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#156: Welchen Einfluss hat das Darm-Mikrobiom auf die MS? Interview mit Dr. Lisa-Ann Gerdes zur Zwillingsstudie

Foto von zwei Frauen, die symbolisch eine Eizelle in Teilung auf dem Kopf haben und daraus als eineiige Zwillinge hervorgehen

Heute begrüße ich Privatdozentin Dr. Lisa Ann Gerdes, zu Gast im Interview über das Darm-Mikrobiom. Sie ist Oberärztin und Junior Group Leader am Institut für Klinische Neuroimmunologie am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. Gerdes betreut MS-Patienten und forscht nebenbei sehr viel. Dr. Gerdes hat über Jahre eine Gruppe von Zwillingen aufgebaut von denen meist nur einer an Multiple Sklerose erkrankt ist und der andere nicht. Zwillinge haben extrem viele Gemeinsamkeiten, und eineiige Zwillinge sogar die gleichen Gene. Sie sind daher exzellent geeignet, um alle möglichen Fragestellungen rund um MS zu beleuchten und Tendenzen zu finden. Im Nachgang muss natürlich immer in einer größeren Gruppe überprüft werden, ob die Vermutungen so stimmen.

Wir sprechen vor allem über das Darm-Mikrobiom und dessen Einfluss auf Multiple Sklerose. Was ist bereits bekannt? Wo gilt es noch mehr zu erforschen? Und was können MS-Patienten von den bisherigen Erkenntnissen für sich mitnehmen.

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Inhaltsverzeichnis

Nele

Hallo Frau Dr. Gerdes, ich freue mich riesig, dass Sie heute mein Gast sind. Und erst mal ein ganz liebes Hallo nach München.

 

Dr. Gerdes

Ja, vielen herzlichen Dank für die Einladung. Hat mich sehr gefreut!

Vorstellung

Können Sie sich kurz den HörerInnen vorstellen?

Nele

Ja! Können Sie sich vielleicht den Hörerinnen und Hörern ganz kurz vorstellen, bevor wir richtig loslegen?

 

Dr. Gerdes

Sehr gerne. Also, mein Name ist Lisa Gerdes. Das haben Sie ja schon gehört. Ich arbeite jetzt seit 2004, also schon recht lange, ich in der Neuroimmunologie vom LMU Klinikum in München und bin quasi Neurologin, aber beschäftige mich seit, ja, schon vielen, vielen Jahren im Fokus mit Multipler Sklerose. Und das heißt, ich betreue MS Patienten bei uns hier in der Ambulanz und ich habe aber eben auch einen großen Forschungsschwerpunkt.

Wie kamen Sie zur Multiplen Sklerose?

Nele

Okay, super. Wie kamen Sie denn zur Multiplen Sklerose? Gab es da einen persönlichen Bezug?

 

Dr. Gerdes

Ja, also es war zum einen so, dass ich durch meine medizinische Doktorarbeit schon den ersten Schritt in diese Richtung gemacht habe, weil da haben wir Nervenwasserproben von MS Patienten untersucht, aber auch von Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen. Da habe ich quasi schon mal so in dieses Feld reingeschnuppert und dann kommt wie so oft das eine zum anderen. Über die Doktorarbeit bekommt man dann auch irgendwie die Stellenangebote, so in den Kliniken, die thematisch dazu passen, speziell, wenn man sich eben an der Uniklinik bewirbt, weil man ja eigentlich nur an die Uniklinik geht, wenn man auch irgendwie ein Forschungsinteresse hat.

Genau, da bin ich dann einfach hier in München gelandet und bin seitdem auch einfach hier geblieben, weil die Multiple Sklerose für mich eine echte Erkrankung ist. Nicht wie sonst in der Neurologie, zum Beispiel, Schlaganfall oder Demenz, wo man sagt, das sind dann sehr, sehr alte Patienten und es sind oft einfach Sachen, man hat jahrzehntelang Blutdruck gehabt oder Zucker oder Übergewicht und dann kommen solche Erkrankungen und da kann man auch gar nicht so viel drehen.

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Das fand ich immer so ein bisschen frustrierend, ehrlicherweise. Bei der Multiplen Sklerose ist es ja so, das sind irgendwie Patienten, die ja oft auch in meinem Alter sind, junge Frauen, wo diese Erkrankung einfach so schicksalshaft über die Reihen bricht, mitten in der heißen Phase des Lebens. Da hat man, finde ich als Arzt viel Möglichkeiten, die gut zu unterstützen und die Erkrankung ist natürlich auch dadurch, dass sie so viele Rätsel aufgibt und sich andererseits so viel getan hat in den letzten 15 Jahren extrem spannend. Also, das ist ein extrem spannendes Feld.

 

Nele

Absolut.

 
Dr. Gerdes

Das Gehirn ist natürlich das spannendste Organ, mit dem man sich als Arzt beschäftigen kann.D

Womit beschäftigt sich die Neuroimmunologie bei MS?

Nele

Haben Sie recht. Wir sind froh darüber, dass Sie sich die MS ausgesucht haben. Sie sind jetzt nicht die erste Neuroimmunologin, sie sind Nummer drei hier auf dem Podcast. Aber vielleicht können Sie noch mal ganz kurz sagen, womit sich die Neuroimmunologie bei MS beschäftigt.

Dr. Gerdes

Also bei MS speziell geht es einfach darum herauszufinden, was triggert das Immunsystem? Was sind Faktoren, die dazu führen, dass die Immunzellen auf den Trichter kommen, sie müssen jetzt das Gehirn angreifen. Das ist jetzt so speziell mein Fokus. Dann geht natürlich die ganze Kette weiter von, welche Zellen sind das? Wie machen die das? Was haben die für Signalstoffe? Was haben die für Wege, um ins Gehirn einzudringen? Was sind dann dort im Gehirn, an den Entzündungsstellen, die verschiedenen Substanzen, Interaktionen, die dann eben die Entzündungsherde auslösen.

Und ich finde es halt immer spannend zu überlegen, ja, können wir nicht ganz, ganz an den Anfang gehen um zu fragen, was sind denn mögliche Auslöser und Trigger-Faktoren? Das ist aber schwierig, weil natürlich, in dem Moment, wo der Patient eine Diagnose gestellt bekommt, ist er ja schon krank. Und das heißt, ich kann recht wenig herausfinden, was war denn da davor? Ich meine, da gibt es ja auch viele Daten dazu, dass MS oft, ja vielleicht sogar auch schon vorher, bevor der Patient dann wirklich die Diagnose bekommt oder die ersten schweren Schübe hat, eventuell so, wir nennen das prodromal, ein prodromales Stadium vielleicht schon hatte, wo die MS eigentlich schon angefangen hat und sehr anders als jetzt zum Beispiel bei einer Hauterkrankung, wo man das ja relativ schnell sehen würde, wenn man krank ist oder das merken würde.

Das ist eben der eine Nachteil von dem Organ Gehirn, was so spannend ist, dass es da eben in dieser Blackbox auch irgendwo gefangen ist und man nicht da so einfach reingucken kann. Deswegen man jetzt nicht Patienten, die vielleicht besonders hohes Risiko haben oder viele Jahre vor der Entstehung der MS bestimmte Dinge untersuchen kann. Welche Daten gibt es dann? Ich habe jetzt auch wieder, ganz spannend, diese EBV-Daten (Eppstein-Barr-Virus) aus so großen Datenbanken wie aus den USA, wo man sagt, alle Krankenschwestern und alles Militärpersonal kommt in große Datenbanken mit Blutproben und dann kann man quasi rückwärts gucken. Die haben jetzt MS, war da vielleicht vorher schon was auffällig? Das hat man ja so im normalen Alltag jetzt nicht diese Chance.

Portraitfoto von Dr. Lisa-Ann Gerdes

Zwillingsstudie zum Darm-Mikrobiom bei Multipler Sklerose

Was meint man mit dem Begriff Darm-Mikrobiom?

Nele

Ja, leider, genau. Aber wer weiß, vielleicht in der Zukunft. Jetzt soll es heute um die Zwillings-Studie gehen, die sie schon seit längerer Zeit durchführen zum Darm-Mikrobiom bei Multipler Sklerose. Um hier erstmal einen Grundsatz zu legen. Was meint man denn mit dem Begriff Darm-Mikrobiom?

Dr. Gerdes

Also der menschliche Körper wuselt ja von Bakterien. Alle Organe sind ja in irgendeiner Art und Weise besiedelt mit Bakterien. Das ist die Haut, das ist die Lunge, das ist aber vor allem auch eben der gesamte Magen-Darmtrakt. Begonnen vom Mund über die Speiseröhre, den Magen, dann der Dünndarm und natürlich auch der Dickdarm. Und diese Heerscharen von Bakterien, die gesamte Regionen besiedeln und eben dann beim Darm, die fasst man zusammen als Mikrobiom.

Wobei da eben wichtig ist, dass man die klassifiziert über bestimmte Erb-Sequenzen oder nicht quasi nur über das Aussehen, wie die Bakterien aussehen, oder wie man sich die anfärben kann. Sondern dieser Durchbruch in der Forschung kam eigentlich durch molekulargenetische Techniken. Dass man wie so ein Fingerabdruck von den Bakterien eigentlich erstellen kann und kann darüber dann nachweisen, welche Bakterien sind da und dann auch noch mal, was haben die für ein Potenzial, was können die theoretisch auch machen? Und das war so ein bisschen die Revolution, weil diese unglaublich aufwendigen Untersuchungen jetzt überhaupt erst machbar sind und auch immer kostengünstiger werden.

Also ich gebe da mal ganz gern so diesen Vergleich. In den 2000 Jahren gab es ja einen Riesenhype in der Medizin, weil man jetzt das menschliche Erbgut entschlüsseln konnte. Da kann man sich noch erinnern, da waren in USA irgendwelche riesigen Rechner und die haben wochenlang gerechnet und dann wurde irgendwann das erste Ergebnis erwartet und alle waren ganz begeistert. Jetzt haben wir das Buch des Lebens und kann da nachlesen und können Krankheiten erkennen und erforschen. Und jetzt muss man sich vorstellen, dass wenn man jetzt so eine Mikrobiom Analyse im Darm macht, ist es fast ein Vielfaches davon.

Also man braucht fast noch viel mehr Rechenpower, man braucht viel mehr Bioinformatik, Biostatistik um das überhaupt verstehen zu können. Und die Methoden wurden quasi immer schneller und immer besser und immer kostengünstiger. Deswegen kommt quasi, erst jetzt dieses ganze Thema mit, welche Bakterien gibt es an welchen Stellen und was machen die, weil man das vorher gar nicht machen konnte. Wenn man jetzt sagen würde, man nimmt jetzt, zum Beispiel, eine Stuhlprobe, worüber man das Mikrobiom untersuchen könnte und versucht da mit dem Mikroskop irgendwie weiterzukommen, ist man eigentlich hoffnungslos verloren.

Nele

Hm, okay. Und Sie spielen jetzt sozusagen Miss Marple und gucken, wo haben die jetzt überall ihre Fingerabdrücke hinterlassen, wo waren die, was haben die gemacht? Und das können Sie jetzt aufgrund der Technik, ja?

Dr. Gerdes

Genau. Das ist im Prinzip eben jetzt möglich. Aber das sind halt, nach wie vor, noch sehr, sehr aufwendige wissenschaftliche Untersuchungen. Das will ich auch nochmal ganz klar hier betonen, weil ich das doch immer wieder hier in der Ambulanz habe, dass Patienten kommen und sagen, ja, ich habe jetzt hier mal auf eigene Kosten, zum Beispiel, auch mein Darm-Mikrobiom untersuchen lassen.

Da kommen dann irgendwelche vogelwilden Untersuchungen raus, mit irgendwelchen Schiebern, die ins Gute oder ins Schlechte verschoben sind. Vielleicht sogar irgendwelchen Empfehlungen, was man dagegen tun oder einnehmen kann. Und da schlacker ich ehrlicherweise immer so ein bisschen mit den Ohren, weil man das eigentlich, wenn man sich mit der Materie auskennt und damit beschäftigt, weiß, dass das alles leider nicht so einfach ist. Es wäre schön, wenn es so einfach ist, aber so einfach ist es leider noch nicht und es ist noch in den Kinderschuhen, die ganze Mikrobiom-Forschung.

Wie gut kann man die Auswirkungen einzelner Bakterienstämme ermitteln?

Nele

Okay. Und auch noch zum Verständnis, wie gut kann man so Auswirkungen von einzelnen Bakterienstämmen ermitteln? Also können Sie wirklich zu einzelnen Bakterienstämmen zurückgehen? Oder sind das dann mehr Familien von Bakterien, die Sie sehen können mit Ihren aufwendigen Untersuchungen?

 
Dr. Gerdes

Wir versuchen da schon sehr, sehr ins Detail zu gehen, also weil wir wirklich über diese speziellen Analysemethoden wirklich diese einzelnen Bakterien-Einheiten relativ gut klassifizieren können. Das heißt, wir gehen jetzt über diese grob, klar, man kommt immer vom Groben zum Feinen, dass man sagt, man hat diese Hauptfamilienstämme etc.

Aber man versucht dann schon immer weiter ins Detail zu gehen, weil es ja nicht unbedingt klar ist, ist dass jetzt die Masse. Wenn man jetzt, zum Beispiel sagt, man hat von einem Bakterienstamm eine große Ausbreitung, also die sind sehr, sehr präsent in ihrer Zahl. Heißt aber ja nicht unbedingt, dass die, die „Bad Guys“ sind. Das kann auch sein, dass die auch für irgendwas anderes gut sind. Und vielleicht ist eben nur ein kleines Rudel von irgendwelchen Bakterien, die haben aber viel mehr Power und die sind vielleicht die Sündenböcke. Deswegen muss man das so genau aufschlüsseln, soweit man das halt eben kann.

Welchen Einfluss hat das Darm-Mikrobiom auf unseren Körper und unsere Gesundheit?

Nele

Okay. Und was ist denn bisher schon klar? Welchen Einfluss hat das Darm-Mikrobiom auf unseren Körper und unsere Gesundheit?

Dr. Gerdes

Also gut, man hat jetzt schon einfach natürlich erst mal das katalogisiert. Erst mal muss man gucken, was gibt es überhaupt für Bakterien? Das ist relativ komplex. Man weiß auch, dass jetzt jemand, zum Beispiel, in Argentinien und in Edinburgh und in Boston und vielleicht in München schon mal viele Unterschiede aufweist in Ihrem Mikrobiom. Es ist viel sozusagen, vom Erbgut wird viel bestimmt. Und es wird natürlich auch viel von der Ernährung bestimmt, es wird viel davon bestimmt, mit wem lebt man in einem Haushalt?

Das sind alles Faktoren, wo man auch dann teilweise Ähnlichkeiten finden kann oder Unterschiede. Es gibt im Moment keinen Konsens darüber, was ist jetzt ein sogenanntes gestörtes Mikrobiom? Das kann man wirklich definitiv so noch nicht sagen. Natürlich gibt es krankhafte Zustände im Darm-Mikrobiom, dann sind es Krankheiten wie jetzt, zum Beispiel, eine bestimmte Magenentzündung mit Helicobacter, eine Infektion oder eine Infektion im Darm mit Clostridien. Das ist klar, das ist ein wirklich krankhafter Zustand, dann. Aber dieses Ungleichgewicht, was dann oft so als eine Dysbiose bezeichnet wird, kann man leider auch noch nicht so richtig dingfest machen, weil es dazu einfach noch an großen Datenbanken fehlt, wo man wirklich sagen kann, das ist klar assoziiert mit einer Erkrankung.

Und das Problem ist ja auch, noch als letzter Vergleich, das Erbgut ist ja immer stabil. Also wenn ich jetzt das Erbgut von einem Menschen untersuche, das ist ja fast immer gleich, bis auf minimale epigenetische Veränderungen vielleicht. Diese Probe ist auch sehr, sehr robust. Also ich könnte Ihnen jetzt Blut abnehmen und kann das irgendwie dreimal um die Welt schicken und es wird immer gleich bleiben. Wenn ich jetzt das Darmmikrobiom untersuche, dann ist es relativ dynamisches Material, kann man sagen.

Also, das kann heute ein bisschen anders sein als morgen. Dann hat man vielleicht mal Antibiotika genommen, hatte einen Magen-Darm-Infekt oder hatte eine Cortison-Therapie. Und dann ist es auch verändert. Das heißt, das ist ein Problem. Und dann ist natürlich auch das Problem, dass ich jetzt, zum Beispiel, über eine Stuhlprobe ja nur einen ganz kleinen Abschnitt untersuchen kann. Also ich kann ja nur die Bakterien, die im Enddarm dann letztlich dort besiedeln, nur die kann ich, zum Beispiel, in Stuhlproben untersuchen und wir gehen eigentlich im Moment davon aus, dass es eben sehr, sehr starke regionale Unterschiede gibt.

Es ist bekannt, dass man jetzt, zum Beispiel, weiß, gerade im Dünndarm, auch da so an der Schnittstelle, wo dann zum Beispiel auch der Blinddarm ist. Da ist relativ viel Immunsystem um das Darmsystem, sozusagen, auch in Aktion und in Präsenz. Und da sind auch ganz andere Bakterien angesiedelt. Wahrscheinlich ist die Musik, wo man sagt, wo passiert jetzt Kommunikation oder Interaktion zwischen Bakterien und Immunsystem. Das ist wahrscheinlich eher im Dünndarm. Und da kommt man natürlich schwer hin.

Nele

Da müsste man dann wahrscheinlich immer eine Darmspiegelung oder Darmproben machen.

Dr. Gerdes

Ja, genau.

Nele

Da hat ja keiner Bock drauf, die ganze Zeit.

Dr. Gerdes

Nein, die ganze Zeit nicht. Wobei wir ja das tatsächlich im Moment auch bei Teilnehmern von der Zwillings-Studie machen, genau um dieser Frage nachzugehen. Also wir haben ja quasi bei den Zwillingen, das müssen wir wahrscheinlich jetzt noch mal gleich kurz erläutern, haben wir ja Stuhlproben untersucht, um Unterschiede zu finden. Wir haben auch welche gefunden und gehen aber jetzt eben den Schritt weiter und versuchen eben das Mikrobiom im Dünndarm zu untersuchen, um dort auch weiter nach Unterschieden aufzuspüren, quasi.

Wie schwer ist es die Bedeutung eines einzelnen Einflussfaktors, wie des Darm-Mikrobioms auf die MS zu messen im Vergleich zur Sonneneinstrahlung oder sportlichen Aktivitäten?

Nele

Jetzt haben Sie schon ganz gut dargestellt, wie komplex das alles ist und wie schwierig das alles ist. Wenn man jetzt sozusagen einen Schritt zurückgeht, wie schwer ist es denn, die Bedeutung von so einem einzelnen Einflussfaktor wie jetzt dem Darm-Mikrobiom auf die MS zu messen im Vergleich zu, zum Beispiel ein Thema ist ja auch immer Sonneneinstrahlung, sportliche Aktivitäten. Kann man da schon grob was sagen?

Dr. Gerdes

Also ich denke, der ist schon im Prinzip weltweit ein sehr, sehr großer Fokus drauf, das Mikrobiom weiter zu erforschen. Ich meine, das wissen wir alle, dass wir nicht mehr leben wie unsere Vorfahren, dass wir uns nicht mehr ernähren wie unsere Vorfahren, dass wir ganz anderen Dingen ausgesetzt sind, dass wir viele Dinge nicht mehr machen. Wir sind weniger in der Sonne, wir machen vielleicht weniger Sport als jetzt so extrem. Wenn wir sagen, wir werden jetzt Jäger und Sammler und würden den ganzen Tag durch irgendwelche Wälder streifen und irgendwelche Wurzeln sammeln und Tiere jagen, haben wir natürlich eine andere UV Exposition und wir haben auch andere körperliche Aktivitäten.

Aber definitiv hat sich jetzt global die Ernährung extrem geändert und man denkt natürlich schon, dass es da eine gewisse Assoziation gibt mit der Zunahme der Autoimmunerkrankungen und der Unverträglichkeiten und der Allergien. Dass diese Assoziation natürlich sehr dazu verlockt zu sagen, da ist auch eine kausale Beziehung. Weil das muss man ja auch immer unterscheiden, nur weil das eine mehr wird und sich das andere verändert, heißt das ja nicht, dass man da eine kausale, eine ursächliche Verknüpfung herstellen kann, mit dem Mikrobiom. Was natürlich einfach klar durch Ernährung beeinflusst wird, hat man da eben ein Ziel, wo man sich vorstellen kann, man könnte Einflüsse von der Ernährung und Krankheit doch ganz gut unter einen Hut bringen?

Und es ist aber halt wie gesagt, jetzt durch diese komplexen Analysen, die aber wirklich weltweit an Fahrt aufnehmen und es wird kaum so viel publiziert wie in der Mikrobiom-Forschung, ist es sicherlich ein heißes Eisen. Aber es ist letztlich aber auch, muss man sagen, auch Sonneneinstrahlung ist ja relativ schwierig wirklich quantitativ zu messen. Also jetzt weiß ich natürlich, klar, wenn ich in Norwegen wohne, habe ich eine andere Sonneneinstrahlung, als wenn ich vielleicht in Sizilien wohne. Aber habe ich jetzt eine andere Sonneneinstrahlung gehabt in der Kindheit als Sie? Wie sollen wir das messen? Dann können wir versuchen, uns dem anzunähern.

Wir können untersuchen, wie viel Sport haben Sie gemacht? War der draußen? Klar, wenn man jetzt zum Beispiel sagt, ja, ich war irgendwie Leistungs-Leichtathlet und ich war den ganzen Sommer immer auf dem Sportplatz, immer draußen. Oder ich war jetzt ein Bücherwurm und ich war nie draußen, dann kann man das vielleicht annähern, aber wirklich das in Stunden oder in wirklich klare UV Dosen umzurechnen, das ist ja unmöglich.

Man kann sich dem annähern. Es gab auch mal eine Studie, die haben einem gesagt, ja, über die Hautveränderungen an der Hand kann man irgendwie das extrapolieren, wie viel war man vielleicht schon in der Sonne? Aber das ist natürlich extrem schwierig. Und genauso ist es halt auch mit Ernährung, ja auch Ernährung wirklich, so in den Katalog zu pressen, zu sagen, diese Ernährungsfaktoren haben das, weil es halt alles komplex ist und auch veränderbar.

Welcher wissenschaftliche Vorteil steckt in der Beobachtung von Zwillingspaaren?

Nele

Hm ja. Jetzt untersuchen Sie nur genau Zwillingspaare. Welchen wissenschaftlichen Vorteil hat man denn, wenn man Zwillingspaare sich anschaut?

Dr. Gerdes

Wir haben eben 2012 damit angefangen, weil wir gefragt haben, was wäre denn eine gute Kohorte, um jetzt, zum Beispiel, das menschliche Mikrobiom zu untersuchen? Mit dem Wissen, dass wir sagen, klar, das wird durch Erbfaktoren beeinflusst. Das wird auch durch Ernährung beeinflusst, aber auch durch viele Umweltfaktoren. Und ich möchte versuchen, einen Faktor rauszufiltern, der vielleicht mit MS zusammenhängen könnte.

Deswegen haben wir gesagt okay, am besten sind eineiige Zwillinge, also eineiige Zwillinge sind ja genetisch gleich. Da hat sich eine befruchtete Eizelle danach geteilt. Die haben genau das gleiche Erbgut, die sind dann auch natürlich, die hatten eine gleiche Schwangerschaft, wurden gleichzeitig geboren. Das heißt, sie hatten ganz viele frühe Umweltfaktoren, wie auch, zum Beispiel, Kaiserschnitt oder nicht Kaiserschnitt, Stillen oder Milcherzeugnisse oder Kindheitsinfektionen etc. Und das Besondere eben bei diesen eineiigen Zwillingen, wo man sagt, die sind jetzt primär mal in sehr, sehr vielen Dingen gleich, waren es dann Zwillingspaare, wo einer dann eben an Multipler Sklerose erkrankt ist.

Meistens irgendwann im jungen Erwachsenenalter, weil das ja das Hauptmanifestationsalter der MS ist, und der andere ist gesund geblieben. Das heißt, ich habe eine bestmögliche Fall-Kontroll-Studie. Man muss ja immer, in der Medizin, muss man das ja immer, alles, was man irgendwie untersucht, muss man ja mit Kontrollen vergleichen. Kontrollen hapern halt immer daran, also im besten Fall hat man eine Kontrolle, die hat vielleicht das gleiche Alter und vielleicht das gleiche Geschlecht. Dann ist man schon ziemlich gut.

Aber jetzt weiß man eben, es gibt ja so viele andere Faktoren, die vielleicht mit MS in Zusammenhang gebracht werden können. Jetzt vergleiche ich so eine Gruppe Äpfel mit einer Gruppe Birnen und finde da vielleicht ganz viele Unterschiede und es kann aber alles durch diese unterschiedlichen Gruppen bedingt sein. Wenn ich jetzt aber die eineiigen Zwillinge habe, habe ich eben ganz viele Faktoren habe ich schon mal ausgeschlossen, dass ich sage okay, dadurch kann es jetzt nicht bedingt sein. Da war eben der Gedanke zu sagen, okay, das ist das ideale Setting um das Mikrobiom, aber auch ganz viele andere Fragen bezüglich MS Entstehung und auch Immunologie mehr anzuschauen.

Nele

Das heißt, Sie schauen sich nicht nur das an, Sie schauen sich auch andere Sachen an.

Dr. Gerdes

Genau, wir schauen uns, letztlich war sozusagen das mit dem Mikrobiom, das war so ein bisschen der Start oder Kick-off für die Zwillings-Studie. Dann haben wir aber gemerkt, dass das so toll ist und dass auch das Engagement von den Patienten wirklich so beeindruckend ist. Und es hat so viel Spaß auch gemacht, mit denen zusammenzuarbeiten und wir natürlich dann auch die Mittel bekommen haben zu sagen, ja gut, wir können sie nach München einladen, wir machen hier wirklich viele Untersuchungen. Also wir machen dann wirklich viel Blutuntersuchungen, auch Stuhluntersuchungen, Kernspin-Untersuchungen, natürlich eine ganz genaue Anamnese.

Ich versuche die dann schon richtig zu löchern. Was hatten Sie für Kindheitsinfektionen, was hatten Sie für Hobbys als Kind, um irgendwie so die Unterschiede herauszufinden? Die Erfahrung ist aber, dass Zwillinge wirklich viel zusammen gemacht haben und auch dann immer eigentlich die Standardantwort, nee, wir waren immer zusammen draußen, wir haben immer zusammen viel draußen gespielt. Und klar, wir hatten das gleiche Haustier und wir hatten die gleichen Hobbys. Wir haben beide geraucht oder wir haben beide nicht geraucht, wir hatten auch beide das gleiche Körpergewicht, zum Beispiel.

Also das heißt, da sind ganz viele Faktoren, die ja auch immer so als Risikofaktor für MS sozusagen postuliert werden, die auch sicherlich eine Bedeutung haben. War aber sicher so, dass das bei den Zwillingen nicht das alles Entscheidende war. Weil da einfach sehr, sehr viele Ähnlichkeiten sich immer gezeigt haben und das uns dann nochmal bestärkt hat. Okay, das muss irgendwo, diese Nadel muss irgendwo anders im Heuhaufen zu finden sein.

Wie groß ist, wissenschaftlich betrachtet, der Unterschied zwischen eineiigen und zweieigen Zwillingspaaren?

Nele

Super spannend. Und Sie haben aber auch mittlerweile zweieiige Zwillingspaare dabei, oder?

Dr. Gerdes

Genau. Wir haben wenige zweieiige Zwillingspaare. Also und bei zweieiigen ist ja der Unterschied, die sind ja vom Erbgut wie Geschwister, also die sind ja nicht genetisch gleich, sondern die sind vom Erbgut, teilen die so viel wie jetzt normale Geschwister haben, aber ja, dadurch dass sie ja zeitgleich geboren sind und ganz eng zusammen aufgewachsen sind, teilen sie ja die anderen Faktoren. Sie teilen auch halt die Umweltfaktoren in der Kindheit etc. Genau die haben wir auch, aber noch sehr wenige.

Nele

Ok. Und um eine Idee zu bekommen, wie groß, also wie viele Zwillingspaare haben Sie in Ihrer Studie?

Dr. Gerdes

Also, wir haben jetzt 95 Zwillings-Paare.

Nele

Ok.

Dr. Gerdes

Wo eben immer einer an MS erkrankt ist und der andere nicht. Wobei wir auch speziell eigentlich auch gerade Zwillingspaare suchen, wo auch beide erkrankt sind. Ja, weil auch da ist es wichtig zu sehen, ist die Krankheit sehr ähnlich, bricht die zum gleichen Zeitraum aus? Was haben die für andere Faktoren, die vielleicht auffallend sind? Genau. Aber wir haben eben diese 95 Zwillingspaare. Viele waren auch schon mehrmals bei uns, manchmal schon vier, fünfmal auch da.

Und es sind nach wie vor auch immer gerne Zwillinge eingeladen, sich bei uns zu melden. Also das ist sozusagen eine anhaltende Rekrutierung deutschlandweit. Wenn da jemand Interesse hat, kann er sich sehr, sehr gerne bei uns melden und dann schauen wir, ob wir das irgendwie organisiert bekommen. Wir freuen uns letztlich über jedes Zwillingspaar, was da Interesse hat, uns zu unterstützen und die meisten waren auch wirklich, also man muss die Reise auf sich nehmen, aber die Kosten werden alles erstattet. Auch die Übernachtung wird erstattet und es ist meistens ein echt intensiver Tag mit den Zwillingen. Aber ich glaube immer für beide Seiten sehr fruchtbar und sehr spannend.

Nele

Spannend, dass sie in München sind und ich auch in Österreich und der Schweiz gehört werde, ganz kurz noch die Frage, Österreich und Schweiz dürfen auch, oder? Die dürfen auch.

Dr. Gerdes

Genau. Wir haben auch zwei Paare aus Österreich und ein paar aus der Schweiz haben wir auch. Ich hatte einmal die Sorge, weil einmal gab es einen Filmbeitrag auf Arte. Da hatte ich gesagt, oh, wenn jetzt welche aus Frankreich kommen wird es sprachlich ein bisschen schwierig, aber das war dann nicht der Fall. Also sagen wir mal den deutschsprachigen Raum, da sind wir sehr, sehr gerne bereit da alles in die Wege zu leiten.

Welche Aussagen können Sie aufgrund der Zwillingsstudie zum Einfluss des Darmmikrobioms auf die MS treffen? In der Entstehung und im Verlauf?

Nele

Super. Und welche Aussagen können Sie denn mittlerweile treffen aufgrund dieser Zwillingsstudie? Wie ist der Einfluss vom Darm-Mikrobiom auf die MS, auf die Entstehung oder dann vielleicht auch auf den Verlauf?

Dr. Gerdes

Also wir bewegen uns ja schon in dem Terrain prinzipiell der Grundlagenforschung, wo wir sagen, wir versuchen eben das Mikrobiom dahingehend zu untersuchen, ob wir da Trigger-Faktoren identifizieren können. Und da muss ich natürlich dann den Bogen schlagen, dass es halt auch nicht anders geht, als das über ein Tiermodell zu untersuchen. Dass man sagt, man muss eben untersuchen, ob es in dem Mikrobiom-Faktoren gibt, die in einem MS Tiermodell MS auslösen können. Und da haben wir eben schon nachweisen können, klar, an einer kleinen Fallzahl, weil es sind extrem aufwendige Untersuchungen etc.

Das sind alles so Pilotprojekte, wo man das Prinzip beschreibt, aber wo man jetzt nicht sagen kann, wir haben das jetzt über Tausende von Patienten oder Proben bestätigen können. Aber das Prinzip ist schon so, dass wir sehen konnten, dass ein Faktor und auch ein Mechanismus an dieser Interaktion Mikrobiom und Immunsystem definitiv da ist. Also, da ist eine Schnittstelle, wo das Immunsystem einfach getriggert wird, dann das Gehirn anzugreifen.

Das war bei uns eben konkret der Fall, dass wir einfach Stuhlproben von dem MS Zwilling mit den Stuhlproben von dem gesunden Zwillingsbruder oder Zwillingsschwester eben verglichen haben. Wir haben da Unterschiede gefunden und wir haben auch Unterschiede gefunden im Tiermodell, inwieweit diese Bakterien dann die MS in dem Maus-Modell auslösen können.

Nele

Und das heißt im Prinzip dann, die erhöhende Wahrscheinlichkeit. Es heißt ja nicht, dass es passiert, die erhöhende die Wahrscheinlichkeit, oder?

 
Dr. Gerdes

Genau, letztlich sind es, ganz richtig, das sind eben Wahrscheinlichkeiten und man kann auch quasi jetzt nicht sagen, ob es vielleicht sogar so ist, dass bei den Gesunden vielleicht sogar eher schützende Bakterien da sind, die etwas verhindern in einem, vielleicht ja auch von dem Erbgut und den Umweltfaktoren genauso. Er hat das gleiche Risiko wie die Schwester oder der Bruder, aber da sind irgendwelche Faktoren, die vielleicht Dinge unterdrücken oder die vor Dingen schützen.

Oder ob es eben tatsächlich so ist, dass man sagt, nein, es gibt da einen auslösenden Faktor. Das wäre natürlich der Wunschgedanke. Man hat gesagt, man findet einen bösen Bakterienstamm und wenn man den ausmerzt, kann man die MS verhindern. So einfach ist es wahrscheinlich leider nicht, sondern man geht einfach immer mehr davon aus, dass das ein relativ kompliziertes Orchester ist von verschiedenen Dingen, die eben zusammenspielen oder eben nicht zusammenspielen und dann eben so eine Erkrankung auslösen.

Was bedeutet das im Umkehrschluss für MS-PatientInnen?

Nele

Das heißt, man kann da jetzt im Moment auch nicht wirklich einen Umkehrschluss draus ziehen aus den Forschungsdaten, die Sie schon gezogen haben, oder doch?

 
Dr. Gerdes

Also es ist so, dass man auf jeden Fall weiß, das ist ein Pfad, den man weitergehen muss. Also dass man sagt, man muss diese Idee oder diese Hypothese auf jeden Fall intensiv weiterverfolgen und das eben mit verschiedenen Methoden.

Wie schätzen Sie wissenschaftlich die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln, wie Propionsäure oder Omega-3 ein?

Nele

Und wir als Patienten wollte natürlich immer ganz gerne die Möglichkeit der Einflussnahme, klar. Wie ist das denn so? Also ich meine, es ist klar, gesunde Ernährung, die zumindest, was ich so gehört habe, jetzt nicht eine ganz spezifische Ernährung ist, sondern eben eher viel pflanzlich und nicht zu viele Fette, nicht zu viel verarbeitete Lebensmittel etc. Aber es gibt ja auch Leute, die propagieren, zum Beispiel, Nahrungsergänzungsmittel.

Bin ich immer so ganz skeptisch, weil das irgendwie was künstlich erzeugtes ist und da ist ja, zum Beispiel auch ein Thema, Propionsäure oder eben das Omega-3, aber ich glaube, Propionsäure ist etwas, was irgendwie durchaus eine Rolle bei den Darmbakterien spielt. Können Sie da vielleicht mal eine Einordnung geben, was da Sinn macht? Also, ist es am Ende, bleibt es im Prinzip bei der gesunden Ernährung oder kann man irgendwas ausgleichen an der ungesunden Ernährung durch die Einnahme von Pillchen, Tabletten, was auch immer?

Dr. Gerdes

Ja, das ist eine gute Frage. Also aber auch wirklich eine relevante Frage. Also mir ist es da immer ganz wichtig, dass die Patienten verstehen, was soll denn diese Propionsäure eigentlich ausgleichen? Also man nimmt ja ein Supplement oder eine Ergänzung, weil man denkt, ich muss jetzt irgendein Mangel oder Defizit ausgleichen. Und Propionsäure, das ist ganz spannend, das ist ja eine sogenannte kurzkettige Fettsäure. Diese kurzkettigen Fettsäuren, die entstehen im Darm, wenn Darmbakterien Nahrungsmittel verstoffwechseln.

Dann ist quasi, das ist ein sogenannter Metabolit, also ein Abfallprodukt, quasi, von dieser Vergärung, Verdauung etc. Das sind diese kurzkettigen Fettsäuren. Und eine davon ist Propionsäure. Man weiß, dass eben schon diese Propionsäure im Darm relativ viele Faktoren hat, das wird da Membranstabilisiert, dass irgendwelche Interaktionen unterbinden kann etc., also dass man schon denkt, irgendwie Entzündungen, die dann auch mit dem Immunsystem irgendwo interagiert, kann gedämpft werden. Es ist aber, wenn ich jetzt natürlich sage, na ja gut, ich denke, ich habe bei der MS ein fehlerhaftes Mikrobiom und ich habe zu wenig von dieser Propionsäure, dann werfe ich mir die einfach ein und dann ist ja alles gut.

Dann hat man das Pferd ja so ein bisschen von hinten aufgezäumt. Also man würde ja eigentlich denken, na ja, also wenn ich jetzt wirklich denke, ich habe da irgendwie ein fehlerhaftes Mikrobiom, möchte ich ja eigentlich nicht die Abfallprodukte von dem Mikrobiom dann einfach ergänzen. Sondern wahrscheinlich muss man ja vorher in dieser Kette einschreiten und das wäre ja quasi zu sagen, okay, dann muss ich mir meine Haus-und-Hof-Flora einfach wieder so schön hübsch aufbauen und heranzüchten.

Und da weiß man halt eben, dass die Bakterien, die brauchen halt bestimmte Rohstoffe einfach. Weil sonst sagen die, na ja, gut, es gibt hier nicht meine Rohstoffe, also werde ich nicht gebraucht und dann sterbe ich einfach ab. Oder ich lege mich auf die faule Haut oder wir ziehen uns zurück. Das ist ja eben das, was man so beobachten kann, dass einfach so die Vielfalt und auch die Anzahl von bestimmten Bakterien durch eine, jetzt sage ich mal, vielleicht nicht ganz ideale Ernährung, eher ungünstig ist. Daher kommt natürlich die an die nächste Frage, was ist jetzt die schlechte Ernährung oder was ist die gute Ernährung?

Man weiß halt auf jeden Fall, dass solche Bakterien gerne unverdauliche Ballaststoffe, Stärke, solche Dinge, ich stelle mir das schon immer so ganz plastisch vor, ich bin dann so ein bildlicher Mensch, da haben sie ordentlich was zu knapsen und zu kauen und dann brauchen die auch eine größere Mannschaft, dass sie das alles schaffen. Also im Prinzip, wenn man das jetzt umsetzen will, wäre das eine Gemüse und Ballaststoffe, reiche mediterrane Ernährung. Das geht vielleicht auch eher so ein bisschen in die Richtung von, wie vielleicht unsere Vorfahren halt gelebt haben.

Man kann jetzt nicht einzelne Nahrungsstoffe wie jetzt rotes Fleisch oder bestimmte andere Substanzen auch nicht verteufeln. Ich bin generell kein Freund von irgendwelchen Ernährungsregimes, die dazu führen, dass der gesamte Genuss auf der Strecke bleibt oder dass Patienten sich kasteien, oder das ein Erhobener Zeigefinger hochgeht und sagt, na ja, du hast ja jetzt MS. Also bist du jetzt sicher, dass du jetzt eine Schwarzwälder Kirschtorte essen musst und dann noch ein Steak? Ich meine, Essen ist auch Kultur und ist sozial, und ich glaube, das muss man auch ein bisschen alles unter den Aspekten sehen.

Und eben dann jetzt noch mal abschließend, also rein jetzt zu sagen, ich tue nichts selber, ich kümmere mich nicht selber um meine Ernährung, sondern ich kaufe mir einfach für relativ teures Geld einfach jetzt irgendein Nahrungsergänzungsmittel und dann ist der Käse gegessen, wäre glaube ich der falsche Ansatz.

Welche Ernährungsregeln sollte man beachten, um ein gesundes Darm-Mikrobiom zu fördern?

Nele

Hm, hatte ich auch so vermutet, aber es ist immer schön, das beim Experten zu hören. Sie beschäftigen sich schließlich tagtäglich damit. Aber man kann sozusagen nur sagen, so vielfältig wie möglich, Ballaststoffreich. Und natürlich ist es immer schöner, wenn man es wahrscheinlich selber zubereitet, jemanden hat, der es für einen zubereitet, frisch und regional, saisonal, das sind immer ganz gute Sachen.

 

Dr. Gerdes

Das passt ja eben auch alles in den, was habe ich gestern, habe ich den ganzen Tag eine Fortbildung, da ging es immer um den GMV. Der GMV ist der gesunde Menschenverstand, wo man einfach sagt, klar, das geht ja jetzt auch in diese ganze, das kommt ja alles in das Gleiche, bläst ja alles in das gleiche Horn. Regional, ökologisch, klar, nicht zu viel Fleisch, das lernen wir alle täglich, dass das auch nicht gut ist fürs Klima etc. Aber wie gesagt, man sollte jetzt auch nicht irgendwie mit Verboten durchs Leben gehen.

Gibt es noch offene Fragestellungen, die Sie gern mit der Zwillingsstudie beantworten würden?

Nele

Ja, ja. Sehr schön. Gibt es denn noch offene Fragestellungen? Klang danach, als ob Sie noch eine ganze Menge haben, wenn Sie so die Zwillingsstudie sich anschauen. Also Darm-Mikrobiom ist eine Sache. Sie gehen jetzt in den Dünndarm mehr rein, weil sie gucken, weil dort an der Stelle halt einfach doch noch mal andere Bakterienstämme zu finden sind und da viel Interaktion mit dem Immunsystem ist. Schauen Sie sich noch andere spannende Sachen an?

Dr. Gerdes

Also wir versuchen ja bei der Zwillingsstudie eigentlich sehr, sehr breit viele MS relevante Fragen zu adressieren und wir können da auch relativ spontan auf Dinge reagieren, die jetzt so aufpoppen. Eben gerade hatte ich wieder eine Patientin, ja, was ist jetzt da mit dem Casein, weil es auch wieder eine große Studie ist, da wird wieder Milch verteufelt.

Ja, das ist ja auch, also man kann ja letztlich mit jedem Thema, wenn man sagt, das kommt wieder hoch oder es ist dann doch wieder Epstein-Barr-Virus oder Milch und da habe ich jetzt einfach das große Glück und da bin ich auch sehr dankbar dafür, dass ich sage, ich habe jetzt so eine tolle Kohorte, da kann ich auch schon gucken, wie ist es jetzt bei den Zwillingen?

Kann ich da, zum Beispiel, wenn ich jetzt Faktor X messe, der jetzt wieder postuliert wird, dass der ganz sicher, ganz, ganz, ganz sicher MS verursacht oder eine große Rolle spielt, dann kann ich schauen bei den Zwillingen, ja wie schaut es denn da aus? Da habe ich einfach dieses ideale Setting und kann dann zum Beispiel Epstein-Barr-Virus untersuchen oder ich kann Casein Antikörper untersuchen etc.

Also das heißt, das lebt immer so auch ein bisschen mit der Zeit. Wir haben ja einfach diese ganzen Bioproben auch oder wir haben auch Kontakt mit den Zwillingen wo man, ich sage jetzt immer als Beispiel, morgen sagt einer, wenn man einen grünen Wellensittich hat, dann kriegt man MS. Dann kann ich morgen meine Zwillinge anrufen und fragen, hattet ihr einen grünen Wellensittich?

Das ist ein ganz blödes Beispiel, aber so ist es ein bisschen, dass ich versuchen kann, rückwirkend Dinge nachzuforschen oder eben in den Bioproben, ob man sagt, das geht jetzt über Genetik oder Epigenetik. Vor allem aber natürlich auch immunologische Veränderungen von den Immunzellen, wobei ich da einschränkend sagen muss, da ist es zum Glück ja so, dass ja fast alle MS Patienten, oder ein großer Anteil ist ja behandelt. Das heißt, dadurch sind natürlich auch die Untersuchungen in der Zwillings-Kohorte teilweise sehr eingeschränkt.

Weil wenn ich sage, na gut, wenn ein MS-Patient jetzt ein MS-Medikament einnimmt, kann ich eigentlich das Immunsystem nicht mehr untersuchen. Es ist es dann eher so, dass ich sage, ich kann vielleicht an einem kleinen ausgewählten, einer kleinen ausgewählten Gruppe von der Zwillingsstudie, die vielleicht nicht behandelt sind, kann ich Dinge untersuchen. Da muss ich es aber natürlich immer noch mal in einer anderen großen Gruppe von MS-Patienten, die nicht behandelt sind, vielleicht noch mal überprüfen, ob das wirklich stimmt. Das ist so ein bisschen das Konzept, dass man sagt, man hat so eine feine Kohorte, wo man wirklich Dinge, vielleicht Trends entdecken kann. Und da muss man es aber natürlich immer noch mal in anderen großen Kohorten bestätigen.

Wo kann man mehr über Ihre Forschungen erfahren?

Nele

Super, spannend. Wenn man jetzt, also vielen, vielen Dank für all die Antworten. Wenn man jetzt mehr über Ihre Forschung erfahren will, gibt es da irgendwie eine Webseite oder so, wenn Sie gerade nicht Podcast Gast sind oder bei Arte, oder?

Dr. Gerdes

Ja, also wir haben eine Homepage von meiner Arbeitsgruppe am Institut für Klinische Neuroimmunolologie. Da wird eigentlich immer alles so gepostet, wenn es neue Paper gibt. Da sind auch alle wissenschaftlichen Artikel sind da sozusagen verlinkt. Es wird berichtet, wenn wir irgendwelche neuen Ergebnisse auch im Fernsehen präsentieren oder so. Da kann man immer gerne mal draufschauen, das ist eigentlich alles auf Englisch, aber wenn man da irgendwie noch mal konkret eine Frage hat, kann man auch sehr gerne sich einfach per E-Mail an mich wenden und ich bin da auch immer für Feedback. Positiv oder negativ bin ich da auch immer dankbar und offen, also da kann man mich sehr, sehr gerne kontaktieren.

Nele

Packe ich auf jeden Fall in die Shownotes und in den Blogartikel rein, dass man da einfach bloß den Link klicken muss. Und wenn man Google Chrome hat und das normaler Webseiten Text ist, kann man sich das ja auch auf Deutsch übersetzen lassen. Ist dann vielleicht nicht perfekt, aber für die, die es nicht so gut können, ist es zumindest ein erstes Hilfsmittel, um eine Idee zu haben, was da in den Texten steht.

Super. Frau Gerdes, ich danke Ihnen vielmals. An dich da draußen, falls du also Zwilling bist, irgendwelche Zwillinge kennst und noch nicht an der Studie teilnimmst, dann doch gerne bei Frau Dr. Gerdes melden, die freut sich immer, wenn da noch ein paar hinzukommen. Da wird die Forschung unterstützt. Und dann? Genau. Ganz, ganz großes Dankeschön, dass Sie mein Gast waren.

Dr. Gerdes

Herzlichen Dank für die Einladung und weiterhin viel Erfolg und ich finde es auch wirklich super, wie Sie das machen. Und weil es ein ganz wichtiges Anliegen auch ist, dass Patienten einfach wirklich gut informiert sind und auch da wissen, warum machen Ärzte was, wie, wo und? Aber der Beratungsbedarf ist natürlich extrem hoch.

Nele

Ja, genau. Und das können Sie ja gar nicht leisten. Ich meine, ich sehe meinen Neurologen auch viermal im Jahr, eine Viertelstunde, das ist dann nie möglich. So ein Podcast, der jede Woche rauskommt, der kann da einfach einiges zu beitragen, aber nur weil sie so viel forschen. Insofern Hand in Hand. Super. Danke

Dr. Gerdes

Vielen Dank.

Nele

Tschüss!

Gerdes Lab – MS Twin Study

Institut für Klinische Neuroimmunologie des LMU Klinikums

Vielen Dank an Dr. Lisa-Ann Gerdes für Ihre Forschungen rund um die MS und das Sie uns heute einen Einblick in die bisher gewonnenen Erkenntnisse gegeben hat.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Hier findest Du eine Übersicht zu allen bisher interviewten MS-Patienten.

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