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Podcast #059 – Interview mit Bibliothekar Evan Schneider zu den Angeboten öffentlicher Bibliotheken

Foto von Evan Schneider, Bibliothekar der Heinrich-Schulz-Bibliothek in Berlin-Charlottenburg

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Vorstellung

Evan Schneider, studierte Bibliotheksmanagement und Informationswissenschaften in Potsdam. Arbeitet als Kinder- und Jugendbibliothekar in der Heinrich-Schulz-Bibliothek in Charlottenburg-Wilmersdorf. Macht, zugegebenerweise, noch lieber als Veranstaltungen mit Kindern einen (z.Z. pausierenden) monatlichen Lesekreis mit Erwachsenen.

Wie vielfältig ist das Angebot der Berliner Bibliotheken?

Die öffentlichen Bibliotheken Berlins vereinen sich im VÖBB. Das Angebotsspektrum der einzelnen Bibliotheken bzw. Bezirke ist sehr verschieden. Alle führen die klassischen Medien: Bücher, Filme, Zeitschriften, etc. Wir bieten z.B. noch einen großen Bestand an Musik-Noten, CDs und Musik-Filmen, da wir eine integrierte Musik-Bibliothek haben. Bald gibt es bei uns im Kinderbereich auch endlich die beliebten Tonie-Figuren und Boxen. Viel genutzt wird auch die Leihe von E-Book-Readern.

Viele andere Bibliotheken im Verbund bieten Brettspiele, Computer- und Konsolenspiele. Manche arbeiten schon in Richtung Bibliothek der Dinge, bieten z.B. Akkuschrauber oder Beamer zur Ausleihe oder auch Musikinstrumente, seien es analoge oder elektronische.

Der VÖBB bietet außerdem online Zugriff auf viele digitale Angebote: E-Books, E-Audio, E-Magazine, Musik- und Filmstreaming, nützliche Datenbanken (z.B. Genios oder Statista), Lerntutorials, Vokabeltrainer, Medienkompetenztraining.

Wie wählt ihr euer Angebot aus? Nach welchen Kriterien?

Die erwähnten digitalen Angebote und Lizenzen werden zentral ausgewählt, verhandelt und gepflegt. Unseren Bestand vor Ort versuchen wir natürlich möglichst aktuell zu halten und dem Bedarf der Nutzer*innen anzupassen. Bibliotheken sind ja bekanntlich für alle da. Das bedeutet eine wahllos breite Zielgruppe, die bedient werden will.

Durch Jahre der harten Sparsamkeit im Bezirk haben wir uns im Profil lange auf die Zielgruppe Kinder bis 12 Jahre und erwachsene Genießer*innen der Unterhaltungsliteratur, z.B. Krimis, Ratgeber, Reiseführer, konzentriert.

Die Bibliothek als Aufenthalts-, Spiel- und Lernort wurde in den letzten Jahren immer wichtiger. Dazu ist unser Kerngeschäft immer die Einführung und Bespaßung von Kitagruppen und Schulklassen. In den letzten zwei Jahren haben wir uns wieder für die Oberstufen geöffnet. Jugendliche sind eine schwierige Zielgruppe, aber auch diese entdecken über die Schule die Möglichkeiten der Bibliotheken, sei es nur zum Aufhalten und ungestört Lernen. Hier ist aber z.B. der Rückgang der Leselust sehr stark zu spüren, nicht so bei den kleineren Kindern.

Wir passen unser Erwerbungsprofil jährlich entsprechend unserer Ausleihzahlen an und werden dann von einem Händler nach diesem Profil beliefert. Für aktuelle Themen und Projekte haben wir aber auch einen Teil-Etat, den wir spontan ausgeben können.

Wie werden Eure Veranstaltungen angenommen und wie bewerbt Ihr Eure Angebote?

Einige Veranstaltungen werden von den Bibliotheken auch ins Netz verlagert, wie überall. Veranstaltungen für Kinder werden bei uns am besten angenommen. Der Bedarf hier im Kiez ist sehr groß. Zumal alle unsere Veranstaltungen eintrittsfrei sind. Auch unsere lose Reihe zu politischen und gesellschaftlichen Themen für Erwachsene läuft sehr gut. Der Musikmakerspace m3 eignet sich z.B. (nun außerhalb von Corona) auch zur Nutzung mit (Schul-)Gruppen.

Wir merken aber immer wieder, wie wenig präsent die Bibliotheken in den Köpfen der Menschen sind, selbst derer, die regelmäßig ausleihen. Das Erstaunen über die Vielfältigkeit ist groß, allein schon bei so etwas wie unserem Gruppenarbeitsraum, den kann man kostenfrei reservieren, z.B. mit einer Lerngruppe oder zum Brettspieltesten.

Ich kann dieses Erstaunen aber auch verstehen. Wir versuchen, unser Bestes die Angebote bekannt zu machen: auf der Webseite, Blog, soziale Netzwerke, diversen anderen Plattformen und natürlich vor Ort und durch unsere Gruppenführungen. Es gibt aber generell enorm viel Zeug, Werbung und Gedöns im Netz und in Berlin. Wir haben keine Marketing-Firma hinter uns (nur für sehr partielle Aktionen des VÖBB) und die Bezirke sorgen tatsächlich alle eigenständig dafür, dass ihre Angebote erhört werden.

Ein Tipp wäre nur, egal ob Veranstaltung, digital oder analog: bevor man für irgendetwas bezahlt, erstmal gucken, ob nicht vielleicht die öffentlichen Bibliotheken etwas adäquates kostenfrei anbieten, z.B. einen Escape-Room. Das ist allerdings mit etwas Rechercheaufwand verbunden.

Ein für mich noch großes Manko des VÖBB ist, dass es zwar eine gemeinsame Webseite für den Bestand, also einen gemeinsamen Katalog gibt, aber dort (noch) nicht alle Veranstaltungen und Zusatzangebote verzeichnet sind. Die Bezirke pflegen ihre eigenen Webseiten. Das hat sicherlich auch Vorteile, aber ich empfinde es als Nachteil gegenüber kleineren Städten wie Hamburg oder Dresden, die eine Gesamtpräsenz der Bibliotheken haben. Das ist durch die Bezirksstruktur in Berlin historisch gewachsen, das waren vor nicht ganz so langer Zeit alles eigene Bibliothekssysteme. Generell aber: Aufhalten kann man sich (außerhalb von Corona) eben in allen öffentlichen Bibliotheken und es kostet nichts, man braucht dafür auch keinen Ausweis.

Können auch Bürger, die nicht in Berlin wohnen, einen Bibliotheksausweis bei euch bekommen?

Jede*r ab 18 Jahren kann sich online registrieren. Für 10 Euro pro Jahr kann man somit schonmal die digitalen Angebote überall auf der Welt nutzen, ohne vorbeikommen zu müssen.

Für die Ausleihe und Nutzung vor Ort braucht man jedoch eine Meldeadresse in Deutschland, es muss nicht Berlin sein. Möchte man die Ermäßigung in Anspruch nehmen, z.B. die Hälfte des Preises für Studierende und Auszubildenden, den kostenfreien Ausweis für Kinder oder für Empfänger*innen staatlicher Leistungen, muss man sich vor Ort in einer Bibliothek anmelden.

Wie barrierefrei ist die Nutzung der Bibliotheken in Berlin?

Die Heinrich-Schulz-Bibliothek ist barrierefrei und hat auch eine barrierefreie Toilette im Rathaus. Barrierefreien Zugang und barrierefreies WC haben von fast achtzig Bibliotheken ca. dreißig. Ob die Bibliothek nebenan barrierefrei ist, kann man gut über die Standortkarte auf Voebb.de – Über uns – Kontakt herausfinden. Dort lassen sich alle öffentlichen Bibliotheken nach Barrierefreiheit und Öffnungszeiten, WLAN und integriertes Café filtern.

Können Nutzer Medien kontaktlos ausleihen? 

Die Verbuchung vor Ort erfolgt immer an Ausleihautomaten, für die Rückgabe gibt es auch einen Automaten, man muss nicht mit Menschen interagieren, es sei denn es gibt ein Problem. Es besteht auch immer die Möglichkeit, sich Medien nachhause liefern zu lassen. Das kostet pro Medium 3,50€. Man kann selbst die Bestellung zuhause über die Webseite tätigen und „Lieferung nach Hause“ als Ausgabeort angeben. Und man kann man die Medien dann per Post wieder an die ausleihende Bibliothek zurückschicken. Das sind natürlich zusätzliche Kosten.

Für Menschen, die in ihrer Mobilität generell eingeschränkt sind, gibt es im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf den “Medienkurier-Service”. Ehrenamtliche bringen gewünschte Medien nachhause und auch wieder in die Bibliothek zurück. Dieser Service ist kostenfrei.

Wie viel Menschen mit MS kennst du und wie nimmst Du die Krankheit der 1.000 Gesichter wahr?

Zwei. Dich und eine gute Freundin von mir. Als sie die ersten Schübe hatte, kannten wir uns noch nicht lange und ich habe über mehrere Monate von ihr immer nur gehört, dass die im Krankenhaus noch nicht wissen was das Komisches ist, was sie hat. Sie konnte es mir damals aber recht bildlich beschreiben, was ihr Körper macht. Sie erfand Geschichten drum herum. Sie ist Künstlerin und gestaltete nach der Diagnose auch ihre eigenen Spritzentagebücher, da sie die klinischen Vorlagen so schrecklich fand.

Ich empfand die Krankheit als sehr irritierend, das liegt wohl eben an ihren 1000 Gesichtern, dass es eine Krankheitsbezeichnung für so viele verschiedene Symptome gibt.

Durch die Freundin und ihren Umgang damit habe ich aber tatsächlich eine positive Assoziation zu MS. Gerade erst hat sie an einem Tanz-Projekt teilgenommen, das gegen das gängige Körperbild von Musikvideos arbeitet, in dem Menschen mit Behinderung, mit langsamen Bewegungen, mit kranken und unterstützungsbedürftigen Körpern performen. Ich empfand beim Zuschauen Erleichterung.

Und auch bei der Lesung zu deinem Buch in der Bibliothek: Auch mit MS gibt es eben mittlerweile die Möglichkeit, das gewünschte Leben zu leben. Aber der Weg zur Diagnose und auch gerade die Zeit danach ist ein unfassbarer Einschnitt und verunsichert immens.

Blitzlicht-Runde

  • Was wünschst du dir für die Zukunft der Bibliotheken?
    Barrierefreie Unisex-Toiletten überall.
  • Wie lautet dein aktuelles Lebensmotto?
    Spazieren, spazieren, spazieren.
  • Mit welcher Person würdest du gern einmal ein Kamingespräch führen und zu welchem Thema?
    Evelyn Hamann. Leider verstorben. Ich würde ihr kein Thema aufzwingen. Sie könnte auch gehen, falls sie keine Lust auf ein Gespräch hat. Würde ich nämlich auch tun, falls es mir dann plötzlich unangenehm wäre, mit jemandem vorm Kamin zu sitzen, den ich nicht kenne.
  • Welches Buch oder Hörbuch, das du kürzlich gelesen hast, kannst du uns empfehlen und worum geht es darin?
    Kains Opfer. Der erste Krimi einer Reihe mit einem Schweizer Rabbi als teils unfreiwilligem Ermittler. Ich habe alle Bände nacheinander als Hörbuch gehört. Und fange gerade nochmal von vorne an. Die Charaktere sind durchweg lebensnah, echt, nicht aufgesetzt oder flach, wie ich es sonst von Krimis kenne. Und die Passagen, wenn er eine Predigt vorbereitet oder mit seinen Töchtern diskutiert, finde ich sogar noch spannender als den Mordfall an sich.

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Das für mich beste Zitat aus Linus Gieses Buch „Ich bin Linus“: „Ich wurde nicht als Frau geboren, ich wurde als Baby geboren.“ Und natürlich alles Gute!

Spezielle Angebote der Bibliotheken

Vielen Dank für das geführte Interview an Evan Schneider!

Ich hoffe, Du hast nun ein besseres Verständnis vom Angebot der Bibliotheken und kannst es vielleicht für Dich nutzen.

Alles Liebe,
Nele

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