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Diesmal interviewe ich Frank Sandmann, der seit 24 Jahren MS hat und das Leben sehr pragmatisch und humorvoll nimmt.
Vorstellung
Hallo, ich bin Frank Sandmann, bald 55, komme aus dem Ruhrgebiet, bin verheiratet, habe keine Kinder und auf der Welt, um für gute Laune zu sorgen.
Wann hast du die Diagnose MS erhalten und welches Symptom stand am Anfang?
Da war ich 31, also vor bald einem viertel Jahrhundert. Der kleine Finger an der linken Hand war taub. Das zog sich dann über den ganzen Arm, den Oberkörper, linke Seite und ein bisschen im Gesicht.
Wie hast du die Diagnose aufgefasst?
Ähm. Irgendwie gar nicht. Ich habe gedacht: ach guck, mit der Cortison-Therapie geht das weg. War dann auch so und dann habe ich einfach so weiter gemacht, wie bisher. Ich war da eher pragmatisch, wie man im Ruhrgebiet so ist: Et is wie et is. Muss ja – Nutzt ja nix.
Nimmst du eine Basistherapie oder hast du schon mehrere ausprobiert?
Ich habe mal Copaxone und Interferon gespritzt. Ganz kurz mal Immunsupressiva und Gabapentin. Jetzt nehme ich schon ca. 3 oder 4 Jahre nichts mehr. Mein Status ist seit Jahren stabil. Den letzten Schub hatte ich vor ca. 12 Jahren oder so. [Anmerkung Nele Handwerker: Es gab neue Läsionen im MRT, die aber zu keinem Schub führten.]
Wie geht es dir aktuell mit der MS, beeinflusst die Erkrankung deinen Alltag?
Meine Füße sind taub. Ab dem großen Zeh sind meine Füße nicht ganz anwesend. Abends kriege ich immer wieder Krämpfe in den Füßen, aber ich finde das eher amüsant. Ich gucke mir dann immer an, was meine Zehen so von ganz allein machen. Und ab und zu habe ich so wie Juckpulver unter der Haut an den Waden. Stiche und Schmerzen – nennt man wohl Polyneuropathie. Das geht mit einer Ibuprofen oder intensivem Sport weg.
Du arbeitest in vielen kreativen Bereichen. Was kam zuerst und wie war dein Weg ins kreative und freischaffende Leben?
Nach dem Abitur, drei Jahre Kinder-und Jugendpsychiatrie incl. Zivildienst, 10 Aufnahmeprüfungen an Schauspielschulen – nicht angenommen, Magister Theaterwissenschaft, 13 Jahre Radio als Moderator und Redakteur, zweites berufsbegleitendes Studium Journalist, 8 Jahre freiberuflich tätig als Schauspieler, Moderator und Autor, seit 10 Jahren Pressesprecher für eine Stiftung in Berlin.
Dieser traumhafte Job als Referent für Öffentlichkeitsarbeit ist die Sicherung dafür, dass ich mich von der unsicheren Auftragslage als Synchronsprecher und Schauspieler unabhängig machen kann. Gerade heute hatte ich aber eine Anfrage für ein Casting für eine sechsteilige Serie. Ganz winzige Rolle. Wenn ich Glück habe, nehmen die mich und wenn ich dann noch mal Glück habe, wieder mit Text. Beim letzten Mal war ich ein Richter und musste klare Ansagen machen.
Am liebsten aber spiele ich Theater und am allerliebsten singe ich. Ich hatte 2019 Premiere mit einem Solostück in Zürich, im Keller 62, ein winziges Theater. Das wollte ich im März 2020 auch in Berlin spielen. War auch schon schön angekündigt. Fiel dann aus.
Ich sehe meine künstlerische Begabung als ein Geschenk, das ich geerbt habe. Mein Vater ist Alleinunterhalter. Musik war bei uns zu Hause immer und überall. Er hat damals gesagt: wieso nehmen die Dich nicht an der Schauspielschule? Du kannst das doch! Letztlich habe ich dann ja trotzdem Theater gespielt und damit Geld verdient.
Die vielen unterschiedlichen Jobs machen mich unabhängig. Wenn man nur mit Künstlerinnen und Künstlern zu tun hat, wird man wahnsinnig. Entweder haben sie nicht den tiefen Teller erfunden, sind esoterisch oder Lügenbolde oder super. Super ist aber eher selten. Wie zum Beispiel bei dem Regisseur, mit dem ich in Zürich gearbeitet habe. Lubosch Held.
Bist du gleich nach der Diagnose offen damit umgegangen oder hattest du Bedenken weniger Aufträge zu erhalten?
Damals war ich bei einem Radiosender angestellt. Das war Privatradio in den 90ern. Da waren viele ehrgeizige, junge Menschen, die für ihre Arbeit alles gaben, auf Privatleben verzichtet und alles mit den Kollegen zusammen gemacht haben. Ich kam ins Krankenhaus und das haben die alle mitgekriegt. Da war nix zu verheimlichen.
Als ich dann hörte, dass da Gerüchte im Umlauf waren, habe ich aufgeklärt, dass es MS ist. Damals ging der Rinderwahn gerade um und man dachte ich hätte Creutzfeld-Jacob oder AIDS. AIDS! Aus dem wunderbaren Reich der Klischees: ich bin mit einem Mann verheiratet.
Was würdest du jungen Menschen mit MS raten, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn stehen und vielleicht auch gern in einen kreativen Beruf starten möchten?
Macht, was Ihr wollt und was Euch Spaß macht. Es ist doch ein Irrglaube, zu denken, dass man irgendetwas steuern oder planen kann. Es ist wichtig, souverän mit sich selbst zu sein.
Das habe ich von meinen Eltern gelernt. Wenn was Schlimmes passiert ist, hat meine Mutter gesagt: Oh. Der hat sich den Kopf gestoßen, muss ins Krankenhaus. Jetzt aber sofort los. Gejammert wurde da nicht. Wieder: muss ja. Nutzt ja nix. Und mein Vater hat immer gesagt, wenn ihm jemand erklären wollte, wie man bestimmte Dinge zu tun hat: Wer ist MAN? Er hat einfach sein Ding gemacht.
Das fand ich cool. Wenn man weiß, wer man ist und sich nicht vergleicht mit anderen, läuft der Laden. Und wenn man zwischendurch mal weinen will, ist das auch gut und wichtig. Wenn das nicht von allein geht, empfehle ich die Serie „This is us“ bei Amazon Video. Da kommt man aus dem Heulen nicht raus. Muss ich aber allein gucken.
Als Freischaffender Künstler ist finanzielle Sicherheit nicht automatisch gegeben. Ist das ein Thema für dich oder vielleicht sogar eine besondere Motivation vielfältig aufgestellt zu sein?
Mischkalkulation ist alles. Ist wie beim Supermarkt. Da gibt es die Nudeln mit dem schicken Namen und die Hausmarke, die dann ganz elegant GUT UND GÜNSTIG heißt. Wie unter a. beschrieben. In Deutschland muss niemand vor die Hunde gehen. Setzt aber eben auch ein gewisses Maß an Resilienz voraus.
Du schreibst eine Kolumne, in der du sehr heiter über gewisse Begleiterscheinungen der MS im Alltag berichtest. Welches Feedback bekommst du darauf und wie wählst du die Themen aus?
Das Feedback ist nicht so ausufernd. Ab und zu mal kriege ich kurze Nachrichten über Facebook oder per Mail. Wie die Leute das finden, kann ich nur daran messen, dass die Agentur die Texte für das Heft „Aktiv mit MS“ seit über 10 Jahren bei mir bestellt.
Die Themen orientieren sich an dem Oberthema des jeweiligen Heftes. Da wird dann zum Beispiel das Thema Gleichgewicht geplant. Da werde ich dann gefragt, ob mir dazu was einfällt. Und peng bin ich bei den Mobiles und möglichen Gleichgewichtsstörungen, die man mit MS hat.
Mir geht es darum zu sagen: ist doch alles nicht so wild, entspannt Euch. Das kann ich locker sagen, weil ich relativ wenige Schwierigkeiten durch die Krankheit habe. Das ist mir schon bewusst, denn es gibt Fälle, die extremer ausfallen. Das ist das Ungerechte an der Krankheit.
Deswegen bin ich auch nicht so ein Fan von Selbsthilfegruppen. Ist dann immer so ein Bestärken von Leid und ein Wettbewerb: Wem geht es schlechter? Wir reden ja im Grunde alle über völlig verschiedene Krankheitsbilder, die unter MS subsummiert werden. Manchmal denke ich, ich habe eine ganz andere Krankheit, für die es noch keinen richtigen Namen gibt. Ach: dann nehmen wir eben MS. Das entspannt mich auch ein bisschen.
Du hast nun sogar deinen eigenen Etsy-Shop mit Mobiles. Wie kamst du darauf Mobiles zu bauen und wie viel Planung gehört dazu?
Wenn ich das wüsste, wie ich dazu kam. Wir haben den Hobbyraum unter dem Dach direkt über unserer Wohnung plötzlich von unseren Nachbarn übernehmen können. Und damit wir uns in Corona nicht gegenseitig auf die Nerven gehen, konnten wir uns dadurch besonders gut aus dem Weg gehen.
Ich habe keine Ahnung, wie mir der Geistesblitz kam. Als Kind habe ich so etwas gebastelt und ich finde es spannend, zu sehen, dass etwas Schönes, Greifbares entsteht. Das meiste, was ich produziere, ist virtuell oder performativ. Da so rumzubasteln und zu überlegen, wie was zusammenpasst, hat was Beruhigendes.
Da sitzt man da so zwei Stunden und merkt nicht, wie die Zeit vergeht. Eine Art Meditation. Planen muss ich da nicht viel. Ich muss vor allem viele dünne Metallstangen zum Biegen haben und kleine Platten oder Objekte rumliegen haben. Dann kommt dabei was raus. Sehr obskur fand ich, dass ich ausgerechnet ein Mobile, das aus Resten entstanden ist und dann aussah, wie ein rennendes Männchen als erstes verkauft habe. Und noch obskurer: es hängt jetzt in Tokio. Jemand von dort hat es gekauft.
Und letzte Woche hat mich ein Berliner Modedesigner, der für Etsy wirbt, als besonderes Interior-Design-Objekt empfohlen. Und noch abgefahrener: mein Shop soll demnächst in so einem Lifestyle-Magazin präsentiert werden. Das ist so lustig, weil darauf gar nicht mein Fokus liegt. Das macht mir nur einfach Spaß.
Also: Leute mit MS! Macht, was Euch Spaß macht, wo Euer Herz schlägt und bäm, wird das ein Erfolg. Und wenn nicht: auch egal. Dann hattet Ihr wenigstens Spaß.
Welchen Durchbruch wünschst du dir für die Behandlung der MS in den kommenden 5 Jahren?
Ich wünsche mir, dass es ein Medikament gibt, das die Beschädigungen reparieren kann und ich endlich meine Füße wieder zurückkriege.
Was machst du, wenn du Symptome der MS verspürst?
Sport-Sport-Sport. Vor allem Crosstrainer. Da verbrennt man viele Kalorien, die Schmerzen in den Waden verschwinden, man wird nebenbei wunderschön und kriegt gute Laune.
Gibt es einen großen unerfüllten Wunsch?
Ich möchte mal noch eine Rolle so als Best-Ager spielen. Ob Theater oder Film ist egal. Am besten zusammen mit Mark Waschke. Dann wäre ich der ältere, dickere Bruder von ihm. Optisch käme das ungefähr hin. Allerdings bin ich als Schauspieler eher so Mezzo. Er ist Deluxe. Aber vielleicht könnte ich dabei von ihm noch lernen.
Blitzlicht-Runde
Was war der beste Ratschlag, den du jemals erhalten hast?
Hör auf Deinen Bauch.
Wie lautet dein Lebensmotto?
Alice Weidel von der AFD. Ich würde sie fragen: „Was ist passiert, warum bist Du so traurig?“
Vervollständige den Satz:
„Für mich ist die Multiple Sklerose… eins meiner vielen Lebensthemen, mit denen ich versorgt wurde.“
Welche Internet-Seite kannst du zum Thema MS empfehlen?
Welches Buch oder Hörbuch, das du kürzlich gelesen hast, kannst du uns empfehlen und worum geht es darin?
Kristof Magnusson „Ein Mann der Kunst“. Die Darstellung von bedauernswerter Bildungsbürgerlichkeit in der Kunstszene. Es ist amüsant und was Magnusson schafft ist, dass man die Figuren am Ende doch irgendwie mag. Oder sagen wir: man würde sie schließlich doch mit auf der Arche Noah mitnehmen, wenn die Flut käme, wenn sie da in ihrer Unterwäsche am Ufer stehen würden. Das Bild habe ich von Sibylle Berg geklaut, die ich sehr verehre. Das hat sie mal in einem Interview gesagt. Da wurde ihr eine ähnliche Frage gestellt. Von ihr kann ich nur „Der Mann schläft“ empfehlen.
Hast du einen Tipp, den du deinem jüngeren Ich zum Zeitpunkt der Diagnose geben würdest?
Das war schon alles richtig so, wie es war. Et is, wie et is.
Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?
Behaltet den Humor. Immer.
Wo findet man dich im Internet?
Ich habe eine Homepage, die so heißt, wie ich – Frank Sandmann. Auf Instagram, auf Facebook, ein bisschen Youtube und auch auf www.aktiv-mit-ms.de. Da gibt es neuerdings auch einen Podcast, der „MS aktiv begegnen“ heißt. Da bin ich dann auf der anderen Seite des Mikrofons.
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Vielen Dank an Frank Sandmann für das vergnügliche Interview und die wiederholte Bestärkung den eigenen Weg zu gehen und nicht zu viel Zeit mit der Frage nach dem „Warum?“ zu verbringen.
Alles Liebe und bestmögliche Gesundheit wünscht dir,
Nele
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Hier findest du eine Übersicht zu allen bisher veröffentlichten Podcastfolgen.
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