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Physiotherapeut Max Hartmann erklärt, wie Kraft, Ausdauer und Gleichgewicht gemessen werden und wie die Ergebnisse MS-Patienten nutzen.
Vorstellung
Ich bin verheiratet und habe 2 Kinder, Haustiere folgen noch. 🙂 In meiner Freizeit probiere ich gern verschiedene Sportarten aus. Am liebsten jogge ich, spiele Beachvolleyball, klettere, wandere und bin Hobbytriathlet. Seit dem Frühjahr wohnen wir im neuen Haus und verbringen daher viel Zeit im Garten und unternehmen Ausflüge in die Natur.
Wichtigste Stationen bis zur jetzigen Position?
Nach dem Abitur absolvierte ich Zivildienst in einer KITA, entschied mich danach für eine Ausbildung zum Physiotherapeuten. Mit meiner Begeisterung für Anatomie, Bewegung und Arbeit mit Menschen schien mir der Beruf ein breites Spektrum zu bieten, mit der Möglichkeit weiterer Fortbildungen.
Um mich weiterzuentwickeln, studierte ich anschließend berufsbegleitend Osteopathie, um einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen zu erlangen. Nach langer Arbeit in der Inneren und Intensivmedizin wechselte ich schließlich in den Bereich der Neurologie, bin weiterhin am Patienten tätig und arbeite als Studienassistent an Projekten und Studien im Bereich der Multiplen Sklerose mit.
Persönliche Motivation für Beruf?
In dem Beruf findet meine Begeisterung für Sport, Bewegung und Gesundheit Anwendung und diese kann ich an die PatientInnen weitergeben. Ich komme mit vielen interessanten Menschen in Kontakt und freue mich täglich über neue Erkenntnisse.
Wie entstand die Idee Kraft, Ausdauer und Gleichgewicht bei MS-Patienten mit eigenständigen Tests zu messen?
Der EDSS und einige Gang-Assessments sind nicht ausreichend in der Lage, um dezente Beeinträchtigungen der unteren Extremität bei Patienten im frühen Krankheitsstadium aufzuzeigen. Somit soll perspektivisch die Sprungdiagnostik als Ersatz für die „Janda“- Testung eingesetzt werden, um Veränderungen der Muskelkraft messbar zu machen und die Muskelkraft objektiv zu beurteilen.
In den bisherigen Studien zeigen MS-PatientInnen kürzere Sprunglängen, mehr Variabilität und Asymmetrien. Außerdem ist es mithilfe der Sprungdiagnostik möglich, grobe Defizite auf den ersten Blick zu erkennen.
Die Idee, die Ausdauer zu messen kam, da viele PatientInnen in der Anamnese von Kraftdefiziten berichten, die erst unter der Belastung auftreten.
Welche diagnostischen Verfahren benutzt ihr am MS-Zentrum, um Stärke, Kondition und Balance zu messen, und aus welchem Bereich kommen die Tests original?
Zur Beurteilung zeitlicher und räumlicher Gangparameter steht im Rahmen der Ganganalyse eine sog. GAITRite-Matte zur Verfügung. Damit wird die Mobilität objektiv bewertet.
Mithilfe einer AMTI-Kraftmessplatte wird die dreidimensionale Kraft sowie Drehmomente ermittelt. Im Bereich der Leistungssportdiagnostik hat sich „Hopping/ Jumping“ bereits als valides und zuverlässiges Assessment etabliert, um Koordination, Gleichgewicht und Kraft zu untersuchen.
Die Balance wird anhand des Postural-Sway-Systems gemessen und auch beim EDSS mit bewertet.
Das DIERS-System wird vorwiegend als ganzheitliche Haltungsanalyse zur Erkennung von Wirbelsäulenfehlstellungen im Bereich der Orthopädie z.B. zur Einlagenversorgung eingesetzt.
Was genau wird bei der Kraftmessplatte gemessen und was muss der MS-Patient für Übungen auf der Platte machen?
Aufgrund der auf die Platte wirkenden Kräfte (Gewichts-, Beschleunigungs- und Bremskraft) wird eine Bodenreaktionskurve ermittelt, die wir mittels einer speziellen Software darstellen und analysieren können. Der Patient absolviert ein 6-stufiges Schema, in steigender Intensität und Anspruch vom Fersen- und Zehenstand über Kniebeuge, 10 sek Hop-Test bis zum Einbeinsprung.
Auf welchem Gerät messt ihr die Ausdauerbelastung und wie läuft der Test ab?
Die Ausdauer wird auf einem speziellen Laufband erfasst. Mithilfe kamerabasierter Lichtrastertechnik und reflektierender Marker können Beinachsen und ein 3D-Bild der Wirbelsäule erstellt werden, was Röntgenstrahlung bedingt ersetzen kann. Somit können Skoliosen und andere Fehlstellungen erkannt werden.
Viele Symptome des Patienten treten erst unter der Belastung auf. Daher ist es besonders interessant mittels Erschöpfung Defizite frühzeitig zu erkennen und eine entsprechende Prävention einzuleiten. Die Belastung beläuft sich auf 15 min Laufen in steigernder Geschwindigkeit.
Was wird beim dritten Test, wo es wieder um Kraft geht, genau gemessen und wie ist hier das Prozedere?
Ein weiterer Test zur Messung der Kraft für die obere und untere Extremität ist das Myoline-System. Dies ist ein System zur isometrischen Maximalkraftmessung. Dabei spannt der/die PatientIn einzelne Muskelgruppen, z.B. den Kniestrecker beidseits maximal an und es wird direkt angezeigt, wo Defizite und Unterschiede bestehen und welcher Muskel gezielt trainiert werden sollte.
Mit welchen Daten vergleicht ihr die jeweiligen Testergebnisse und könnt ihr bereits Rückschlüsse ziehen?
Alle Daten der MS-PatientInnen werden mit gesunden KontrollprobandInnen verglichen, um eine wissenschaftliche Aussagekraft zu gewährleisten. Wir sind noch bei der Datenaufnahme, aber es zeigen sich bereits Unterschiede in einzelnen Tests, v.a. die Abnahme der Kraft bei und nach Belastung.
Wie wählt ihr die Patienten aus, die an den Tests teilnehmen?
Wir testen derzeit PatientInnen mit einem EDSS bis 5.0. Aber da die Einschränkungen sehr unterschiedlich sind und der Test nach einem Stufenmodell durchgeführt wird, kann die Testgruppe auch erweitert werden, solang die Sicherheit gewährleistet ist. Demnach gibt es einen Richtwert, aber aufgrund der Tatsache, dass es ein Pilotprojekt ist, auch keine harten Grenzen.
Wie geht es weiter, wenn bestimmte Defizite festgestellt werden? Gibst du Empfehlungen, wie sie oder er, mit Sport den Körper gezielt trainieren können?
Viele PatientInnen wird erst bei der Testung bewusst, was sie gut können oder nicht und sind selbst überrascht. Direkt im Anschluss an die Untersuchung können wir bereits erste Empfehlungen geben, z.B. Beweglichkeitsverbesserung, Gleichgewichtstraining oder Ausgleich von Disbalancen. Eine spezifischere Auswertung, genau bezogen auf bestimmte Sprungparameter wird von uns noch weiterentwickelt.
Zum Beispiel können wir bereits sagen, wie stark die Explosivkraft ist oder die Umschaltung von Dehnung zu Anspannung funktioniert. Mit einem ausgewogenen und regelmäßigen Trainingsprogramm kann auch die neuronale Kontrolle der Muskulatur verbessert werden.
Können Defizite durch unterschiedliche Arten von Sport und Bewegung positiv beeinflusst werden und versuchst du für jeden Patienten etwas passendes zu finden – Yoga, Schwimmen, Tanzen, Spazieren, Teamsportarten?
Generell ist jede Art von Bewegung empfehlenswert, solang der/die PatientIn motiviert ist und regelmäßig dabeibleibt. Ich empfehle gern Übungen, die sich gut in den Alltag integrieren lassen und das Ausprobieren verschiedener Bewegungsübungen wie Widerstandstraining mit Eigenkörpergewicht, Gleichgewichts- oder ballistisches Training.
Verschiedene Sportarten und Übungen setzen unterschiedliche Reize für das Nerv-Muskel-Zusammenspiel und trainieren so auch verschiedene Muskelfasern. Demnach ist es von Vorteil mal einen neuen Reiz zu setzen und sich vorsichtig an neue Belastungen heranzutasten.
Reicht eine mehrwöchige Physiotherapie oder Reha aus, um Kraft, Ausdauer und Gleichgewicht wieder auf den altersgemäßen Zustand zu bringen oder ist es wichtig, kontinuierlich zu üben?
Das wichtigste ist meiner Meinung nach, eine persönliche Begeisterung zu entwickeln und zu verstehen, dass Bewegung etwas Gutes ist und das Wohlbefinden steigert. Eine Reha kann sehr ernüchternd sein, wenn man mit falschen Vorstellungen anreist.
Wie so oft, ist das Maß zwischen Entspannung und Aktivität die richtige Strategie. Daher ist ein regelmäßiges Training und das „am Ball bleiben“ das wichtigste. Zudem sollten in der Kur Alltagsempfehlungen gegeben werden, damit der Erholungseffekt nicht sofort verpufft.
Welchen Durchbruch in der Forschung und Behandlung zur MS wünschst Du Dir in den kommenden 5 Jahren?
Ich würde mich freuen, wenn die Krankheit immer besser behandelbar und v.a. akute Schübe vermieden und damit auch bleibende Schäden verhindert werden können. Ein Durchbruch wäre, die Ursachen der MS zu entdecken und die Erkrankung im Keim zu ersticken.
Vor allem wünsche ich mir mehr Akzeptanz in der Gesellschaft für Beschwerden, die nicht so einfach sicht- bzw. messbar sind, wie die Fatigue und kognitive Defizite.
Blitzlicht-Runde
Was war der beste Ratschlag, den Du erhalten hast?
Es ist kein wirklicher Ratschlag, aber eine Aussage, die ich bisher nicht vergessen habe: Meine Oma sagte mir, als mir als Kind mal langweilig war, dass sie in ihrem Leben nie ein Gefühl der Langeweile erlebt habe. Das fand ich sehr beeindruckend, aber auch ein bisschen traurig, da die Langeweile ja nichts Negatives sein muss, sondern auch neue Sichtweisen oder Inspiration geben kann.
Wie lautet Dein aktuelles Lebensmotto?
Wenn dann übertragen aus dem Wandern: „Der Weg ist das Ziel“ Es bedeutet für mich, das Ziel zwar nicht aus den Augen zu verlieren und auch darauf hinzuarbeiten, aber auch nie den einzelnen Moment zu vergessen, das Hier und Jetzt zu genießen und in den meisten Lebenssituationen die Fähigkeit zu besitzen, das positive daraus zu ziehen und Freude an den vielen kleinen alltäglichen Dingen zu haben. Ich ziehe mehrere Empfehlungen aus dem „Motto“. 🙂
Mit welcher Person würdest Du gern einmal ein Kamingespräch führen und zu welchem Thema?
Mit Christina Thürmer, der Frau mit den meisten Wanderkilometern der Welt. Über ihre Art zu leben und die vielen Erlebnisse auf ihren Wegen.
Vervollständige den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose… “
„… eine Erkrankung mit vielen Facetten.“
Hast Du kürzlich ein Buch gelesen oder gehört, dass Du uns empfehlen kannst und worum geht es darin?
Ich fange immer viele Bücher gleichzeitig an und breche auch manchmal für ein paar Monate ab. Die Buchreihe von Yuval Noah Harari, z.B. „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ kann ich empfehlen, aber das ist auch nichts zum schnell durchlesen. 🙂
Möchtest Du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf den Weg geben?
Auch wenn es anfangs Überwindung kostet, eine neue Art der Bewegung oder eines Sports zu finden: Es lohnt sich und es kann zur angenehmen Routine werden. Anschließend darf man sich auch etwas gönnen. 🙂 Und versucht, die vielen kleinen schönen Momente im Alltag zu beachten und zu genießen.
Wie bleibt man am besten über die aktuellen Themen vom MS-Zentrum Dresden informiert und kann Euch kontaktieren?
Über die Webseite msz.uniklinikum-dresden.de. Dort kann man sich zum Newsletter anmelden und wird immer über den kommenden Patientenpodcast informiert. Außerdem haben eine Facebookseite und einen YouTube Kanal.
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Vielen Dank für das geführte Interview an Oberärztin Anna-Katharina Eser!
Bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele
Mehr Informationen rund um das Thema MS erhältst du in meinem kostenlosen Newsletter.
Hier findest du eine Übersicht zu allen bisher veröffentlichten Podcastfolgen.
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