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Podcast #078 – Interview mit MS-Patient Martin @maddinsleben

Foto von Martin alias maddinsleben

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Vorstellung Martin @maddinsleben

Ich bin Martin 47 Jahre alt, Medizininformatiker, lebe bei Darmstadt. Ich bin glücklich vergeben an meine Frau (@strickyoga) keine Kinder, aber Drillinge als Nichten. Ich mag das gute schöne Leben: Kochen, Essen, Lesen Fotografieren und bin aber auch gerne draußen und fahre Mountainbike oder laufe.

Diagnose

Du berichtest auf Instagram in verdaubaren Häppchen über deinen Weg zur Diagnose und nimmst die Leser mit auf die Achterbahn deiner Gefühle. Hilft es dir dabei, das Geschehene besser zu verarbeiten, oder willst du vor allem andere Betroffene abholen?

Meine Diagnose war da genau vier Jahre her. Auf der einen Seite wollte ich es für mich aufschreiben, um es besser zu verarbeiten und die „wilde“ Anfangszeit der Diagnose zu sortieren. Auf der anderen Seite möchte ich Leuten, die frisch diagnostiziert sind, auch Mut machen, dass nach diesem Tief der Diagnose und der Anfangszeit sich wieder viel gutes entwickeln kann.

Wann hattest du rückblickend die ersten Symptome? Und wann folgte die Diagnose?

Wahrscheinlich so Ende 2016. Aber sehr unspezifisch. Ich habe Kleinigkeiten vergessen. Auto abgeschlossen? Licht angelassen?

Das kam aber eigentlich zu einem Zeitpunkt, wo ich mich total fit und unangreifbar gefühlt habe. Ich habe 2015 Diabetes bekommen und 40 kg abgenommen. Als die ersten Symptome kamen, bin ich jeden Tag 25 km Rad gefahren, hab mich gesund ernährt wie noch nie und habe das überhaupt nicht verstanden, was passiert.

Ende 2016 fingen meine Beine an, taub zu werden. Dies stieg langsam auf. Ich konnte jeden Tag einen Strich mit dem Stift machen und am nächsten Tag war es 1cm höher. Als es auf Oberschenkelhöhe war, bin ich zur Hausärztin. Dann sofort weiter zum Neurologen. Der fand das nicht Besorgnis erregend. Die Hausärztin wies mich dann in die Neurologie ein. Die Taubheit war inzwischen auf Höhe des Brustkorbs und Hände wurden auch taub.

Ich war 14 Tage im Krankenhaus und nach vielen Untersuchungen wurde ich dann entlassen mit Verdacht auf MS, oder NMO…

Aktueller Status

Wie geht es dir aktuell mit der MS?

Mir geht es gut. Ich habe keine Schübe seit 3 Jahren und ich versuche, meine Defizite klein zu halten, durch verschiedene Therapien.

Nimmst du eine Basistherapie bzw. hast du bereits mehrere ausprobiert?

Ich hatte am Anfang eine Spritzentherapie, bei der ich mir jeden Tag eine Spritze gesetzt habe. Nicht angenehm, aber möglich. Ich hätte alles getan, um die Krankheit zu stoppen. Das hat leider überhaupt nicht geholfen. Ständig Schübe und Cortisonstöße. Deswegen bin ich nach 4 Monaten auf eine halbjährliche Infusionstherapie umgestellt worden unter der sich dann innerhalb von ein paar Monaten fast alle Symptome zurückbildeten.

Beeinflusst die Erkrankung deinen Alltag? Hast du dadurch regelmäßige Arzttermine oder ähnliches?

Ich habe einmal die Physiotherapie und Ergotherapie. Da arbeite ich an Defiziten, die mir oder anderen im Alltag so gar nicht auffallen. Und versuche, auch einer Verschlechterung vorzubeugen. Ich habe regelmäßige Checks beim Neurologen und MRT Termine.

Lebensplanung

Hat die Diagnose eine Auswirkung auf dein Arbeits- und Privatleben?

Ich spare Arbeitsleben mal etwas aus, da die MS da eigentlich kein Thema ist. Verschwiegenheitserklärungen kommen noch dazu, mit denen ich nicht kollidieren möchte.

Die Diagnose hat auf jeden Fall dazu geführt, dass wir weniger planen, sondern einfach machen. Das Leben wird bewusster. Ich weiß Dinge mehr zu schätzen seit der Diagnose und bin dankbarer.

Privatleben

Du hast einen Zweitaccount namens @strickyoga. Gab es dort schon mal Beiträge oder sind die für die Zukunft geplant? Und strickst du wirklich oder ist das eher ein lustiger Name?

😉 Das ist erstens meine Frau und zweitens ein lustiger Name. Und bisher hat sie es noch nicht geschafft, mir Stricken beizubringen. Aber ich habe es als meditative Beschäftigung im Hinterkopf. Und ich bin auch schon theoretisch gut in der Materie und kann alleine im Wollgeschäft einkaufen.

Wie hat deine Frau die Diagnose aufgefasst?

Meine Frau ist Krankenschwester im gleichen Krankenhaus, wo ich zur Diagnose lag. Sie hat mir die Diagnose gesagt, weil die Ärzte sich nicht getraut haben. Und ihr Instinkt hat es ihr schon lange davor gesagt. Deswegen war ihr Schock deutlich kleiner als meiner. Und sie ist die größte Hilfe, die ich seitdem habe.

Tiefpunkt

Was war dein tiefster Punkt mit der MS und wie hast du dich wieder empor gekämpft?

Mein tiefster Punkt war einem Tag nach der Diagnose im Krankenhaus.
Das Krankenhaus hat ein offenes Atrium von allen Stationen mit Balkonen. Ich saß dort im 2 Stock und spürte hinter mir einen Luftzug und hörte einen Riesenknall. Ein Mitpatient war über die Brüstung gesprungen und hatte sich umgebracht. Ich sah ihn auf dem Steinfußboden des Foyers liegen. Ich rief die Nachtschwester und ging in mein Zimmer.

Nachts wurde ich noch von der Kripo befragt. Das ganze Personal war völlig aufgelöst. Am nächsten Tag wurde ich gefragt, ob ich auch mit dem Krankenhausseelsorger sprechen möchte. Das wäre Routine. Alle Beteiligten würde das angeboten.

Ich war völlig von der Rolle und sagte ja. Eine Stunde später saß ich im Büro des Krankenhauspfarrers. Und ich sprach mit einer roten Holzfigur, die auf dem Tisch lag. Sie sollte den Patienten symbolisieren, der sich umgebracht hatte. Und ich sollte alles sagen, was ich ihm hätte davor sagen wollen.

Das war der Tiefpunkt. Ich rede mit einem roten Holzmännchen. Und das schlimmste: Es tut mir gut. Es hilft, es auszusprechen. Also nicht nur ein Tiefpunkt, sondern auch ein Wendepunkt. Ich habe in dem Moment gelernt, egal wie ausweglos die Situation ist, es gibt immer Hilfe. Es gibt einen Profi, der dir weiterhilft, wenn du nicht weiter weißt. Du musst nicht alle Fragen selber beantworten in deinem Leben.

Im Anschluss hat mir eine Psychotherapie sehr geholfen. Leider ist es sehr stigmatisiert darüber zu sprechen. Aber es kann eine große Hilfe sein.

Alltag mit MS

Wie oft gehst du zum Neurologen und welche Tests führt er durch?

Ich gehe einmal im Quartal zum Neurologen und ich rede mit meiner MS-Nurse ob es Probleme gibt. Labor wird abgenommen, danach sehe ich den Neurologen. Er macht einen kurzen neurologischen Check. Ansonsten abhängig von Problemen gibt es noch weitere Untersuchungen.

Freizeit

Seit wann fährst du Mountainbike und wie oft frönst du dem Sport?

Ich bin in meiner Jugend viel gefahren. Dann in die Breite gegangen und gar nicht mehr gefahren. Nach der Diabetesdiagnose wieder angefangen. Exzessiv gefahren, bis zur MS-Diagnose und dann den Faden verloren. Viel zugenommen. Probleme mit tauben Beinen und dem Gleichgewicht.

Aber seit 2 Jahre kämpfe ich mich wieder ran. Versuche, Gewicht zu verlieren und Kondition zu gewinnen. Breite Reifen und Federung gleichen Balanceprobleme aus.

Was für Bücher magst du? Und wie viele liest du im Jahr?

Ich lese anfallsartig. Je nach Stimmung. Manchmal ein paar Wochen gar nicht. Dann jeden Tag ein Buch. So werden es 10-20 im Jahr.

Ich mag Gegenwartsliteratur. Gerne Coming of Age Romane. Wolfgang Herrndorf, Robert Seethaler. Aber auch amerikanische Literatur. John Green oder Rainbow Rowell. Oder Graphic Novels.

Tipps

Was machst du, wenn du Symptome der MS verspürst?

Dann weiß ich, dass ich mir zu viel zugemutet habe. Zu viel Stress, zu viel körperliche Anstrengung. Ich schalte einen Gang herunter. Physisch oder psychisch.

Hast du einen Tipp, den du deinem jüngeren Ich geben würdest, für den Zeitpunkt der Diagnose?

Ruhe bewahren. Die Behandlung der MS wird nicht an einem Tag entschieden. Du hast Zeit Entscheidungen zu treffen. Nicht googeln. Nur seriösen Quellen vertrauen.

Blitzlicht-Runde

Gibt es einen großen unerfüllten Wunsch?

Endlich wieder auf meinen Hausberg mit dem Mountainbike fahren. Ohne E-Bike. Nur mit meiner Kraft. Dieses Jahr könnte es klappen.

Was war der beste Ratschlag, den du jemals erhalten hast?

Vom Seelsorger im Krankenhaus: „Sie müssen gar nichts“.

Wie lautet dein aktuelles Lebensmotto?

„Lebbe geht weidder“ von Dragsolav Stepanovic hessischer Kultfussballtrainer nach verlorener Meisterschaft.

Mit welcher Person würdest du gern einmal ein Kamingespräch führen und zu welchem Thema?

John Cleese. Und ganz egal über was wir sprechen. Es wird lustig sein.

Vervollständige den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose…

… nicht nur eine Krankheit, sondern auch die Chance, etwas zu verändern.“ 

Welche Internet-Seite kannst du zum Thema MS empfehlen?

Trotz-ms.de oder amsel.de. Wer sich über Therapien informieren will, das Kompetenznetz-multiplesklerose.de.

Welches Buch oder Hörbuch, das du kürzlich gelesen hast, kannst du uns empfehlen und worum geht es darin?

Ich lese gerade „Antientzündliche Ernährung von Julia Bierenfeld (@fitnessfoodundms). Es geht um eine bessere Ernährung und ich hoffe einige Tipps für mich daraus mitzunehmen.

Verabschiedung

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

Jeder kann seinen Weg mit der MS finden, wenn man versucht positiv zu bleiben.

Wo findet man dich im Internet?

Auf instagram unter @maddinsleben. Und evtl. auch bald als Blog auf maddinsleben.de. Domain ist schon da. WordPress muss mir noch gehorchen lernen. Je nach Lockdownlangeweile früher oder später online.

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Vielen Dank an Martin für das geführte Interview und die gewährten Einblicke! Alle Fragen und Antworten kannst du ebenfalls in der Podcast-Folge nachhören.

Alles Liebe und bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele

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Hier findest du eine Übersicht zu allen bisher veröffentlichten Podcastfolgen.

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