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#285: Shared Decision Making und KI: Gemeinsam die besten Entscheidungen für MS treffen mit Dr. Sven Jungmann

Die Zukunft der MS-Behandlung liegt in der Zusammenarbeit von Mensch und Technologie – ein Thema, das Dr. Sven Jungmann in dieser Episode zur Künstlichen Intelligenz (KI) und Shared Decision Making (SDM) beleuchtet. Von digitalen Gesundheitslösungen über die Rolle der Künstlichen Intelligenz bis hin zu praktischen Tipps für Shared Decision Making – wir erkunden, wie Patient:innen, Ärzt:innen und innovative Technologien im Miteinander die besten Entscheidungen für Einzelpersonen treffen können. Tauche mit uns ein in die Welt der Digitalisierung und erfahre, wie sie das Gesundheitssystem menschlicher macht.

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Inhaltsverzeichnis

Vorstellung – Wer ist Dr. Sven Jungmann?

Ich mache keinen großen Unterschied zwischen privat und beruflich. Dieses Zitat von Michener beschreibt mich am besten: „The master in the art of living makes little distinction between his work and his play, his labor and his leisure, his mind and his body, his information and his recreation, his love and his religion. He hardly knows which is which. He simply pursues his vision of excellence at whatever he does, leaving others to decide whether he is working or playing. To him he’s always doing both“. Ich liebe die Herausforderungen meiner Arbeit, das, was ich dabei lerne, was es mit mir macht, die Menschen, die ich dabei kennen lerne. Meine Freunde sind oft auch meine Geschäftspartner und ich suche mir sehr genau aus, mit wem ich zusammenarbeite. Das schafft gemeinsame Erlebnisse, auf die ich immer gerne zurückblicke. Bei der Arbeit wird viel gelacht. Wenn ich reise, dann oft im beruflichen Kontext. Ich finde es viel spannender, in einer Stadt zu sein und mit den Einheimischen zusammenzuarbeiten, weil ich dadurch ein viel tieferes Verständnis für das Leben dort bekomme. Ich finde es langweilig, irgendwo am Strand zu liegen oder mir als Tourist eine Stadt anzuschauen. Ich möchte wie ein Anthropologe tief in die Gesellschaft eintauchen, und das geht am besten über Geschäfte und Freundschaften. Dafür bin ich am liebsten in London, Kopenhagen, Paris und Stockholm. Aber natürlich ist auch San Francisco wichtig für mich.

Was auf jeden Fall unter Hobby fällt ist Sport – Kraftsport, früher viel Crossfit und ich gehe sehr gerne essen.

Haustiere – ich hätte gerne einen aktiven Hund, z.B. Schäferhund, Husky, Akita o.ä., aber ich bin zu beschäftigt und zu viel unterwegs, um das tiergerecht zu ermöglichen. Ich bin vor allem mit pummeligen Labradoren aufgewachsen, die ich sehr geliebt habe. Mit der Familie ist es ähnlich, jetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt, aber in ein paar Jahren möchte ich mich darauf konzentrieren, ein wirklich guter und präsenter Vater zu sein.

Persönliche Motivation für Beruf?

Ich empfinde mein Leben als sehr privilegiert. Abgesehen von einem lästigen Asthma und zunehmend unangenehmem Sodbrennen bin ich gesund und in einem sicheren Deutschland aufgewachsen. In diesem Privileg sehe ich auch die Verantwortung, meine Chancen und Talente so zu nutzen, dass auch andere davon profitieren, die dieses Glück vielleicht nicht mit mir teilen.

Ich ziehe aber auch viel Energie aus der Möglichkeit, kreativ zu sein und wirklich interdisziplinär und international zu arbeiten. Etwas völlig Neues zu schaffen, das dann von anderen gebraucht wird, hat etwas immens Erfüllendes.

Infos zu Apps und digitalen Lösungen für MS-PatientInnen

Welche Apps und digitalen Lösungen für Personen mit MS findest Du besonders hilfreich und warum?

Studien zeigen, dass Apps für MS Patienten durchaus hilfreich sein können und man sollte natürlich auch für sekundäre Herausforderungen bei Multipler Sklerose (z.B. Depression) den Einsatz von digitalen Lösungen erwägen. Auch hier gibt es gute Studien, wie diese hier z.B.
https://www.thelancet.com/journals/landig/article/PIIS2589-7500(23)00182-6/fulltext
Doch das ist oft etwas einfach gehalten, reduziert auf persönliche Tagebücher und Video- bzw. Audoinhalte, die man über die App ausspielen kann. Es muss nicht immer alles kompliziert sein, damit es eine Wirkung hat. Aber wir werden wahrscheinlich bald deutlich mehr erleben, z.B. die Entwicklung neuer digitaler Biomarker, die Diagnostik und Therapie-Steuerung bzw. Monitoring vereinfachen:
https://www.nature.com/articles/s41746-024-01025-8

Wie können digitale Gesundheitslösungen dazu beitragen, den Alltag von MS-PatientInnen zu erleichtern?

Besseres Selbstmanagement, gerade wenn der Gang zu Ärztinnen und Co. nicht immer Alltagskompatibel ist. Wir brauchen mehr Unabhängigkeit für Patientinnen und Patienten, nicht zuletzt, weil der Gang zur Praxis oder ins Krankenhaus anstrengend ist, mit anderen Pflichten und Interessen im Konflikt stehen kann und nicht für alle leicht verfügbar ist.

Kontinuierliche digitale Überwachung von MS unter Alltagsbedingungen kann zur Bewertung und Steuerung der Wirksamkeit von Behandlungen, zur Behandlung der Krankheit und zur Identifizierung von Teilnehmer:innen für klinische Studien verwendet werden.

Allgemeine Tipps zur Bewertung und Nutzung digitaler Gesundheitslösungen

Welche Kriterien sind Deiner Meinung nach wichtig, um digitale Gesundheitslösungen zu bewerten?

Persönliche Präferenz: ist es einfach zu nutzen, spricht es einen an.

Verfügbarkeit von wissenschaftlichen Belegen. Genau wie Medikamente müssen auch Apps mit medizinischen Versprechen diese Nachweisen können. Man kann einfach auf pubmed.gov den Namen der App eingeben und schauen, was es dazu so gibt. Falls es einem zu viel Fachjargon enthält, kann man LLMs wie ChatGPT um Hilfe mit der Erklärung bitten. Wir können darüber sprechen, wie man sich eine Studie anschaut, auch für Medikamente und andere Therapien — und diese bewertet.

CE-Zertifikat in Europa.

Wie können MS-Patienten ihre Ärzte in die Nutzung von digitalen Gesundheitslösungen einbeziehen und wo liegen die Vorteile und Hürden?

Zeit ist ein zentrales Thema. Man sollte es einfach für Ärzte machen. Idealerweise haben die Apps Schnittstellen für die Ärzte oder können die Informationen sinnvoll aufbereiten.

Es muss in die aktuelle Denke passen. Ärzte sind gehalten, sich an Leitlinien zu orientieren, auch was die Daten betrifft, die sie für ihre diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen einbeziehen. Komplett neue digitale Biomarker, die nicht in Leitlinien existieren sind schwer in Entscheidungen einzubeziehen, auch aus haftungsrechtlichen Gründen.

Ich würde die Ärzte proaktiv fragen, wie sie gerne digitale Lösungen einbeziehen wollen und was für sie relevant ist.

Bei der Wahl der App sollte man auch die behandelnde Ärztin fragen, ob sie Präferenzen hat. Je mehr Erfahrung jemand mit bestimmten Apps hat, desto besser können sie es auch einbeziehen.

Warum ist es wichtig, dass digitale Gesundheitslösungen vor allem menschenzentriert gestaltet sind, statt speziell für Patienten oder Ärzte?

Im Kern entstehen viele Probleme dadurch, dass die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen unzureichend ist. Lösungen, die sich nur auf Patienten fokussieren, verpassen wichtige Chancen, z.B. weil, wie eben angedeutet, sie die Informationen nicht hinreichend für die Ärzte aufbereiten und zugänglich machen.

Viele Ärzte sind ziemlich am Ende zur Zeit. Überladen mit Bürokratie und geplagt von altmodischen, ineffizienten Prozessen und Personalmangel, sind viele nicht in der Lage, die Versorgung zu bieten, die eigentlich ihrem Anspruch entspräche. Viele wollen den Klinikberuf wie ich sogar lieber ganz an den Nagel hängen. Wenn wir Lösungen entwickeln, die sie entlasten, bleibt mehr Zeit für die eigentliche Patientenversorgung.

Zusammenspiel von digitalen Lösungen und ärztlicher Betreuung

Wie können digitale Lösungen dazu beitragen, die Kommunikation zwischen MS-Patienten und ihren Ärzten zu verbessern?

Anamnese teilautomatisiert — Patienten können ohne Stress in Ruhe von zu Hause alle wichtigen Fragen beantworten und auch schon teilweise vorab stellen. Es wird weniger vergessen und das Gespräch fokussiert sich mehr auf das Wesentliche, statt das viel Zeit verloren geht mit ‚Informationen zusammentragen‘.

Insbesondere kann KI auch persönliche Präferenzen besser erfassen, dafür ist oft keine Zeit und auch kein breites Verständnis da.

Sie können Patienten besser vorbereiten durch mundgerechte ‚Just in time‘ Information — statt, dass man alles in einem belastenden und langen Gespräch gesagt bekommt und eigentlich keine Zeit hat, es zu verdauen.

KI und Shared Decision Making

Welche spezifischen KI-Anwendungen siehst Du als besonders nützlich für die Entscheidungsfindung in der MS-Behandlung an?

Ich denke, dass viele spezifischen Lösungen bald abgelöst werden von den großen generell anwendbaren KI-Lösungen, die indikationsübergreifend arbeiten. Wir wollen ja ganzheitlich behandelt werden und viele Menschen mit MS haben auch andere gesundheitliche Probleme. Wir brauchen nicht unbedingt mehr Insellösungen, für jede Krankheit, sondern Lösungen, die möglichst alle größeren Gesundheitsprobleme ob körperlich oder seelisch, an einem Ort managen können.

Buch „Wie gesund wollen wir sein? Warum KI und Digitalisierung das Gesundheitssystem menschlicher machen“

An wen richtet sich das Buch?

An alle, die mit dem Gesundheitswesen zu tun haben und sich fragen, was da eigentlich los ist. Egal ob Ärztinnen, Pfleger, Patientinnen oder Therapeuten — es soll uns aufzeigen, dass es eine eigentlich nicht tolerierbare Lücke gibt zwischen dem wo wir stehen und wo wir sein könnten. Gerade über Patientenvertreter als Leserinnen würde ich mich freuen.

Kannst Du kurz erläutern, wie diese Technologien konkret zu einer menschlicheren Gesundheitsversorgung beitragen können?

Ich höre oft undurchdachte Kommentare wie „was wollen Sie lieber? KI oder menschliche Behandlung?“ Viele verstehen nicht, dass das eine das andere nicht ausschließt. Im Gegenteil: Technologien wie KI und digitale Gesundheitssysteme tragen zu einer stärker auf den Menschen ausgerichteten Gesundheitsversorgung bei, indem sie Routineaufgaben übernehmen und es dem medizinischen Fachpersonal ermöglichen, sich auf persönliche Interaktionen und die Pflege zu konzentrieren. So kann KI beispielsweise bei der Diagnose helfen, indem sie riesige Mengen medizinischer Daten analysiert und Muster erkennt, die dem menschlichen Auge entgehen könnten. Dadurch bleibt den Ärztinnen mehr Zeit für einfühlsame und sinnvolle Gespräche mit den Patienten. In bestimmten Kliniken hilft das Hinzufügen eines Porträtfotos zur medizinischen Bildgebung den Diagnostikerinnen und Diagnostikern daran zu erinnern, dass sie Menschen behandeln und nicht nur Daten analysieren. Darüber hinaus stellen Systeme wie die „Always-On-Triage“ sicher, dass die Patienten ständig überwacht werden und dass Gesundheitsmaßnahmen proaktiv statt reaktiv sind. Diese Verlagerung ermöglicht eine stärker personalisierte, kontinuierliche Versorgung, statt sich nur auf die Erkennung von Notfällen zu konzentrieren.

Welche praktischen Beispiele oder Erfolgsgeschichten aus Deinem Buch zeigen, wie KI und Digitalisierung das Leben von Patienten verbessern können?

Mehrere Beispiele aus dem Buch veranschaulichen, wie KI und digitale Tools das Leben von Patienten bereits verbessert haben:

  1. In einem bemerkenswerten Fall konnte die Apple Watch ein Herzproblem bei einem Patienten erkennen, das von herkömmlichen EKG-Geräten in einer Klinik übersehen worden war. Diese Früherkennung hat dem Patienten wahrscheinlich das Leben gerettet.
  2. Ein weiteres Beispiel ist die App Dermanostic, mit der Benutzer Bilder von Hauterkrankungen einsenden und eine schnelle Diagnose erhalten können, was Zeit spart und unnötigen Stress in Situationen wie dem Urlaub vermeidet.
  3. KI wird auch eingesetzt, um durch die Analyse von Netzhautbildern frühe Anzeichen von Erkrankungen wie diabetischer Retinopathie zu erkennen und Probleme zu erkennen, bevor sie für menschliche Ärzte sichtbar werden.
      1.  

Diese Technologien verbessern nicht nur die Diagnosegenauigkeit, sondern machen das Gesundheitswesen auch zugänglicher und effizienter, wovon sowohl Patienten als auch medizinisches Personal profitieren.

Wie verändert sich Deiner Meinung nach die Rolle von medizinischem Personal im digitalisierten Gesundheitssystem, das KI nutzt?

Auswendig lernen wird weniger wichtig.

Zuhören, Beobachten, gute Fragen stellen und insbesondere auch persönliche Patientenpräferenzen verstehen und entsprechend hin zu Shared Decision Making beraten wird wichtiger.

Wir müssen künstliche und menschliche Intelligenz verbinden und uns auch darauf einstellen, dass wir dezentraler werden (das Krankenhaus ist nicht mehr lange das Schwerkraftzentrum der Versorgung).

Blitzlicht-Runde

Vervollständigen den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose…“

Eine Krankheit, die wahrscheinlich noch in unserer Lebenszeit heilbar ist. https://www.ucsf.edu/news/2024/06/427831/cure-multiple-sclerosis-scientists-say-within-our-lifetime

Welchen Durchbruch in der Digitalisierung des Gesundheitssystems wünschst Du Dir in den kommenden drei Jahren?

Vor allem wünsche ich mir, dass die Adoptionsraten von neuen Technologien schneller werden. Es dauert jetzt schon zu lange und das kostet täglich Lebensqualität, sowohl für Patienten als auch für das Personal. In Zukunft werden die Intervalle nochmal kürzer.

Technologisch bin ich persönlich besonders gespannt auf bessere Remote Patient Management (statt nur Remote Patient Monitoring) Lösungen, die über KI viel mehr und bessere Entscheidungen (im Sinne von Shared Decision Making) ermöglichen. LLMs werden da eine wichtige Rolle spielen.

Welche Internet-Seite kannst Du zum Thema Digitalisierung und KI-Einsatz im Gesundheitssystem empfehlen?

Ich mag das New England Journal of Medicine total gerne, die haben eine Sonderausgabe zum Thema Künstliche Intelligenz. Es ist nicht für Patienten geschrieben und kostet Geld, das kriegt man aber inzwischen mit ChatGPT zumindest gut übersetzt.

The Medical Futurist finde ich auch sehr gut, leider nur auf Englisch verfügbar, aber auch das kriegt man inzwischen gut übersetzt.

In Deutschland fällt mir kein wirklich gutes Medium ein, leider.

Verabschiedung

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Mut zum Ausprobieren ist total wichtig, die Welt der KI entwickelt sich enorm schnell. Ich empfehle zu experimentieren und dabei gleichzeitig sich immer zu fragen, „wo könnte das für mich und andere nützlich sein?“ Genau so wie Elektrizität ist KI eine „General Purpose Technologie“, die neue Dinge möglich macht, die bisher noch nicht möglich waren. Wir brauchen so viele Köpfe wie möglich, die sich damit auseinandersetzen und über Anwendungen nachdenken. Dafür muss man nicht studiert haben und auch nicht programmieren können!

Wo findet man dich im Internet?

Ich freue mich, wenn der Beitrag Dich dazu ermutigt, Dich mit dem Thema KI bewusst auseinanderzusetzen.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Nele von Horsten

Blogger & Patient Advocate

Ich zeige Dir, wie Du das beste aus Deinem Leben mit MS machen kannst von Familie über Beruf bis Hobbys. Denn dank Wissenschaft und Forschung ist das heutzutage möglich.

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