierenden Medikamente nur bedingt miteinander vergleichen kann.
- Es wichtig ist, schnell mit einer wirksamen Therapie zu beginnen.
- MRT und andere Untersuchungen wichtig sind für die Beurteilung des Krankheitsverlaufs und Aufschluss über die Wirksamkeit geben.
- Therapien so wenig wie möglich gewechselt werden sollten, aber natürlich immer, wenn sie nicht ausreichend wirksam sind.
- Es oft besser ist, mit einer hochwirksamen Therapie zu beginnen und erst im fortgeschrittenen Alter auf eine niedrigere Kategorie zu wechseln.
- Es bei hochaktiver MS wichtiger sein kann, schnell mit der Immuntherapie zu beginnen und in einem zweiten Schritt die Rehabilitation in Angriff zu nehmen.
- Generika und Biosimilars immer häufiger eingesetzt werden und welche Zulassungsvoraussetzungen sie erfüllen müssen.
- Die Risiken und Nebenwirkungen einer Therapie unterschieden werden müssen in unangenehme Nebenwirkungen zu Beginn der Therapie und seltene mögliche Risiken. Und diese müssen in Relation zu den meist irreversiblen Langzeitfolgen einer unbehandelten MS gesetzt werden.
- Es wichtig ist, dass du deine Meinung, Wünsche, Ziele und Befürchtungen mit deinem Neurologen ehrlich besprichst, um gemeinsam Behandlungsentscheidungen zu treffen, denen beide Seiten zustimmen können.
- Es von Vorteil ist, sich von MS-Spezialisten betreuen zu lassen und selbst informiert zu bleiben, um von neuen Erkenntnissen und Behandlungsmöglichkeiten zu profitieren.
- Du mit deiner eigenen gesunden Lebensweise zu einer günstigen Prognose beitragen kannst..
Noch ein allgemeiner Hinweis
Die Zulassungsstudien für die einzelnen Medikamente wurden zu sehr unterschiedlichen Zeiten durchgeführt. Vor dreißig Jahren musste man schwerer betroffen oder im Krankheitsverlauf weiter fortgeschritten sein, um eine sichere Diagnose der Multiplen Sklerose zu erhalten. Leichte Verläufe wurden wahrscheinlich gar nicht oder zunächst nicht diagnostiziert. Mit immer besseren Untersuchungsmethoden, wie z. B. der Kernspintomographie, auch bekannt als MRT, findet man heute deutlich kleinere Läsionen im zentralen Nervensystem. Außerdem war vor 30 Jahren noch nicht bekannt, dass es sich bei den Neuromyelitis-Optica-Spektrum-Erkrankungen, kurz NMOSD und MOGAD, um eigenständige Krankheiten handelt, die eigene Therapien erfordern und manchmal sogar negativ auf MS-Medikamente reagieren. Früher hielt man sie für Multiple Sklerose, und MS-Therapien linderten die Krankheitsaktivität fast nie.
Wie wird Glatirameracetat (Copaxone, Clift) bei den Immuntherapien eingestuft?
Derzeit gibt es drei verschiedene therapeutische Ansätze zur präventiven, d. h. verlaufssmodifizierenden Therapie der Multiplen Sklerose. Der unspezifischste ist die Immunmodulation, zu der auch Glatirameracetat gehört. Bei der Migrationshemmung werden bestimmte Immunzellen daran gehindert, sich im Körper weiterzubewegen. Und bei der Depletion sterben die sich entwickelnden Immunzellen ab. Die Immuntherapien sind in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt:
- Immunomodulation – die Therapien schwächen das Immunsystem. Sie wirken sehr breit über verschiedene Faktoren (z.B. auf Th1/T17 – Th2/Treg, Antigenpräsentation) sowie auf verschiedene Signalwege und möglicherweise über andere Mechanismen: Sie versuchen, das Milieu von entzündlich hin zu nicht entzündlich zu verschieben:
- Dimethylfumarat (Tecfidera) & Diroximelfumarat (Vumerity),
- Glatirameracetat (Copaxone, Clift),
- Interferone: Interferon beta-1a (Avonex, Rebif), Interferon beta-1b (Betaferon, Extavia), Peginterferon beta-1a (Plegridy)
Teriflunomid (Aubagio)
- Migrationshemmung – die Wanderung bestimmter Immunzellen wird verhindert:
- Natalizumab (Tysabri, Tyruko)
- S1P-Modulatoren: Fingolimod (Gilenya), Ozanimod (Zeposia), Ponesimod (Ponvory), Siponimod (Mayzent)
- Zelldepletion – entfernen bestimmter Immunzellen
- Depletion von T-Zellen, B-Zellen, NK-Zellen und Monocyten: Alemtuzumab (Lemtrada, Campath)
- T- und B-Zell Depletion: Cladribine (Mavenclad, Leustat, Litakin)
- B-Zell Depletion: Ocrelizumab (Ocrevus), Ofatumumab (Kesimpta, Bonspri), Rituximab (Mabthera, Rituxan), Ublituximab (Briumvi)
Wofür ist Glatirameracetat (Copaxone, Clift) zugelassen?
Glatirameracetat ist für die Behandlung der schubförmigen Multiplen Sklerose zugelassen. Das Deutsche Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) und die deutsche Leitlinie empfehlen den Einsatz bei leichten oder moderaten Formen der Krankheit.
Wie sieht die Situation für spezielle Patientengruppen aus?
Kinder und Jugendliche
Auf der Grundlage der Zulassungsstudien ist Glatirameracetat ab 18 Jahren zugelassen. Außerdem scheint es für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren genauso sicher zu sein wie für Erwachsene. Bitte wende dich an einen MS-Spezialisten, um eine individuelle Beratung zu erhalten.
Schwangerschaft und Stillzeit
Es gibt keine Zulassung für schwangere Frauen. Glatirameracetat kann bis zum Eintritt der Schwangerschaft eingenommen werden. Tierstudien und Daten des Deutschen MS- und Kinderwunschregisters, kurz DMSKW (Stand: Juni 2024), mit 513 Schwangerschaften unter Glatirameracetat (Copaxone, Clift) zeigen kein erhöhtes Risiko. Die Fortsetzung der Behandlung in der Schwangerschaft sollte nach dem individuellen Nutzen-Risiko-Verhältnis beurteilt werden. Bitte sprich mit deinem Neurologen oder lass dich von MS-Experten auf dem Gebiet der Schwangerschaft beraten.
Während der Stillzeit ist Glatirameracetat von der EMA ohne Einschränkung zugelassen.
Empfehlung der europäischen Zulassungsbehörde (EMA)
Als Vorsichtsmaßnahme sollte die Anwendung von Glatirameracetat (Copaxone, Clift) während der Schwangerschaft vermieden werden, es sei denn, der Nutzen für die Mutter überwiegt das Risiko für den Fötus.
Die EMA hat Glatirameracetat bereits ohne Einschränkung für die Anwendung in der Stillzeit zugelassen.
Wer sollte Glatirameracetat meiden?
Personen mit Überempfindlichkeit oder Allergien gegen Glatirameracetat oder andere Bestandteile des Präparates.
Es liegen keine ausreichenden Informationen vor, um eine Behandlung mit Glatirameracetat für Kinder unter zwölf Jahren zu empfehlen; daher sollte es in dieser Altersgruppe nicht angewendet werden. Das Sicherheitsprofil bei Teenagern im Alter von zwölf bis 18 Jahren scheint jedoch mit dem von Erwachsenen vergleichbar zu sein.
Wie wird Glatirameracetat (Copaxone, Clift) angewendet?
Der Wirkmechanismus von Glatirameracetat ist noch nicht vollständig geklärt. Bei den Patienten, bei denen Glatirameracetat wirkt, ändern sich die Aktivitätszustände der verschiedenen Immunzellen.
Bei MS überwiegt der Entzündungsprozess, wenn er unbehandelt bleibt; Glatirameracetat gleicht diesen Effekt aus und verändert ihn sogar zum Positiven. Es werden spezielle Glatirameracetat-T-Zellen gebildet. Es wirkt eher wie eine Antigentherapie. Es werden Antikörper gebildet, die bei regelmäßiger Einnahme nach drei Monaten wieder abnehmen. Allerdings sprechen nur einige Patienten auf die Therapie an. Bei denjenigen, bei denen diese Veränderungen in den Immunzellen auftreten, hat Glatirameracetat auch eine klinische und langfristige Wirkung, sogar noch nach zehn Jahren. Außerdem werden bei dieser Patientengruppe Nervenwachstumsfaktoren (Neuroprotektion) gefördert. Das immunmodulatorische Gleichgewicht wird wiederhergestellt. Darüber hinaus unterstützt Glatirameracetat vermutlich die Remyelinisierung und den axonalen Schutz durch die Bildung neuer Oligodendrozyten.
Die Wirkung tritt nach etwa zwölf Wochen ein.
Wie wird es eingenommen?
Glatirameracetat (Copaxone, Clift) wird selbst subkutan injiziert. Entweder dreimal pro Woche in einer Dosis von 40 mg oder 20 mg täglich.
Es stehen Injektionshilfen und Fertigpens zur Verfügung.
Die Dauer der Therapie ist derzeit nicht begrenzt. Verträglichkeit und Nutzen-Risiko-Abwägung sollten immer berücksichtigt werden. Mit zunehmendem Alter verändert sich das Immunsystem, so dass es zu einer Situation kommen kann, in der die Wirkung des Medikaments nur noch wenig oder keinen Nutzen mehr bringt, während die Nebenwirkungen bestehen bleiben. MS-Patienten haben ganz unterschiedliche Krankheitsverläufe, so dass es keine allgemeine Empfehlung gibt, sondern eine individuelle Entscheidung getroffen werden muss.
Wie wirksam ist Glatirameracetat?
Gavin Giovannoni, ein MS-Experte aus dem Vereinigten Königreich, hat seine MS-Selfie Cards auf einer Skala von eins bis zehn eingestuft, wobei eins für geringfügig wirksam und zehn für maximal wirksam steht. Nach seiner Einschätzung erhält Glatirameracetat (Copaxone, Clift) die Note 2 für die Vorbeugung von Schüben und die Note 1 für langfristige Behinderungen.
Es ist zu beachten, dass Glatirameracetat nur bei einigen Patienten wirksam ist. Die Bewertung würde sich daher vermutlich verschieben, wenn nur die Responder bewertet würden.
In der Zulassungsstudie führte Glatirameracetat im Vergleich zu Placebo zu 29 % weniger Schüben. Deutlich mehr Patienten, die Glatirameracetat erhielten, zeigten eine Verbesserung des EDSS, während sich mehr Patienten unter Placebo verschlechterten.
Risiken und Nebenwirkungen von Glatirameracetat (Copaxone, Clift)
Im Allgemeinen ist Glatirameracetat ein sicheres Arzneimittel. Leichte Nebenwirkungen treten bei mehr als einem von zehn Patienten auf.
Die häufigste Nebenwirkung ist eine lokale Reaktion an der Injektionsstelle. Diese kann von einer Rötung der Haut, Schmerzen, Quaddelbildung, Juckreiz mit lokaler Entzündung bis hin zu einer Hautallergie reichen.
Seltener kann es zu einer kosmetisch ungünstigen lokalen Reduktion des Unterhautfettgewebes kommen. Eine sorgfältige Desinfektion der Injektionsstelle kann lokale Injektionsreaktionen verringern.
Unmittelbar nach der Injektion kann eine so genannte Nachinjektionsreaktion mit mindestens einem der folgenden Symptome auftreten: Gefäßerweiterung, Brustschmerzen, Kurzatmigkeit und Herzklopfen. Diese Reaktionen können innerhalb von Minuten nach einer Glatirameracetat-Injektion auftreten und klingen in der Regel spontan und ohne weitere Folgen ab.
Sicherheitsvorkehrungen – Laborwerte
Vor Beginn der Behandlung und nach drei Monaten wird ein vollständiges Blutbild erstellt. Die Leberwerte werden vor Behandlungsbeginn, nach dem dritten Monat, nach dem sechsten Monat und von da an alle sechs bis zwölf Monate kontrolliert. Das gleiche Verfahren gilt für den Nierenfunktionstest. Er wird vor Beginn, nach drei und sechs Monaten und dann nur noch alle sechs bis zwölf Monate durchgeführt.
Vor Beginn der Behandlung mit Glatirameracetat muss eine akute Entzündung durch einen Urintest ausgeschlossen werden.
Darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Dies wird für dich überprüft. Aber bitte nimm die Untersuchungen ernst und hole sie nach, wenn du einen Termin nicht wahrnehmen kannst, und lass sie nicht ganz ausfallen.
Auf der bereits erwähnten MS-Selfie-Karte werden die Nebenwirkungen auf einer Skala von eins für wenig oder selten bis zehn für viel oder häufig wie folgt bewertet:
- Regelmäßige Nebenwirkungen bei neun
- Langfristige Nebenwirkungen bei null
- Krebsrisiko bei eins
Glatirameracetat (Copaxone, Clift) erhält in der MS-Selfie-Card-Übersicht über die Auswirkungen der Therapie die folgende Bewertung
- Klinikbesuche: viele
- Familienplanung: verträglich
- Impfungen: gutes Ansprechen
Impfungen
Alle Impfungen sind während der Therapie mit Glatirameracetat erlaubt. Lebendimpfstoffe sollten jedoch nur nach gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung verabreicht werden. Es gibt keine Warnhinweise für Neugeborene, deren Mütter während der Schwangerschaft Glatirameracetat (Copaxone, Clift) eingenommen haben.
Eine Impfung gegen Herpes zoster, der zu Gürtelrose führt, wird für Patienten mit Immuntherapie ab dem 50. Lebensjahr empfohlen. In diesem Fall wird eine Impfung mit dem inaktivierten Shingrix-Impfstoff empfohlen.
Quellen
Für die Erstellung des Inhalts habe ich die folgenden Quellen verwendet:
- Vorlesung über Glatirameracetat (Copaxone und Generika) von Prof. Tjalf Ziemssen im Rahmen des Masterstudiengangs Multiple Sklerose Management
- Qualitätshandbuch der KKNMS zu Glatirameracetat
- MS-Selfie Cards von Prof. Dr. Gavin Giovannoni
- Deutsches Multiple Sklerose- und Kinderwunschregister (DMSKW)
- Informationen aus dem Interview mit Prof. Dr. Barbara Kornek zur pädiatrischen MS
Schlussbemerkung
Bitte denke daran, dass es nicht das eine gute Medikament gibt, das allen hilft, sondern dass immer abgewogen werden muss, was für die jeweilige Person am besten geeignet ist. Auch andere Krankheiten, persönliche Ziele und Vorlieben müssen berücksichtigt werden. Dein Neurologe und die MS-Schwester sind die richtigen Ansprechpartner und können individuelle Empfehlungen aussprechen. Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Empfehlung dar. Was dem einen hilft, ist für den anderen vielleicht wirkungslos.
Ich hoffe, dass du zusammen mit deinem Neurologen und deiner MS-Schwester schnell die richtige Immuntherapie für dich finden wirst. Und dass du ein erfülltes, glückliches und selbstbestimmtes Leben mit MS führen kannst, unterstützt durch einen gesunden Lebensstil und eine Portion Glück.
Vielleicht möchtest du auch einen Blick auf die Beiträge zu den anderen Immuntherapien werfen:
- Dimethylfumarat (Tecfidera) und Diroximelfumarat (Vumerity)
- Interferone (Avonex, Betaferon, Extavia, Plegridy, Rebif) für RRMS, KIS & SPMS
Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele
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