Hallo und willkommen zu einer weiteren Zusammenfassung vom ECTRIMS 2024, in der es diesmal um das Deeskalieren und das Absetzen der Therapie geht. Dazu gab es sowohl eine wissenschaftliche Vortragsreihe mit sechs Vorträgen, die von Dr. Melinda Magyari und Prof. Bernhard Hemmer moderiert wurde. Und außerdem noch einzelne Poster. Abgesehen von einer Arbeit über NMOSD und MOGAD beschäftigten sich alle wissenschaftlichen Arbeiten mit Multipler Sklerose.
Ich stelle alle Arbeiten und deren teils noch vorläufige Ergebnisse vor. Denn schließlich ist es ein Thema, dass wohl die allermeisten von uns beschäftigt. Kann oder sollte ich irgendwann meine Therapie von hoher Wirksamkeit auf eine niedrigere Umstellen oder sogar ganz stoppen und wann ist das ein sicheres Vorgehen.
Inhaltsverzeichnis
Was bedeutet Deeskalieren der Therapie?
Das die Intensität der Behandlung reduziert wird, also von einer hochwirksamen Therapie zu einer mittleren oder nur gering wirksamen Therapie. Etwas was sowohl interessant für uns PatientInnen ist, aber natürlich auch die ÄrztInnen interessiert. Auf der einen Seite, will niemand eine wieder aufflammende MS riskieren oder eine schleichende Verschlechterung, die an Geschwindigkeit zunimmt, andererseits altert unser Immunsystem mit der Zeit.
Die meisten Studien zu den verlaufsmodifizierenden Therapien wurden nur in der Altersgruppe von 18 bis 55 Jahre durchgeführt. Wenn es um PatientInnen ab 56 Jahren geht, können nur Registerstudien herangezogen werden, also Datenbanken in denen der Zustand von Menschen mit MS erfasst wird. Je nach Datenbank findet man dort mehr oder weniger umfangreiche und aussagekräftige Daten um Wirksamkeit und Nutzen von Therapien einzuschätzen.
Feststeht, dass je älter wir werden, desto mehr übernimmt das angeborene Immunsystem wieder die Führung, da unser adaptives Immunsystem, das in der Lage ist sich auf neue Erreger einzustellen in seiner Schlagkraft nachlässt. Da die aktuellen hochwirksamen Immuntherapien genau auf dieses anpassbare Immunsystem ausgerichtet sind, lässt der Nutzen oberhalb einer bestimmten Altersgrenze nach. Aber wann ist das? Wie stark schwankt dieser Zeitpunkt von Person zu Person und gibt es Möglichkeiten herauszufinden, wann ein Versuch der Deeskalation oder sogar ein Absetzversuch mehr Nutzen als Schaden bringt? Viele Fragen zu denen die folgenden Studien zumindest erste Antworten liefern, aber noch viel geforscht werden muss und zunehmend wird.
Warum ist Deeskalieren ein Thema?
Viele Menschen mit MS werden mit starken Medikamenten behandelt, sogenannten hochwirksamen Immuntherapien (disease-modifying therapies = DMTs). Diese sind sehr erfolgreich darin, die Entzündungsaktivität zu stoppen und Schübe zu verhindern, können aber auch schwere Nebenwirkungen haben, das Risiko für Langzeitkomplikationen erhöhen und die Kosten in die Höhe treiben. Deshalb überlegen einige von uns und unsere Ärzte, ob es möglich ist, nach einer gewissen Zeit auf ein weniger starkes Medikament umzusteigen. Bisher gibt es jedoch nur wenige Studien, die wirklich zeigen, ob und wann dies sicher ist.
Strategien zur Deeskalation von Anti-CD20-Therapien
von Dr. Chiara Starvaggi Cucuzza und anderen
Warum könnte es notwendig sein, Anti-CD20-Therapien zu deeskalieren?
Weil das Risiko von Infektionen, verminderten Impfreaktionen und Krankheiten, die durch eine unvollständige Abwesenheit von Gammaglobulinen, insbesondere Immunglobulinen, gekennzeichnet sind, mit der Dauer der Behandlung zunimmt.
Wie kann die Wirksamkeit der Therapie mit Sicherheitsbedenken in Einklang gebracht werden?
Je älter eine Person und je höher ihr Behinderungsgrad ist, desto größer wird das Risiko für schwerwiegende Nebenwirkungen. Bei dieser Gruppe von PatientInnen lohnt es sich, eine Deeskalation oder sogar einen vollständigen Stopp der Immuntherapie in Betracht zu ziehen. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, die Intervalle zu verlängern, da die B-Zell-Depletion eine Langzeitwirkung haben kann, die weit über die in den Zulassungsstudien getesteten Intervalle hinausgeht. In Studien wurden Intervalle von 12 bis 18 Monaten getestet, die positive Ergebnisse in Bezug auf Schübe und MRT-Aktivität zeigten.
Zu diesem Thema laufen derzeit folgende Studien:
- RIDOSE-MS: Rituximab 500 mg, 6 vs. 12 Monate Dosierungsintervall (abgeschlossen: Q2 2025)
- BLOOMS: Ocrelizumab (Ocrevus) alle 6 Monate vs. B-Zell-gesteuerte Reinfusion (abgeschlossen: Q1 2026)
- WINDCORE: Ocrelizumab (Ocrevus), 6 vs. 12 Monate Dosierungsintervalle (abgeschlossen: Q4 2027)
Wechsel zu einer weniger wirksamen Therapie
Sinnvoll wäre eine persönliche Nutzen-Risiko-Bewertung der Krankheitsaktivität im Vergleich zu den Nebenwirkungen bei jedem Besuch. Sofern es in Betracht kommt, sollten Patient und Arzt Szenarien für eine Deeskalation aktiv besprechen. Es scheint kein klares Alter zu geben, ab dem man deeskalieren sollte, vielmehr scheint das biologische Alter wichtig zu sein. Um weiter von der Wirksamkeit einer B-Zell Therapie zu profitieren, aber das Risiko für Nebenwirkungen zu minimieren, können die Verabreichungszyklen verlängert werden.
Weitere Studien sind erforderlich, um die Rolle der B-Zellen in der Entstehung und Entwicklung von MS zu verstehen sowie deren Auswirkungen auf Infektionen. Es muss untersucht werden, ob die Krankheitsaktivität im Verborgenen voranschreitet oder ebenfalls ruht und welche Auswirkungen der Therapiewechsel auf die Behinderungszunahme hat und ob der sinnvollste Schritt womöglich der zu einer progressionsorientierten Immuntherapie ist, die vor allem die schubunabhängige Behinderungszunahme zu verhindern versucht.
Stoppen und Deeskalieren bei NMOSD und MOGAD
von Dr. Arlette Bruijstens
Warum und wann Deeskalation interessant wird?
Weil sich das Nutzen-Risiko-Profil über die Zeit verändern kann gerade in bestimmten Situationen, wie einer Schwangerschaft oder bei bestehendem Kinderwunsch, aufgrund von Infektionen oder Krebserkrankungen und wegen der verringerten Wirkung von Impfungen. Weitere Gründe können Nebenwirkungen oder eine mangelnde Einhaltung des festgelegten Therapieplans sein. Außerdem sind hochwirksame Therapien meist mit hohen Kosten verbunden, und werden deshalb genau auf ihren Nutzen hinterfragt.
NMOSD (AQP4+)
Der natürliche Krankheitsverlauf ist fast immer schubförmig und geht mit einer schweren schubbedingten Behinderung einher. Bei Erwachsenen bleibt die Schubaktivität für mindestens fünf Jahre hoch. Studien ergaben, dass bei einem Therapiestopp 82% der Patienten einen Schub erlitten und bei Deeskalation 9-38% einen Schub erlitten. Daher lautet die Empfehlung, die Therapie unbedingt weiterzuführen und eine Deeskalation kann vielleicht für bestimmte Subgruppen von Patienten eine Option sein, die aber noch näher erforscht werden müssen.
MOGAD
Der natürliche Krankheitsverlauf ist bei 30-50% schubförmig mit einer hohen Variabilität. Patienten erholen sich von den Schüben oft gut bis vollständig. Bei Erwachsenen lässt die Schubaktivität innerhalb der ersten fünf Jahre nach. Bisher gibt es keine evidenzbasierten Studien. Sowohl eine Deeskalation als auch ein Therapiestopp können immer erwogen werden.
Weitere Forschung nötig
Sowohl zu NMOSD als auch MOGAD sind weitere Studien nötig, um erfolgreiche Deeskalationsstrategien und Risikofaktoren für Schübe zu ermitteln. Außerdem muss herausgefunden werden, welche Biomarker sich anbieten, um den Prozess zu überwachen und gegebenenfalls anzupassen, geeignet scheint sGFAP, weitere neue Biomarker werden gesucht.
Leitfaden zum Deeskalieren der Behandlung bei schubförmig remittierender Multipler Sklerose
von Dr. Jannis Müller und anderen
In dieser Studie wurden 880 Menschen mit MS untersucht, die entweder ihre hochwirksame Therapie beibehalten oder auf eine weniger wirksame umgestellt hatten. Ziel war es, herauszufinden, ob eine Deeskalation das Risiko zukünftiger Schübe und einer Verschlechterung der Behinderung erhöht. Die Forscher verwendeten Daten von über 87.000 Menschen mit MS aus mehreren Zentren weltweit, um die Ergebnisse zu vergleichen.
Studienergebnisse
- Erhöhtes Risiko für Schübe: Patienten, die ihre Medikation deeskalierten (auf ein weniger wirksames Medikament umstellten), hatten ein 2,4-mal höheres Risiko für zukünftige Schübe als diejenigen, die ihre hochwirksame Therapie fortsetzten.
- Zunahme der Behinderung: Die Studie zeigte auch, dass das Risiko einer Verschlechterung der Behinderung (gemessen anhand des EDSS-Scores) bei Patienten, die ihre Medikation deeskalierten, 1,6-mal höher war.
- Patienten ab 50 Jahren: Interessanterweise hatten Patienten über 50 Jahren kein signifikant erhöhtes Risiko für einen Schub, wenn sie die Medikation deeskalierten, aber es zeigte sich, dass das Risiko mit wiederholten Schüben zunahm.
Was bedeutet das?
Die Ergebnisse zeigen, dass eine Deeskalation nicht für alle Menschen mit MS geeignet ist. Vielmehr sollte die Entscheidung auf individueller Basis getroffen werden. Insbesondere wenn du jünger bist oder die Krankheit noch sehr aktiv bei dir ist, könntest du ein höheres Risiko für Schüben und fortschreitender Behinderung haben, wenn du zu einer weniger wirksamen Therapie wechselst. Für ältere Patienten könnte ein Wechsel sicherer sein, das sollte allerdings gut überwacht erfolgen, um bei Bedarf die Entscheidung anzupassen.
Was solltest du tun?
Wenn du eine Deeskalation in Betracht ziehst, ist es wichtig, dies ausführlich mit deinem Neurologen zu besprechen. Es hängt von vielen Faktoren ab – zum Beispiel davon, wie aktiv deine MS ist, wie du auf die derzeitige Behandlung angesprochen hast und welche Risiken du bereit bist einzugehen.
Schlussfolgerung
Die Entscheidung, die Therapie zu deeskalieren, sollte nicht leichtfertig getroffen werden. Diese Studie zeigt, dass es Situationen gibt, in denen es funktionieren kann, aber es auch Risiken gibt. Es ist wichtig, gut informiert zu sein, sich mit dem medizinischen Team zu beraten und sorgfältig darüber nachzudenken, was für dich am besten ist.
Die Aussagekraft der Studie ist aufgrund ihres retrospektiven Designs begrenzt. Die Untergruppen waren von Variabilität innerhalb der Gruppe und kleinen Stichproben betroffen. Keine detaillierten Analysen spezifischer Immuntherapiepfade. Keine Messungen der versteckten Krankheitsaktivität. Keine anderen Deeskalationsmethoden wie Dosisreduktion oder Verlängerung der Anwendungsintervalle. Keine klaren Schwellenwerte für Alter, Geschlecht, EDSS, Krankheitsdauer oder Zeit seit dem letzten Schub.
Fingolimod-Ausschleichen jeden zweiten Tag: Auswirkungen auf die Krankheitsaktivität bei Patienten mit MS
von Assoc. Prof. Dr. Tuncay Gündüz und anderen
Wenn du Fingolimod (Gilenya) einnimmst oder einen Therapiewechsel in Betracht ziehst, hast du wahrscheinlich schon gehört, dass ein plötzliches Absetzen des Medikaments manchmal zu einem Rebound der Krankheitsaktivität führen kann – das bedeutet, dass deine MS aufflammen könnte, möglicherweise sogar schlimmer als vor Beginn der Medikation, da die Immunzellen, die in den Lymphknoten zurückgehalten wurden plötzlich wieder frei sind und Schaden anrichten können. Aber es gibt offenbar eine bessere Lösung diesen Übergang zu bewältigen.
Die Studie: Wie kann Fingolimod am besten abgesetzt werden?
Forscher untersuchten 148 MS-Patienten, die die Einnahme von Fingolimod abbrachen. Einige dieser Patienten setzten das Medikament abrupt ab, während andere es eine Zeit lang jeden zweiten Tag einnahmen, bevor sie es vollständig absetzten. Ziel war es, herauszufinden, ob das Ausschleichen des Medikaments dazu beiträgt, das Risiko eines Schubes zu verringern.
Warum das Ausschleichen funktioniert
Die Forscher fanden Folgendes heraus:
- Das Ausschleichen hilft: In der Gruppe, die Fingolimod jeden zweiten Tag ausschlich (die sogenannte T-Gruppe), kam es nur bei 30 % der Patienten zu einem Schub, verglichen mit 67 % in der Gruppe, die abrupt absetzte (die A-Gruppe).
- Der Schweregrad ist entscheidend: Das Ausschleichen konnte zwar die Schübe nicht vollständig stoppen, aber die Schübe waren weniger schwerwiegend.
- Das Timing ist wichtig: Die Studie ergab auch, dass bei Menschen, die über einen langen Zeitraum hinweg ohne Schübe stabil auf Fingolimod eingestellt waren, die Wahrscheinlichkeit eines Schubes höher war, wenn sie das Medikament absetzten, was darauf hindeutet, dass es sehr wichtig ist, den Zeitpunkt für eine Änderung der Behandlung sorgfältig zu wählen.
Was bedeutet das für dich?
Wenn du darüber nachdenkst, Fingolimod abzusetzen, könnte eine schrittweise Reduzierung der Medikation – indem du sie eine Zeit lang nur jeden zweiten Tag einnimmst – eine gute Entscheidung sein. Das Risiko eines Rebounds wird dadurch vielleicht nicht vollständig gestoppt, aber es könnte die Wahrscheinlichkeit schwerer Schübe verringern und dir eine bessere Chance geben, während des Übergangs zur nächsten Behandlung stabil zu bleiben. Sprich mit deinem Neurologen oder Deiner Neurologin über den sichersten Weg, des Absetzen, wenn es bei Dir zur Debatte steht.
Die Aussagekraft der Studie ist aufgrund ihres retrospektiven Designs und des Fehlens von Labordaten begrenzt. Es besteht Bedarf an einer randomisierten Kontrollstudie zur Bestätigung der Ergebnisse.
Eine kurzzeitige B-Zell-Depletion führt bei einem Teil der Menschen mit schubförmiger MS zu einer medikamentenfreien, langfristigen Freiheit von Krankheitsaktivität und zur Korrektur eines Immuntoleranzdefekts
von Dr. Bardia Nourbakhsh et al.
Was ist eine B-Zell-Therapie?
B-Zellen sind eine Art von Immunzellen, die bei MS eine Rolle spielen, indem sie fälschlicherweise das körpereigene Nervensystem angreifen. B-Zell-depletierende Therapien wie Ocrelizumab wirken, indem sie diese schädlichen Zellen aus Ihrem System entfernen. Diese Behandlungen sind zwar sehr wirksam, um die MS-Aktivität zu stoppen, aber es bestand immer die Sorge, dass eine zu lange Anwendung das Immunsystem zu sehr unterdrücken könnte, wodurch PatientInnen anfällig für Infektionen werden.
Aber was wäre, wenn man die Medikamente nicht für immer einnehmen müssten? Was wäre, wenn eine kurze Behandlungsdauer die MS langfristig in Schach halten könnte?
Was hat die Studie gezeigt?
Die Forscher verfolgten 19 Patienten mit schubförmiger MS, die nur zwei Behandlungszyklen mit Ocrelizumab erhielten und dann die Einnahme des Medikaments abbrachen. Diese Patienten wurden nach ihrer letzten Dosis etwa zweieinhalb Jahre (30 Monate) lang überwacht. Folgendes geschah:
- Die meisten Patienten (14 von 19) blieben über zwei Jahre völlig frei von Schüben oder neuer Krankheitsaktivität – ohne laufende Medikation!
- Bei 5 Patienten kehrte die MS nach 19 bis 37 Monaten zurück, aber bei den übrigen blieb die Krankheit unter Kontrolle.
- Der Schlüssel schien die Gesundheit ihres Immunsystems zu sein, insbesondere ein Teil ihrer Immunantwort, der als B-Zell-Toleranz bekannt ist. Bei Patienten mit einer gesunden B-Zell-Toleranz war die Wahrscheinlichkeit höher, dass die Krankheit nicht aktiv war.
Kurzer Abstecher in die Tiefen der Immunologie
Bei MS-Patienten ist die periphere Auswahl autoreaktiver B-Zellen beeinträchtigt. Falsch programmierte B-Zellen, die körpereigene Strukturen angreifen werden nicht aussortiert. Vier der sieben getesteten Patienten wiesen eine beeinträchtigte zentrale B-Zell-Toleranz auf. Bei allen vier kam es während des behandlungsfreien Zeitraums zu einer MS-Reaktivierung. Bei den anderen 3 wurden weniger autoreaktive B-Zellen festgestellt, die das Knochenmark verließen, und sie blieben frei von Krankheitsaktivität. Bei den drei Patienten, die eine funktionelle zentrale B-Zell-Toleranz aufwiesen, stellte die Anti-B-Zelltherapie die beeinträchtigte periphere Selektion autoreaktiver B-Zellen ein Jahr nach der zweiten Ocrelizumab-Behandlung wieder her, während sich bei den vier Patienten mit defekter zentraler B-Zell-Toleranz nach der Anti-B-Zelltherapie autoreaktive B-Zellen im reifen naiven B-Zell-Kompartiment ansammelten.
Schlussfolgerung
MS ist eine heterogene Erkrankung, die anhand eines spezifischen Musters von Defekten der frühen B-Zell-Toleranz in zwei verschiedene Entitäten unterteilt werden kann. Eine langfristige Freiheit von Krankheitsaktivität nach einer kurzen Behandlung mit einer B-Zell-depletierenden Therapie ist mit einer normalen zentralen B-Zell-Toleranz und der Eliminierung autoreaktiver B-Zellen verbunden.
Was bedeutet das und was sind die nächsten Schritte?
Diese Studie ist sehr spannend, da sie darauf hin deutet, dass für einige MS-PatientInnen eine kurzfristige Behandlung mit einer B-Zell-Therapie wie Ocrelizumab ausreichen könnte, um langfristig keine Krankheitsaktivität mehr zu haben.
Im nächsten Schritt müssen die Ergebnisse an einer größeren Patientengruppe getestet werden, ob sie sich genauso wiederholen lassen. Es muss ein Biomarker gefunden werden, mit dessen Hilfe man ermitteln kann, ob ein Patienten eine funktionierende oder beeinträchtigte zentrale B-Zell-Toleranz hat. Außerdem muss erforscht werden, ob es einen Unterschied macht, wie lang und tief die B-Zellen depletiert werden, also ob man weniger oder mehr Infusionen braucht und die Strategie auf das jeweils konkrete Medikament angepasst werden muss. Bisher ist auch noch nicht geklärt, ob die autoreaktiven B-Zellen bei Patienten mit intakter zentraler B-Zell Toleranz irgendwann wieder zurückkommen. Und eine andere offene Frage ist, welchen Einfluss das Vorgehen auf die schwelende Entzündung hat, die für die Behinderungszunahme unabhängig von Schüben verantwortlich ist.
Wie so oft gilt, mehr Forschung ist nötig.
B-Zell-spezifische Dosierung im Vergleich zur Standard-Intervalldosierung von Ocrelizumab bei schubförmiger MS – Zwischenanalyse einer randomisierten kontrollierten Studie (BLOOMS-Studie)
von Dr. Laura Hogenboom und anderen
Warum personalisierte Dosierung?
Ocrelizumab wirkt, indem es auf B-Zellen abzielt, die Teil des Immunsystems sind und bei Menschen mit MS fälschlicherweise die Nerven angreifen können. Normalerweise wird Ocrelizumab alle sechs Monate verabreicht, um die MS unter Kontrolle zu halten, aber nicht jeder Körper funktioniert auf die gleiche Weise. Bei manchen Menschen dauert es länger, bis die B-Zellen nach der Behandlung zurückkehren, was bedeutet, dass sie möglicherweise nicht so oft Infusionen benötigen.
Die Idee hinter der personalisierten Intervalldosierung (PID) besteht darin, die Zeit zwischen den Infusionen für Menschen zu verlängern, deren B-Zell-Spiegel niedrig bleibt, wodurch die Anzahl der benötigten Infusionen reduziert wird. Dies könnte zu folgenden Vorteilen führen:
- Weniger Nebenwirkungen durch Infusionen,
- geringeres Infektionsrisiko durch Verringerung der Häufigkeit der Immunsuppression,
- geringere Gesundheitskosten und insgesamt geringere Behandlungsbelastung.
Die Studie bisher
Diese Studie, die BLOOMS-Studie, findet in den Niederlanden statt und umfasst 119 Patienten mit schubförmiger MS. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: eine, die mit der Standarddosierung (alle 6 Monate) fortfährt, und eine andere, die eine personalisierte Dosierung erhält, bei der die Infusionen verzögert werden, bis die B-Zellen wieder zurückkehren (gemessen durch Bluttests).
Bisher zeigt die Studie in beiden Gruppen keine Anzeichen einer erhöhten Krankheitsaktivität – keine neuen Läsionen auf MRT-Scans oder Schübe. Dies deutet darauf hin, dass eine Verlängerung des Zeitraums zwischen den Infusionen auf der Grundlage persönlicher B-Zell-Werte genauso gut funktionieren könnte wie der reguläre 6-Monats-Zeitplan.
In der Gruppe mit personalisierter Dosierung vergingen zwischen den Infusionen durchschnittlich 8,4 Monate, wobei einige sogar 13 Monate ohne Behandlung auskamen.
Was bedeutet das?
Die ersten Ergebnisse dieser Studie deuten darauf hin, dass man sich in Zukunft möglicherweise nicht mehr an den gleichen starren Dosierungsplan halten muss, wenn die B-Zellen nicht schnell zurückkehren. Dies könnte weniger Infusionen, weniger häufige Nebenwirkungen und mehr Flexibilität im Behandlungsplan bedeuten – und das alles, während die MS unter Kontrolle bleibt.
Natürlich handelt es sich hierbei noch um vorläufige Daten, und die vollständigen Ergebnisse werden erst 2027 vorliegen. Aber es zeigt, dass die personalisierte Medizin der Weg in die Zukunft der MS-Behandlung ist und dabei hilft, genau die richtige Menge an Therapie für jede individuelle Person zu ermitteln.
Eine wichtige Frage in dem Zusammenhang ist, ob das Zeitintervall bei jedem Individuum gleich bleibt. Also ob man das Medikament immer erst nach angenommen zehn Monaten benötigt oder ob das Intervall Schwankungen unterliegt, weil weitere Faktoren beeinflussen, wann die B-Zellen wieder zurückkommen. Denn dann wäre der monatliche Testaufwand und die schlechtere Planbarkeit für die Infusion ein unangenehmer Faktor.
Deeskalierende Behandlungsstrategien bei Patienten mit schubförmig remittierender MS in Österreich
von Dr. Michael Guger und anderen
Du hast vermutlich schon von hochwirksamen MS-Medikamenten gehört, wie Natalizumab (Tysabri), Ocrelizumab (Ocrevus) oder Ofatumumab (Kesimpta). Diese Therapien wirken sehr gut, aber manchmal möchten PatientInnen oder ÄrztInnen zu moderateren Therapien wechseln. Genau das nennt man „De-Eskalation“. In dieser Studie wurde untersucht, wie sich das auf die Krankheit auswirkt.
Die Idee hinter der Studie
Die ForscherInnen wollten herausfinden, wie sicher es ist, von hochwirksamen auf moderat wirksame Medikamente zu wechseln, und was dabei zu beachten ist. Sie haben sich angeschaut, wie lange PatientInnen ohne Schübe blieben und ob sich ihre Behinderung (gemessen durch den EDSS-Score) veränderte, nachdem sie auf eine weniger aggressive Therapie umgestiegen sind.
Wie wurde die Studie durchgeführt?
Insgesamt wurden 389 MS-PatientInnen aus einem Register in Österreich untersucht, die von hochwirksamen Therapien (wie Natalizumab, Ocrelizumab oder Ofotumumab) auf moderat wirksame Medikamente gewechselt haben. Diese moderaten Therapien sind zum Beispiel Dimethylfumarat (Tecfidera), Fingolimod (Gilenya) oder Teriflunomid (Aubagio). Die ForscherInnen haben die PatientInnen in drei Gruppen eingeteilt: jene, die nach weniger als 3 Monaten gewechselt haben, jene nach 3 bis 6 Monaten, und jene, die nach 6 bis 12 Monaten gewechselt haben.
Ergebnisse der Studie
Die Ergebnisse zeigen Folgendes:
- Bei Patienten, die den Wechsel nach weniger als 3 Monaten vornahmen, war das geringste Risiko eines Schubes zu verzeichnen, nämlich nur 5,2 %.
- Dauert der Wechsel jedoch 3 bis 6 Monate, steigt das Risiko auf 15,7 %, und dauert er 6 bis 12 Monate, liegt das Risiko sogar bei 39,4 %. Das bedeutet, dass ein schneller Wechsel sicherer ist!
- Die Behinderung (gemessen anhand des EDSS-Scores) stieg leicht von 2,8 auf 3,1, was zeigt, dass es wichtig ist, den Wechsel gut zu planen.
Was bedeutet das für dich?
Wenn du über einen Wechsel von einer hochwirksamen Therapie auf eine mittelwirksame nachdenkst, ist es wichtig, den Übergang nicht zu lange hinauszuzögern. Die Studie zeigt, dass ein schneller Wechsel innerhalb von 3 Monaten das Risiko von Schüben verringert und die Verschlechterung der Behinderung minimiert.
Es ist auch wichtig, dass du deinen Neurologen während dieser Übergangszeit eng einbeziehst, um sicherzustellen, dass du gut überwacht wirst und die richtige Unterstützung erhältst.
Das Fazit
Diese Studie liefert wichtige Erkenntnisse darüber, dass eine Deeskalation – also der Wechsel zu einer weniger wirksamen Therapie – eine sichere Option sein kann, wenn sie gut geplant und schnell umgesetzt wird. Sie gibt bestimmten Patienten die Möglichkeit, weniger Medikamente einzunehmen und trotzdem die Kontrolle über ihre MS zu behalten. Wenn du dies in Betracht ziehst, sprich mit deinem Arzt darüber, ob dieses Szenario für dich in Frage kommt und wie der beste Plan für dich aussieht.
Denk dran, bleibe aktiv und positiv – wir haben mehr Möglichkeiten als je zuvor, um mit MS ein gutes Leben zu führen!
Einstufung des Risikos einer Krankheitsreaktivierung nach Deeskalieren/Absetzen der verlaufsmodifizierenden Therapie bei schubförmiger MS anhand des VIAADISC-Scores
von Prof. Dr. Gabriel Bsteh und anderen
Zusätzlich haben die ForscherInnen einen VIAADISC-Score entwickelt, der das Risiko eines Schubes nach einem Wechsel der Therapie vorhersagen kann. Dieser Score berücksichtigt das Alter, die Aktivität im MRT und die Dauer der stabilen Phase vor der Therapieumstellung.
129 MS-PatientInnen nahmen an der VIAADISC-Studie teil, und die Ergebnisse zeigten Folgendes:
- Das Schubrisiko war bei PatientInnen mit einem hohen VIAADISC-Score (3-6) signifikant höher. Ein hoher VIAADISC-Score war mit einem 2,63-fach höheren Schubrisiko verbunden. Dagegen hatten PatientInnen
mit einem niedrigen Score (0-1) ein sehr geringes Rückfallrisiko von nur 4,8%. - Besonders problematisch war der Wechsel von Natalizumab (Tysabri) und Fingolimod (Gilenya), bei dem das Schubrisiko erhöht war, selbst bei moderaten VIAADISC-Werten.
- Am sichersten schien die De-Eskalation von Dimethylfumarat (Tecfidera) oder Teriflunomid (Aubagio) zu sein. Hier hatten PatientInnen mit niedrigen VIAADISC-Werten das geringste Risiko, dass die Krankheit erneut aktiv wurde.
Was bedeutet das für den Alltag mit MS?
Es ist wichtig, dass, wenn du von einer hochwirksamen Therapie auf eine moderate Therapie umsteigst, du diesen Wechsel nicht zu lange hinauszögerst. Ein schneller Wechsel innerhalb von 3 Monaten kann das Risiko eines Schubes erheblich senken und gleichzeitig den Fortschritt deiner Behinderung aufhalten. Die ForscherInnen betonen auch, dass es während des Übergangs entscheidend ist, die Krankheit gut im Auge zu behalten.
Zusätzlich kann der VIAADISC-Score hilfreich sein, um das Schubrisiko nach einer Therapieumstellung besser einzuschätzen. Wenn du zum Beispiel von einer hochwirksamen Therapie wie Natalizumab oder Fingolimod wechselst, könnte es ratsam sein, dein Risiko mit deinem Arzt oder deiner Ärztin zu besprechen.
Fazit
Diese Studien geben uns wichtige Hinweise darauf, wie wir den Übergang zwischen verschiedenen Medikamenten sicher gestalten können. Wenn du über einen Wechsel der Therapie nachdenkst, sprich mit deinem Neurologen oder deiner Neurologin darüber, wie schnell dieser erfolgen sollte und welches Risiko du dabei hast. Es zeigt sich, dass ein zügiger Wechsel dabei helfen kann, das Risiko von Schüben und Behinderungsfortschritt zu minimieren, und der VIAADISC-Score kann eine nützliche Orientierungshilfe sein.
Ich hoffe, diese Erkenntnisse geben dir ein gutes Gefühl, gut informiert zu sein. Ich werde natürlich darüber berichten, wenn es neue Forschungsergebnisse in diesem Bereich gibt.
Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele
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