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Mit Multipler Sklerose gerät man schnell in einen Kontrollwahn, um so gesund wie möglich zu leben. Ein bisschen mehr Gelassenheit tut da gut.
Warum kann es zum Kontrollwahn kommen?
Kurz nach meiner Diagnose Multiple Sklerose hatte ich mich emotional gefangen, aber ich wollte unbedingt alles dafür tun, um weiterhin gesund zu bleiben und möglichst keine Beeinträchtigungen von der Krankheit zu bekommen. Ein völlig verständlicher Ansatz und es wichtig selbst aktiv auf die eigene Gesundheit einzuwirken.
Für mich bedeutete das, dass ich fortan quasi keinen Alkohol mehr trank, Zucker vermied und mich sogar zum Joggen zwingen wollte. Denn Joggen ist gut für den gesamten Bewegungsapparat und bei MS eine sinnvolle Sportart. Es gab nur ein Problem, ich mochte Joggen nicht wirklich. Und mit inneren Blockaden ist es schwierig eine gute Routine reinzubekommen. Kleiner Spoiler, es hat noch jahrelang gedauert bis ich Joggen mochte und sogar mit einer gewissen Freude die Laufschuhe anzog.
Mir wurde zu Beginn keine Basistherapie empfohlen, weil der Stand der Wissenschaft in 2004 noch ein anderer war. Erst mit meinem zweiten Schub Ende 2008 und dem Wechsel zum MS-Zentrum in Dresden fing ich an mich täglich zu spritzen. Außerdem trainierte ich nun regelmäßig meine kognitiven Fähigkeiten mit einer Anwendung am PC, mittlerweile meist in der App-Version.
Ich lebte in den ersten Jahren sehr restriktiv, um auf jeden Fall mit meiner gesamten Kraft und Macht gegen die Krankheit anzugehen. Und das ist auch gut so. Bis heute halte ich mich an all die Empfehlungen, die es dazu gibt. Mit einem Unterschied, ich gönne mir kleine Auszeiten.
Wie findet man zur Balance mit positiver Ausrichtung?
Ich esse jetzt auch mal ein Stück Kuchen oder nasche das Karamell-Popcorn. Ja, Zucker ist nicht gesund und ich versuche, meinen Konsum nicht ausufern zu lassen. Aber ich bin nicht mehr komplett dogmatisch. Denn der Kontrollwahn bringt mich sonst in einen neuen Käfig. Einen Käfig aus Regeln, der mir beim Verlassen Angst bereitet und mich gleichzeitig in meiner Bewegung enorm einschränkt.
Viel lieber betrachte ich mein Leben als einen schönen Garten, den ich pflege, in dem Blumen blühen, Insekten herumschwirren und ich reichlich Obst und Gemüse verkosten kann. Der von einem kleinen Bach durchflossen wird und es schattige Plätze unter den Ästen einer Hängebirke gibt.
Sprich, ich beachte und lebe überwiegend all die Empfehlungen für MS-Patienten zur Ernährung, Bewegung und den anderen Bereichen. Aber ich gönne mir kleine Auszeiten und genauso manchen Empfehlungen nicht zu folgen, die mir komplett widerstreben.
Fasten zum Beispiel passt nicht zu mir. Es ist erwiesenermaßen gesund und ist für mich auch völlig schlüssig, warum die Entlastung des Darmtraktes gut ist, aber ich mag es nicht. Und deshalb erlaube ich mir, diese Empfehlung nicht zu befolgen. Zumindest bisher nicht. Wer weiß, ob ich in ein paar Jahren sogar gern faste, weil ich mich im Laufe meines Lebens schließlich verändere.
Und wenn ich Appetit auf etwas Süßes habe, dann gönne ich es mir, aber nur manchmal. Und weil ich mich meist gesund ernähre, bekommt mir zu viel Süßes gar nicht. Mein Bauch beschwert sich dann mit einem unangenehmen Völlegefühl, mein Blutzuckerspiegel rast nach oben und fällt wieder ab und ich habe schnell wieder Hunger und bin leichter reizbar.
Lieber bewusst leben als dem Kontrollwahn verfallen
Damit will ich sagen, dass es reicht, wenn man den überwiegenden Teil der Zeit gesund lebt und dann kleine Ausnahmen okay sind. Denn solange es kleine Exkurse sind, fallen nicht ins Gewicht. Wenn du meist in deinem schönen Garten umherwandelst und ihn vielleicht sogar stetig vergrößerst, indem du neue Rezepte ausprobierst, mal einen anderen Sport versuchst, dich kognitiv schulst, offen gegenüber anderen Menschen bleibst und in dir selbst ruhst, sind Ausflüge in die Umgebung erlaubt.
Warum nicht mal die schroffen Bergspitzen erklimmen und reißenden Bäche auf einer Hängebrücke überqueren. Solange du das Gespür für die Gefahr beibehältst, die ein täglicher Alkoholkonsum, permanentes Junk Food und ein bewegungsarmes Leben bedeuten, kannst du ruhig mal über die Stränge schlagen.
Denn eins ist klar, es gibt kein komplett beherrschbares und kontrolliertes Leben. Das ist nicht möglich. Zum Glück. Denn sonst hätte es allen Reiz verloren. So blöd vielleicht manchmal die Unglücke im Leben sind, so reizvoll können unvorhergesehene Begegnungen sein.
Das Gute im Negativen finden und darauf konzentrieren
Vermutlich wäre ich ohne die Diagnose MS nicht oder erst später ins Ausland gegangen, hätte dort nicht eine enge Freundschaft mit meiner Großcousine geschlossen, wunderbare Menschen kennengelernt und anschließend einen Job in einer internationalen Firma begonnen, wo die Kommunikation hauptsächlich in Englisch abläuft.
Wenn mein Kinderwunsch eher erfüllt worden wäre, hätte ich vermutlich nie im Ehrenamt Kindern vorgelesen und dabei erlebt, wie sehr einem auch fremde Kinder ans Herz wachsen können, die man nur einmal die Woche oder seltener sieht. Und die Dankbarkeit der Eltern und Freude der Kinder beim Vorlesen wäre mir verwehrt geblieben.
Es ließen sich zig andere Beispiele nennen. Ein Absturz ins tiefe dunkle Loch bewirkt sehr oft, das wir durch eine Höhle mit Tropfsteinen oder alten Wandmalereien wandeln und am Ende bereichert wieder ins Licht hinaustreten.
Fazit
Versuch, deine Gesundheit positiv zu beeinflussen, aber gönne dir kleine Pausen, wenn du sie nötig hast. Und wenn es mal nicht so läuft oder du sogar einen Rückschlag erlebst, dann denk dran, dass das Leben eine große Wundertüte ist und auch die negativen Erlebnisse oft positive Folgen haben.
Wie ist es bei dir, erliegst du dem Kontrollwahn? Lässt du alles geschehen? Oder bewegst du dich irgendwo in der Mitte?
Bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele
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