Passend zu Halloween sprechen Nadja Birkenbach und ich diesmal über ein Thema, das vielen von uns vertraut vorkommt – auch ganz ohne Kostüm und Kürbis: die Dämonentage bei MS.
Mit einem kleinen Schmunzeln, aber durchaus ernst gemeint, geht es um jene Tage, an denen die inneren Geister lauter werden – Angst, Selbstzweifel, Erschöpfung oder Grübeln. Jeder Mensch mit Multipler Sklerose kennt solche Phasen, in denen die Krankheit nicht nur körperlich, sondern auch seelisch herausfordert.
In diese Folge des MS-Kamingesprächs teilen Nadja und ich offen unsere persönlichen Erfahrungen, erzählen von unseren Strategien gegen die inneren Dämonen und zeigen, wie Bewegung, Musik, Ernährung, Kreativität und Selbstmitgefühl helfen können, aus dunklen Momenten wieder Licht zu machen.
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Dämonentage und ihre Bedeutung
Nele: Unser heutiges Thema sind – passend zu Halloween – die Dämonentage.
Nadja: Und das Beste ist ja: Es gibt nichts Schlechtes, was nicht auch etwas Gutes hat. Dafür brauchen wir gar keine Halloween-Kostüme. Ich seh an Dämonentagen auch ohne Kostüm schlimm genug aus (lacht) Ja, aber im Ernst – wir wollen das Thema nicht ins Lächerliche ziehen. Diese Tage sind real, und sie gehören zu einem Leben mit MS einfach dazu.
Nele: Genau. Dämonentage können uns selbst betreffen, aber auch ausgelöst werden, wenn jemand aus unserer Familie etwas hat. Ich erinnere mich an eine Phase, als meine Tochter Verdauungsprobleme hatte – da kamen sofort Ängste hoch: „Habe ich ihr vielleicht MS vererbt?“ Rückblickend weiß ich, dass das übertrieben war, aber in dem Moment war der Dämon sehr präsent.
Nadja: Das kenne ich. Ich hatte das auch bei meiner Tochter, als der Vitamin-D-Wert niedrig war. Da springt sofort der Alarm an. Diese Trigger sind einfach stark – gerade, wenn es um unsere Kinder geht.
Dämonentage annehmen (MRT, Anspannung, Heulen)
Nadja: Ich denke, man muss die Dämonentage bei MS annehmen. Es hilft nichts, wir leben mit einer chronischen Erkrankung.
Ich hatte letzte Woche wieder so richtig schöne Dämonentage. Ich musste ins MRT, und zwar ins spinale MRT, und das hatte ich seit sieben Jahren nicht mehr. Ich lag da drin am Montagmorgen, und erst mal habe ich mir wahnsinnig leid getan. Ich dachte: „Super. Montagmorgen MRT. Ich wäre jetzt lieber in der Arbeit. Oder in einem Café. Oder irgendwo beim Sport.“ Und dann macht man sich natürlich Sorgen, was rauskommt. Und dann rutscht man in so eine schlechte Stimmungslage.
Dann denke ich mir: „Jetzt reiß dich mal zusammen! Du kennst die MS jetzt schon seit zehn Jahren.“ Und dann kommt Ärger und Frust. Dann setzt man sich selber wieder unter Druck. Das ist ja eigentlich völlig falsch – dass man die Angst und die Sorge dann auch noch mit Aggression überlagert. Und dann war ich auch noch hungrig im MRT. (Wer mich kennt, weiß: hungrig ist bei mir ganz schlecht.)
Und der ganze Tag war angespannt. Dann wurde das MRT besprochen, und eigentlich war alles in Ordnung. Ich bin nach Hause, habe gemerkt, wie die Anspannung loslässt – und dann habe ich erst mal geheult. Nicht, weil was Dramatisches rauskam. Sondern einfach, weil die Anspannung abgefallen ist. Das war so ein typischer Dämonentag bei MS.
Nadja: Und eigentlich hätte ich es mir wahrscheinlich entspannter machen können. Ich habe dann sogar Atemübungen im MRT gemacht, bewusst geatmet, versucht mich über die Atmung runterzubringen. Das hat nicht ganz so geklappt, wie ich wollte, aber ich habe es probiert. Ich habe dann auch diese Sequenzen mitgezählt, um mich abzulenken. Und ich denke, das Wichtigste ist wirklich, dass man es annimmt: „Okay, ich bin heute in dieser Stimmung.“ Und dass man dann versucht, über Atmung, Meditation, Ruhe wieder ein bisschen runterzukommen.
Nele: Das mit der Anspannung kenne ich total. Nach der Geburt meiner ersten Tochter hatte ich so einen kleinen Sensibilitätsschub in zwei meiner Zehen. Ich musste dann ins MRT. Und davor hatte ich mich mit einer anderen MS-Patientin unterhalten, bei der sie nach der Geburt gesagt haben: „Wir brauchen ein höher wirksames Medikament.“ Das ist ja eigentlich nichts Dramatisches, aber ich wollte damals länger stillen. Das Stillen war mir wichtig.
Und da ging bei mir völlig das Kopfkino los: Kopfschmerzen, Angst, „Was heißt das jetzt? Muss ich sofort umstellen? Kann ich dann noch stillen?“ Das war nicht nur ein Dämonentag. Das war wirklich eine Dämonenzeit, bis dann die Auflösung kam. Mein Neurologe hat gesagt: „Das ist alles im Rahmen. Das ist alles nicht dramatisch. Wir können bei dem Medikament bleiben.“ Das war dann wirklich nur minimal.
Und die Entspannung kam erst da. Vorher hatte ich totale Angst. Ich hatte den Podcast noch nicht, ich hatte mein Studium noch nicht, ich hatte keine echte Information. Und ohne Information rutscht man so schnell in die Angst. Das war mein großes Problem damals.
Woran merke ich einen Dämonentag?
Nele: Ich finde spannend: Man merkt oft gleich morgens, ob es ein Dämonentag wird.
Nadja: Ja, total. Ich merke das wirklich morgens beim Aufstehen – ob ich in so einer erhöhten Grundspannung bin. Ich denke mir dann: „Heute wird’s nicht gut.“ Das merke ich sofort. Das ist oft nach schlechter Nacht. Ich hatte vielleicht wieder meine Wachphase von zwei bis vier Uhr. Und dann klingelt um sieben der Wecker und schon erkennt mich mein Handy nicht, weil ich nicht mal meinen PIN ordentlich eintippen kann. So geht’s los.
Dann kommt sofort diese Schleife: „Oh Gott, was ist jetzt? Was ist heute?“ Und eigentlich müsste man sich dann wirklich sofort umprogrammieren und sagen: „Okay, heute muss ich ruhiger machen.“ Aber genau dieses Umprogrammieren fällt nicht so leicht.
Nele: Ja. Und bei Dämonentagen bei MS tut es dann gut, sich bewusst was Gutes zu tun. Sich selbst positiv zu bestärken. Menschen um sich haben, die einen aufbauen – und die Gespräche mit Menschen, die einen vielleicht eher herausfordern, eher auf einen anderen Tag schieben.
Ich trinke z. B. normalerweise ziemlich viel grünen Tee. Aber an solchen Tagen wäre vielleicht eher ein beruhigender Kräutertee oder Yoga-Entspannungstee besser als noch ein Koffein-Kick. Und rausgehen. Mir tut Natur wirklich gut.
Nadja: Mir auch. Ich setz mich aufs Radl und fahr raus. Je älter ich werde – und das klingt jetzt wie eine 80-Jährige – umso mehr merke ich, wie sehr mich Natur runterholt. Und Tiere! Ich brauche Tiere. Hund streicheln, Katze streicheln. Das entspannt mich total.
Nele: Ja. Tiere haben nicht so viele Ansprüche. Meine Tante hatte einen Hund, Abby. Ich bin so gern mit ihr spazieren gegangen. Die hat sich einfach nur gefreut, dass ich da bin. Das war total wohltuend.
Bewegung, Alltag und kleine Stellschrauben
Nele: Ich merke auch einen Unterschied, ob ich meine Kleine mit dem Fahrrad in die Kita bringe oder mit dem Auto. Wenn ich mit dem Rad fahre, habe ich schon Bewegung gehabt. Mehr Sauerstoff, ein bisschen Anstrengung. Das tut gut. Und auch wenn ich zu Hause Sport vorm Computer mache – ich nutze so eine Plattform dafür. In der Schwangerschaft war ich super regelmäßig dran. Danach war es schwieriger, wieder in die Routine reinzukommen. Aber jetzt, wo ich mein Multiple Sklerose Managment Studium und die Weiterbildung als Europäische Patientenvertreterin (EUPATI) abgeschlossen habe, ist es mein Ziel, wieder zwei- bis dreimal die Woche Sport zu machen. Weil ich merke: Das ist gut, das macht was mit mir.
Nadja: Und Schlaf. Zu wenig Schlaf ist einfach Gift. Albträume, Grübeln, schlaflose Phasen – das kann alles einen Dämonentag triggern.
Nele: Voll. Und dann ist oft auch irgendwas im Unterbewusstsein los. Themen, die einen beschäftigen und nicht loslassen. Die schwirren dann nachts rum, und morgens sind die Dämonen schon da.
Ernährung an Dämonentagen bei MS
Nele: Was bei mir gar nicht hilft, ist Schokolade. Das ist nur so ein kurzer, unechter Trost. Ich kann’s dann auch gar nicht genießen. Was mir wirklich hilft, ist ein gutes Mittagessen, z. B. bei unserem Asiaten hier in der Nähe. Was Warmes, mit viel Gemüse. Das nährt mich richtig. Das ist ein echter Unterschied.
Nadja: Das geht mir genauso. Ich brauche auch was Warmes. Und ich finde auch: Man muss seinem Körper an so einem Tag wirklich was Gutes tun. Und sich’s gemütlich machen. Bequeme Kleidung, wenn’s irgendwie geht. Natürlich, wenn du einen Business-Termin hast, musst du da rein. Aber wenn du die Wahl hast, dann lieber weich und gemütlich.
Und Pausen. Wirklich kleine Freiräume in den Tag einbauen. Wärmflasche, wenn man Schmerzen hat. Kältepack, wenn es besser mit Kühlen geht. Sich die Schultern massieren lassen, wenn jemand da ist. Sich kraulen lassen. Auch annehmen, dass Nähe helfen darf.
Nele: Massage wäre für mich super, gerade an Dämonentagen. Ich liebe Thai-Massage. Aber so schnell kriege ich da leider keinen Termin. (lacht).
Was ich aber wirklich mache, wenn ich’s schaffe bewusst wahrzunehmen: Atmung. Ich neige an solchen Tagen dazu, viel zu flach zu atmen. Und wenn ich mich dran erinnere, dann atme ich wirklich tief ein, tief aus. Ganz bewusst. Das hilft mir, runterzukommen.
Runterfahren am Abend: Hörbücher, Podcasts, nichts Aufregendes
Nele: Wenn ein Dämonentag abends ausläuft, höre ich gern Hörbücher. Aber nicht zu harte Sachen. Keine Krimis, nichts Aufwühlendes. Sondern eher Kinderpodcasts wie der „Ohrenbär“ – den höre ich eigentlich mit meiner großen Tochter. Die Kleine kriegt da noch nicht alles mit. Aber das sind kurze, warme Geschichten und nichts Schlimmes passiert.
Ich stelle mir dann auch manchmal einen Timer auf zehn Minuten. Wenn ich schon halb wegdöse, verpass ich nicht gleich die Hälfte der Story.
Nadja: Das mit dem Timer mache ich auch. Damit es nicht wie früher bei den Kassetten ist. (An die Älteren: Ja, wir erinnern uns an Zurückspulen!)
Ich kann übrigens abends wirklich nichts hören, was mich aufregt. Wirklich nichts. Ich suche mir bewusst ruhige Sprecher:innen aus, die angenehm lesen. Wissenschaftssachen gehen bei mir auch gut. Wenn ich nicht alles verstehe, schlafe ich eher ein. (lacht)
Und manchmal brauche ich sogar noch einen Zwischenschritt, bevor ich ins Bett gehe, weil ich noch zu nervös bin. Dann setze ich mich aufs Sofa und lasse etwas total Ruhiges im Fernsehen laufen. Irgendeinen Sport, bei dem ganz ruhig kommentiert wird. Snooker zum Beispiel. Das beruhigt mich total, da kann ich super einschlafen.
Nele: (lacht) Also, die Einschaltquote kommt dann nur zustande, weil die Leute einschlafen wollen?
Nadja: Wahrscheinlich! Es tut mir so leid. Ich bewundere das wirklich. Aber ja – zum Einschlafen ist das perfekt.
Aufgaben runterfahren statt Leistung abliefern
Nadja: An Dämonentagen bei MS ist man oft so verkopft. Dieses: „Ich muss noch das erledigen, und das, und das, und das auch noch ganz schnell!“ Eigentlich müsste man wirklich bewusst sagen: Stopp. Was MUSS heute wirklich? Und was kann ich auf die nächsten Tage verschieben?
Ich habe eine Freundin, die sagt dann ganz entspannt: „Ich habe in den Kalender geschaut und gedacht – ach, das verschiebe ich einfach mal auf die nächsten Tage. Ich prokrastiniere heute.“ Und da muss ich immer lachen. Sie ist da echt mein Vorbild. Ich bin eher der Hektiker, alles sofort erledigen. Aber an Dämonentagen ist „Little Steps“ wichtig. Nicht performen. Sondern runterfahren.
Nele: Ja. Und Pausen machen darf man wirklich.
Weinen (auch vorm Spiegel), Füße ins Wasser und kleine Rituale
Nadja: Und wenn einen die Traurigkeit richtig packt, dann weine ich einfach. Und manchmal weine ich sogar vorm Spiegel. Das klingt komisch, aber wenn ich mich beim Weinen sehe, denke ich mir: „Mein Gott, du arme Maus.“ Und dann kommt dieses Gefühl, dass ich mich beschützen will. Das hilft mir. Danach geht’s leichter weiter.
Ich habe da immer diesen Satz im Kopf: Sei dir selbst die beste Freundin, der beste Freund. Frag dich: Wenn das jetzt jemand wäre, den du liebst – was würdest du sagen? Und dann sag es dir selbst.
Und was mir auch hilft: Kleine körperliche Selfcare-Dinge. Badewanne einlassen. Fußbad machen. Füße eincremen. Ich finde Fußpflege total entspannend. Wärmflasche. Oder im Winter die Füße in so ein warmes, blubberndes Fußbad-Gerät halten.
Nele: Fußbad mag ich auch total. Gerade in der dunklen Jahreszeit. Und ja, Husten – wir schneiden das vielleicht nicht alles raus, also sorry an der Stelle, mein Kind hat halt gerade echte Dämonen in Form von Viren oder Bakterien. (hustet) Aber das gehört dazu.
Nadja: Und ich überlege mir jetzt echt, ob ich mir so eine Tageslichtlampe hole. Wenn es wieder Winter wird, weniger Sonne, mehr Dunkelheit – vielleicht reagiert der Körper dann besser, wenn er mehr Licht bekommt. Man muss einfach Dinge ausprobieren.
Ja. Und wir teasern hier schon mal: Wir werden demnächst selber etwas Neues ausprobieren – als kleine Versuchskaninchen – und dann in einer der nächsten Kamingesprächs-Folgen darüber berichten.
Genau. Wenn ihr Ideen habt, was wir mal testen sollen – gerade Dinge, die MS-Patient:innen empfohlen werden – dann sagt Bescheid. Wir testen für euch. Wir sind offen für Vorschläge.
Höhle bauen, sich zurückziehen, nett zu sich sein
Nadja: Ich finde, an einem Dämonentag sollte man sich ruhig in seine Höhle zurückziehen. Also wirklich wortwörtlich: Decke, Kissen, Wärmflasche oder Kühlung – je nach Jahreszeit. Ein schöner Tee oder ein leckerer, alkoholfreier Drink mit Kräutern oder Eiswürfeln. Gemütlich machen. Sich verwöhnen. Nett zu sich sein.
Nele: Genau. Nicht immer funktionieren, nicht performen. Sondern sagen: „Heute bin ich dran.“
Glückstagebuch, Bucketlist und dankbare Gedanken
Nele: Was ich total mag, ist ein Glückstagebuch. Ich habe das in einer Phase gemacht, in der ich über längere Zeit Schwierigkeiten mit mir selbst hatte – eher Dämonenwochen als Dämonentage. Und das Glückstagebuch hilft wirklich, weil man sich bewusst macht, dass man selbst an schlechten Tagen schöne Momente hatte: Jemand hat dir zugelächelt. Du hast ein schönes Lied gehört. Du hast etwas gesehen, das dich berührt hat. Und dann gehst du mit diesen letzten Gedanken ins Bett.
Nadja: Ja. Und ich denke mir abends auch gern: Wo möchte ich eigentlich noch hin? Was ist noch auf meiner Bucketlist? Was möchte ich noch erleben? Ich schaue mir schöne Strände an oder – in meinem Fall – Island. (lacht) Ich will ja immer wieder diesen traditionellen Kuchen essen. (Ich krieg den Namen nie richtig hin, Sköfel-Kaka oder so ähnlich.) Oder ich träume von Alaska: Ich sehe mich da in so einer riesenlangen Anglerhose, mit Gummistiefeln, mitten in einem Fluss stehen und angeln.
Nele: (lacht) Und ich sehe dich dann, wie du die Angel wirfst, irgendwo im Ast hängen bleibst, dann rumzappelst und patschnass wirst!
Nadja: Genau so wird’s laufen. Ich denke da sofort an Petterson und Findus.
Nele: Und Island kann ich unterschreiben. Island ist großartig. Außer der fermentierte Hai. Den haben wir probiert, als wir dort waren. Ich fand den Geschmack so schlimm, ich habe danach wirklich Schnaps getrunken, obwohl ich sonst keinen Schnaps trinke. Aber Island? Gehört absolut auf die Bucketlist. Lohnt sich.
Kreativität: Schreiben, Malen, Karten lesen
Nele: Was ich auch schön finde: kreative Sachen. Ich habe damals in einer schwierigen Zeit (Thema Kinderwunsch etc.) ein Buch gehabt mit so Ideen: Eine Figur zeichnen, ohne einmal abzusetzen. Farben einfach aufs Papier bringen und erst später mit einem schwarzen Stift Linien reinziehen in das, was man da sieht. Muster in Baumrinden suchen. Das hat mich runtergebracht.
Nadja: Kalligrafie ist bei mir so ein Ding. Das beruhigt mich total. Dieses konzentrierte Schönschreiben.
Nele: Ich schaue mir außerdem alte Karten und Nachrichten an. Karten von lieben Menschen zum Geburtstag, aus dem Urlaub. Auch Nachrichten von Menschen, die ich leider schon verloren habe. Das macht mich manchmal traurig – aber gleichzeitig auch dankbar, weil diese Menschen ein Teil meines Lebens sind und mich geprägt haben.
Oder Fotos von den Kindern. Das hilft auch. Sich erinnern: „Das hatte ich alles schon. Das war schön.“ Und dann kann man dankbar sein für sein eigenes Leben – auch mit MS.
Nadja: Ja. Und da sagst du ja auch oft: Du lebst bewusster durch die MS. Es klingt für viele komisch, aber ich sage wirklich oft: Die MS hat mich bewusster gemacht. Klar, es ist eine chronische Erkrankung, klar, die Dämonentage sind nicht lustig. Aber ich lebe aufmerksamer. Ich passe besser auf mich auf.
Musik als Ventil (Weinen dürfen, Umschalten dürfen)
Nele: Musik ist für mich ein richtiges Werkzeug. Ich mache das manchmal so: Ich höre zuerst Musik, die mich traurig macht – bewusst traurig. Dann weine ich. Ich lasse das raus. Und dann stelle ich um auf Musik, bei der ich mitsingen kann. Udo Jürgens zum Beispiel. (Nicht meine Generation eigentlich, aber man kann so schön mitsingen.) Oder – jetzt, wo meine Tochter total auf Helene Fischer steht – sogar Helene Fischer. (lacht) Und dann singe ich laut mit. Vielleicht bin ich danach nicht super glücklich, aber ich gehe mit einem besseren Gefühl ins Bett. Und ich habe meine Nachbarn „erfreut“.
Nadja: Ich habe eine richtige Power-Playlist für den Sport. Songs, bei denen ich tanzen muss, mitsingen muss. Die hebe ich mir auf für solche Momente. Und ich finde das Thema Musik insgesamt so spannend. Ich war neulich auf einem Konzert/Vortrag, da ging es darum, wie Musik wirkt. Das ist ja z. B. bei demenzerkrankten Menschen total beeindruckend: Die erkennen manchmal ihre eigenen Angehörigen nicht mehr – aber sie können alte Lieder noch mitsingen. Musik sitzt so tief in uns. Und sie kann uns rausholen aus so einem Dämonentag. Vielleicht machen wir irgendwann mal einen „Dämonensong“. Karaoke-Bar und so. (lacht) Da rennen dann alle Dämonen weg und halten sich die Ohren zu.
Humor, liebe Menschen und Hape
Nadja: Was mir noch hilft: Humor. Albern sein dürfen. Lachen dürfen – auch über uns selbst. Es gibt ja Leute wie Hape Kerkeling, bei denen ich einfach sofort lachen muss. Das vertreibt echt jeden Dämonentag. (Wir haben Hape jetzt erwähnt – hallo Hape, falls du zuhörst. 😉)
Nele: Ja, es gibt so Ausschnitte, da kann ich heute noch laut lachen. Und manchmal ist genau das der Punkt: kurz raus aus der Schwere.
Nadja: Und: Menschen. Ich habe Menschen in meinem Leben, die wissen sofort, was „Ich habe heute einen Dämonentag“ bedeutet. Die sagen dann: „Komm, ich hol dich ab, wir gehen was essen“ oder „Soll ich dir was vorbeibringen?“ Dieser Austausch ist so wichtig.
Ich sage dann manchmal direkt: „Heute jammere ich.“ Und selbst das Jammern wird dann irgendwann lustig.
Reflexion am Ende des Tages
Nele: Wenn der Dämonentag bei MS langsam ausläuft, kann man sich auch fragen: Gab es was, das mir geholfen hat? Was kann ich beim nächsten Mal direkt früher machen, damit der Dämon nicht so groß wird oder nicht so lange bleibt?
Nadja: Ja. Und sich bewusst sagen: Der Tag geht vorbei. Morgen ist ein neuer Tag. Ohne Tief würde man die guten Tage gar nicht so schätzen. Ohne Kontraste wäre alles gleich. Und gleich wäre auch langweilig.
Nele: Genau. Außerdem zeigt uns so ein Tag auch: Wir leben. Wir fühlen. Und wir sind wichtig.
Wichtiger Hinweis zum Schluss
Nele: Bitte denkt daran: Wenn diese Dämonentage nicht nur mal kommen, sondern bleiben – also wenn die Phase wirklich länger anhält, dann holt euch Hilfe. Viele Menschen mit MS haben depressive Phasen. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss. Hilfe ist möglich.
Es gibt ärztliche Unterstützung, psychologische Unterstützung, und im Notfall auch Krisen-Hotlines. Bitte keinen Quatsch machen. Ihr seid wichtig.
Nadja: Seid euch selbst die beste Freundin / der beste Freund. Schaut auf euch. Und nehmt Hilfe an, wenn ihr sie braucht.
Nele: In diesem Sinne: Habt ein schönes Halloween – und auch an allen anderen Tagen. Seid lieb und gnädig zu euch. Ihr seid wertvoll.
Nadja: Bis bald.
Nele: Bis bald. Tschüss.
💙 Hinweis: Dieser Beitrag ersetzt keine ärztliche Beratung. Wenn du merkst, dass Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit oder Antriebslosigkeit länger anhalten, sprich bitte mit deinem Behandlungsteam oder einer psychologischen Fachkraft.
z.B. Infotelefon Depression
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Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele
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