#325: Kognition und MS beim ECTRIMS. Den geistigen Leistungsrückgang verstehen und damit umgehen

Kognition und Multiple Sklerose (MS) sind ein immer wichtigeres Thema in der Forschung und Patient:innenversorgung geworden. Auf der diesjährigen ECTRIMS hielt Professorin Maria Pia Amato von der Universität Florenz einen umfassenden Vortrag zum Thema „Kognitive Funktionen und MS: Fortschritte und Perspektiven”.

Im Blogbeitrag fasse ich die wichtigsten Punkte ihres Vortrags zusammen. Kurz, kognitive Veränderungen sind häufig, aber es gibt auch viel, was wir tun können, um sie zu verstehen, zu beobachten und zu bewältigen.

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Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in kognitive Funktionen und MS

Wir leben in einer Zeit, in der es frühzeitige und hoch wirksame Behandlungen für MS gibt. Eine frühzeitige Diagnose und der Beginn einer Immuntherapien haben Rückfälle reduziert und das Fortschreiten der Behinderung verzögert. Allerdings bleibt das stille Fortschreiten (PIRA – Progression unabhängig von Rückfallaktivität) bestehen.

Laut der Global PROMS-Umfrage (Patient-Reported Outcomes Measures) waren die am häufigsten gemeldeten Symptome:

  • chronische Müdigkeit (86 %)
  • Stress (80 %)
  • Schmerzen (75 %)
  • Konzentrationsprobleme (75 %)
  • Gedächtnisprobleme (74 %)

2. Überblick über kognitive Beeinträchtigungen bei MS

Die Forschung zur Kognition bei MS hat Ende des 20. Jahrhunderts angefangen. Zu den frühen Arbeiten gehören:

Die Häufigkeit kognitiver Beeinträchtigungen bei MS liegt zwischen 30 und 65 %, wobei vor allem folgende Bereiche betroffen sind:

  • Aufmerksamkeit (anhaltende, geteilte, selektive Aufmerksamkeit, Verarbeitungsgeschwindigkeit)
  • Lernen und Gedächtnis (Erinnerung, Wiedererkennung, Semantik, Autobiografie)
  • Soziale Kognition (Emotionserkennung, Theory of Mind)
  • Exekutive Funktionen (Planung, Entscheidungsfindung, Arbeitsgedächtnis)
  • Sprache (Wortfindung, Sprachfluss, Grammatik)
  • Wahrnehmungsmotorische Funktionen (visuelle Wahrnehmung, visuell-räumliches Denken)

3. Von MS betroffene kognitive Bereiche

  • Kognitive Beeinträchtigungen fangen schon bei KIS (klinisch isoliertes Syndrom) an.
  • Radiologisch isoliertes Syndrom (RIS) zeigt schon bei 24 % der Patient:innen Veränderungen.
  • Wie oft kommt es vor, je nach Typ:
    • RRMS: 45 %
    • SPMS: 79 %
    • PPMS: 91 %
  • Insgesamt hat fast die Hälfte aller MS-Patient:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen zu kämpfen.

4. MS bei Kindern und kognitive Herausforderungen

Auch Kinder und Jugendliche mit MS sind betroffen:

  • Studien (2005–2023): 18–35 % zeigen kognitive Beeinträchtigungen.
  • Emilio Portaccio hat die langfristigen Folgen untersucht → MS bei Kindern beeinflusst die berufliche und soziale Entwicklung im Erwachsenenalter.
  • Bei etwa 20 % der Kinder mit MS kommt es zu einer Verschlechterung, verglichen mit 5 % der Kontrollgruppe.

5. Altern und kognitiver Leistungsabfall bei MS

Normales Altern führt zu einem Rückgang der kognitiven Fähigkeiten. Bei MS kommt noch der krankheitsbedingte Rückgang dazu, sodass das Gehirn von MS-Patient:innen „älter” aussieht, als man erwarten würde. Mit 9.000 Leuten, die an der ECTRIMS-Vorlesung teilgenommen haben, wächst das Bewusstsein für das Thema und wird hoffentlich auch die klinische Praxis beeinflussen.

6. Wie sich die kognitiven Probleme bei MS entwickeln

  • Einzelne kognitive Schübe können ohne körperliche Symptome auftreten.
  • Tom Fuchs: Studie zu kognitiven PIRA (Progression unabhängig von Schubaktivität und MRT-Aktivität).
  • 68 % der Patienten zeigten einen kognitiven Leistungsabfall, der nichts mit einer Verschlechterung des EDSS zu tun hatte.
  • Das zeigt, wie wichtig regelmäßige kognitive Überwachung ist.

7. Warum kognitive Untersuchungen wichtig sind

  • Basis-Screening mit SDMT (Symbol Digit Modalities Test) oder so was Ähnlichem.
  • Jährliche Neubewertung wird empfohlen.
  • Screening-Tools:
    • BRB (Brief Repeatable Battery) – Stephen M. Rao, Dawn Langton, Ralph H. B. Benedict
    • BICAMS – Brief International Cognitive Assessment in MS
    • MEGFIMS – Minimal Assessment of Cognitive Function in MS

Ein neues gemeinsames ECTRIMS–IMSCOGS-Leitlinienprojekt mit 55 Experten aus 27 Ländern, darunter auch MS-Patient:innen, ist im Gange.

8. Was sind die Mechanismen, die zu kognitiven Einschränkungen führen?

Kognitive Beeinträchtigungen bei MS haben mehrere Ursachen:

  • Schäden und Läsionen der weißen Substanz
  • Schwund der grauen Substanz (frühe Anzeichen für Beeinträchtigungen – Amato & DeStefano, 2004)
  • Funktionsstörungen des Netzwerks

Wichtige Forschung:

9. Kognitive Reserve und Gehirngesundheit

Kognitive Reserven können vor einem Leistungsabfall schützen. Intellektuelle Bereicherung und ein hirngesunder Lebensstil helfen dabei:

  • Ständiges Lernen
  • Soziale Interaktion
  • Geistige Anregung

Maßnahmen zum Lebensstil:

  • Mit dem Rauchen aufhören
  • Alkohol einschränken
  • Körperlich und geistig aktiv bleiben
  • Gesunde, unverarbeitete Lebensmittel essen

10. Erkennen kognitiver Phänotypen bei MS

Emelinda De Meo hat 1.212 MS-Patient:innen untersucht und dabei fünf Phänotypen gefunden:

  • Erhaltene kognitive Fähigkeiten (19 %)
  • Leichte Probleme mit dem verbalen Gedächtnis/der semantischen Flüssigkeit (30 %)
  • Leichte Probleme in mehreren Bereichen (19 %)
  • Schwere Probleme mit der Aufmerksamkeit/den exekutiven Funktionen (14 %)
  • Schwere Probleme in mehreren Bereichen (18 %)

Das Verständnis der Phänotypen hilft dabei, Behandlungen und Maßnahmen individuell anzupassen.

11. Managementansätze für kognitive Beeinträchtigungen

  • Immuntherapien: kleine, aber positive Auswirkungen auf die Kognition (Meta-Analyse von 44 RCTs).
  • Kognitive Rehabilitation: nachweislich vorteilhaft (z. B. De Luca, Chiaravalotti, Sandroff 2020).
  • Die Gedächtnisrehabilitation zeigt eine deutliche Verbesserung (Taylor et al.).
  • Durch Rehabilitation induzierte Neuroplastizität durch Bildgebung bestätigt.

Neue Ansätze:

  • Computergestütztes Training, VR, Gamification, Neurofeedback
  • Achtsamkeit & Meditation
  • Kombiniertes körperliches und kognitives Training
  • Nicht-invasive Hirnstimulation (TMS, TDCS)

Referenzierte Experten: John DeLuca, Nancy D. Chiaravalotti, Brian M. Sandroff, Anthony Feinstein (COGEx-Studie), Leigh Charvet, Hanneke Hulst.

12. Zukünftige Richtungen in der kognitiven Behandlung von MS

  • Kognition sollte in der MS-Behandlung sichtbar gemacht werden (routinemäßige Einbindung).
  • Digitale Tools sollten zur Überwachung genutzt werden.
  • Kognition sollte in klinischen Studien Priorität haben.
  • Entwickle evidenzbasierte, maßgeschneiderte Rehabilitationsmaßnahmen.
  • Fördern die Teilnahme von Patient:innen an Studien.

Anerkannte Netzwerke:

13. Zusammenfassung und Abschied

Kognition wird immer mehr zum Hauptthema in der MS-Forschung und -Behandlung. Trotz besserer Therapien bestehen weiterhin kognitive Herausforderungen. Diese sind super wichtig für die Arbeit, das soziale Leben und die Unabhängigkeit. Die gute Nachricht: Vorsorgeuntersuchungen, Reha und Änderungen im Lebensstil können echt was bewirken.

Ein herzliches Dankeschön an Prof. Maria Pia Amato für den inspirierenden Vortrag bei der ECTRIMS.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Portraitbild Nele Handwerker

Nele von Horsten

Blogger & Patient Advocate

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