#329: Inklusive Interessenvertretung – Mehr Vielfalt bei der Beteiligung von MS-Patient:innen mit Trishna Bharadia

Heute rede ich mit Trishna Bharadia, die als Beraterin für Patient:innenbeteiligung sehr aktiv ist und mit verschiedenen Unternehmen sowie Patient:innenorganisationen zusammenarbeitet. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass Menschen mit Multipler Sklerose in die Planung und Umsetzung von Kampagnen, Versorgungsangeboten und den Dialog mit unterschiedlichen Interessengruppen einbezogen werden.
Sie teilt in diesem Gespräch ihr Wissen, zeigt typische Beispiele für gut umgesetzte Patient:innenorientierung und gibt wertvolle Tipps, wie man selbst aktiv werden kann – inklusive Hinweise, wo man die passende Ausbildung dafür findet.

Hinweis: Dieses Interview ist eine Übersetzung aus dem Englischen. Es entstand ursprünglich 2023 für den internationalen Podcast „MS-Perspektive“, der von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung unterstützt wurde.

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Inhaltsverzeichnis

Vorstellung – Wer ist Trishna Bharadia?

Trishna Bharadia ist eine mehrfach ausgezeichnete Beraterin für Patient:innenbeteiligung, Gesundheitsaktivistin, Rednerin, Autorin und Content-Erstellerin und wohnt in Maidenhead im Vereinigten Königreich.

Definition von Patient:innenbeteiligung bei MS

Trishna, als Patientenvertreterin – wie definierst du „Patient Engagement“ und warum ist es im Zusammenhang mit Multipler Sklerose (MS) so wichtig?

Trishna Bharadia: Für mich bedeutet Patient:innenbeteiligung, dass Betroffene als gleichberechtigte Partnerinnen* in allen Bereichen des Gesundheitswesens eingebunden werden. Es geht nicht nur darum, dass man gefragt wird, ob man teilnehmen möchte – es geht darum, Prozesse wirklich gemeinsam zu gestalten. Bei MS heißt das, dass Menschen mit eigener Erfahrung bei Entscheidungen mit am Tisch sitzen – sei es bei klinischen Studien, der Entwicklung von Therapien, der Gesundheitspolitik oder bei Aufklärungskampagnen.

MS ist eine sehr variable Erkrankung. Die Symptome unterscheiden sich von Person zu Person, und was einer Person hilft, kann bei einer anderen nicht wirken. Deshalb ist echte Beteiligung so entscheidend: Sie stellt sicher, dass Lösungen sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren und die Realität widerspiegeln. Ohne die Stimme der Patient:innen besteht die Gefahr, dass Maßnahmen an den Menschen vorbeigeplant werden.

Herausforderungen bei der Beteiligung von MS-Betroffenen

Mit welchen Schwierigkeiten haben MS-Patient:innen zu kämpfen, wenn sie sich in ihre eigene Versorgung einbringen möchten?

Trishna Bharadia: Es gibt einige Hürden. Zunächst einmal ist Gesundheitskompetenz ein großes Thema – medizinische Fachbegriffe oder das Gesundheitssystem können sehr komplex wirken. Außerdem fehlt vielen das Selbstvertrauen, aktiv Fragen zu stellen oder eine andere Meinung zu äußern – besonders in Kulturen, in denen Ärztinnen und Ärzte als alleinige Autorität gelten.

Ein weiteres großes Thema ist die Barrierefreiheit. Fatigue, kognitive Einschränkungen oder körperliche Symptome erschweren es, an Veranstaltungen oder Treffen teilzunehmen. Auch finanzielle Hürden spielen eine Rolle – Reisekosten, Arbeitsausfall oder fehlender Internetzugang. Um das zu ändern, braucht es gemeinsame Anstrengungen: Das Gesundheitssystem muss inklusiver werden, und wir als Patient:innenvertreter:innen müssen vielfältige, zugängliche Möglichkeiten zur Teilhabe schaffen.

Patient:innen durch Engagement stärken

Wie können MS-Betroffene aktiv an ihrer Behandlung und Entscheidungsfindung mitwirken?

Trishna Bharadia: Engagement beginnt im Kleinen. Es kann heißen, beim Arzttermin gezielt Fragen zu stellen, Therapieoptionen offen zu besprechen oder gemeinsam mit dem Behandlungsteam persönliche Gesundheitsziele festzulegen. Darüber hinaus können sich Patient:innen in MS-Organisationen engagieren, in Beiräten mitarbeiten oder an Forschungsprojekten teilnehmen. Jeder Beitrag stärkt die gemeinsame Stimme der MS-Community.

Ein großartiges Angebot ist EUPATI – die European Patients’ Academy on Therapeutic Innovation (eupati.eu). Sie bietet Schulungen, wie Patient:innen sich in Forschung und Medikamentenentwicklung einbringen können. Auch die EURORDIS Open Academy (openacademy.eurordis.org) und die Online-Kurse der EFNA (efna.net/elearning) sind hervorragende Ressourcen, um zu lernen, wie man als Patient:innenvertreter:in effektiv wirkt. Wissen ist Macht – wer das System versteht, kann darin etwas bewegen.

Einfluss auf klinische Studien und Forschung

Welchen Einfluss hat Patient:innenbeteiligung auf klinische Studien und Forschungsprojekte im Bereich MS?

Trishna Bharadia: Einen enormen! Wenn Patient:innen schon früh in die Studienplanung einbezogen werden, werden die Abläufe praxisnäher und realistischer. Ein gutes Beispiel ist das Roche Mechanics of MS Analogy Toolkit (Link) – ein tolles Instrument, das komplexe wissenschaftliche Konzepte in leicht verständliche Vergleiche übersetzt. So können Betroffene und Familien die Krankheit besser nachvollziehen.

Ein weiteres hervorragendes Beispiel ist MS in the 21st Century (msinthe21stcentury.com/en). Hier arbeiten Patient:innen, Ärzt:innen und Vertreter:innen der Industrie partnerschaftlich zusammen, um Materialien, Leitlinien und Projekte zur Verbesserung der MS-Versorgung weltweit zu entwickeln. Das ist echte Zusammenarbeit.

Aufklärung und Unterstützung für Patient:innenbeteiligung

Du engagierst dich stark in der Aufklärungsarbeit. Wie förderst du den Zugang zu Information und Bildung für Menschen mit MS?

Trishna Bharadia: Mein Fokus liegt darauf, dass Informationsmaterialien verständlich, inklusiv und relevant sind. Das heißt: einfache Sprache, verschiedene Formate (zum Beispiel Videos mit Untertiteln oder Infografiken) und Übersetzungen in mehrere Sprachen. Ich arbeite mit Organisationen wie Health Union (health-union.com) zusammen, die Online-Communities und Lernplattformen schaffen, auf denen Patient:innen Erfahrungen teilen und verlässliche Informationen finden können.

Der Zugang zu Wissen darf niemals vom sozialen Hintergrund abhängen. Jede Person hat das Recht, informierte Entscheidungen über die eigene Gesundheit zu treffen.

Vielfalt und Repräsentation in der Patientenstimme

In deiner Arbeit spielt Inklusion eine große Rolle. Wie stellst du sicher, dass vielfältige Stimmen gehört werden?

Trishna Bharadia: Inklusion bedeutet viel mehr als Herkunft oder Geschlecht. Sie umfasst auch soziale Lage, Wohnort, Bildung, digitale Kompetenz und kulturelle Hintergründe. Ich ermutige Organisationen immer, über den bekannten Kreis hinauszuschauen – wir müssen gezielt Menschen einbinden, die sonst oft übersehen werden.

Ein gutes Beispiel ist die Novartis-Kampagne „More to uS“ (Link), die die Vielfalt der Lebensgeschichten von MS-Betroffenen zeigt. Sie macht deutlich, wie kraftvoll persönliche Geschichten sein können, um Vorurteile abzubauen.

Ebenfalls inspirierend ist das Merck Patient Group Forum (Link). Es zeigt, was entsteht, wenn Patient:innen und Pharmaunternehmen wirklich partnerschaftlich zusammenarbeiten – gemeinsames Gestalten statt bloßer Beratung.

Die Rolle von Peer-Support und Gemeinschaft

Welche Rolle spielen Peer-Netzwerke dabei, MS-Patient:innen zu mehr Beteiligung zu befähigen?

Trishna Bharadia: Eine ganz entscheidende. Solche Netzwerke bieten emotionale Unterstützung, teilen praktische Tipps und geben Selbstvertrauen. Viele entdecken über diese Gemeinschaften erst ihr Interesse an Aufklärung und Engagement. Ob Online-Foren, Facebook-Gruppen oder lokale Treffen – überall entstehen sichere Räume für Austausch und gegenseitiges Lernen.

Ich habe viele Menschen erlebt, die anfangs verunsichert und ängstlich waren und dank der Community zu selbstbewussten Fürsprecher:innen wurden. Das ist die Kraft von Gemeinschaft – sie vervielfacht Stärke.

Wirkung und Zukunft der Patient:innenbeteiligung bei MS

Kannst du erfolgreiche Beispiele nennen, die das Leben von MS-Patient:innen verbessert haben?

Trishna Bharadia: Ja, gerne. MS in the 21st Century beeinflusst weiterhin die weltweite MS-Versorgung positiv. Auch Health Union ist ein großartiges Beispiel – sie bieten digitale Räume, in denen Patient:innen authentisch miteinander in Kontakt treten und Erfahrungen austauschen können. Jede Geschichte zählt dort wirklich.

Ich schätze auch EUPATI und die EURORDIS Open Academy, weil sie Patient:innen das nötige Wissen vermitteln, um auf Augenhöhe mit Forscher:innen und Entscheidungsträger:innen zusammenzuarbeiten. Informierte Patient:innen sind starke Partner.

Welche Bedeutung haben Angehörige und Pflegepersonen dabei?

Trishna Bharadia: Eine sehr große. Sie beobachten oft Veränderungen oder Bedürfnisse, die Betroffene selbst gar nicht bemerken. Wenn man sie einbezieht, werden Engagement-Initiativen umfassender und nachhaltiger.

Und wie sieht deiner Meinung nach die Zukunft der Patient:innenbeteiligung aus?

Trishna Bharadia: Ich glaube, sie wird in Zukunft selbstverständlich in alle Bereiche des Gesundheitswesens integriert sein – nicht mehr als Zusatz, sondern als Standard. Wir brauchen Strukturen, in denen Mitbestimmung fest verankert ist. Die Zukunft liegt in dauerhafter Zusammenarbeit, Bildung und Gleichberechtigung.

Die Werkzeuge sind schon da – die Herausforderung besteht darin, sie wirklich inklusiv und effektiv zu nutzen. Initiativen wie die EFNA-Online-Kurse und die EURORDIS Open Academy bilden bereits eine neue Generation von engagierten, informierten Patient:innenvertreter:innen aus.

Abschluss

Welchen Rat würdest du MS-Betroffenen geben, die sich engagieren möchten?

Trishna Bharadia: Fang einfach dort an, wo du bist. Du musst keine Expertin sein oder eine große Plattform haben. Nimm an einem Webinar teil, belege einen Online-Kurs oder teile deine Erfahrungen in einer Selbsthilfegruppe. Jede kleine Aktion trägt zu einer größeren Bewegung bei. Deine Erfahrung ist wertvoll – nutze sie.

Liste der Websites, die zum Thema Patient:innenbeteiligung erwähnt wurden

Trishna Bharadia nennt ein paar Plattformen, auf denen du lernen kannst, wie du selbst Patient:innenvertreter:in werden kannst, sowie ein paar echt gute patientenorientierte Initiativen. Du findest sie alle hier.:

Wie und wo kann man dich online finden?

Vielen Dank an Trishna Bharadia für das super informative Interview und dafür, dass sie uns gezeigt hat, dass es sich lohnt, für sich selbst, aber auch für eine größere Gruppe von Patient:innen zu arbeiten. Ich wünsche Trishna weiterhin viel Energie und natürlich alles Gute für ihren eigenen Weg mit MS. Es ist echt toll, was sie schon erreicht hat und wie sie zu einer inklusiveren Gesellschaft beiträgt.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Nele von Horsten

Blogger & Patient Advocate

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