Diesmal begrüße ich Dr. Christoph Guger als Interviewgast und wir sprechen über die Möglichkeiten der Neurorehabilitation mit recoveriX bei MS-bedingten motorischen Einschränkungen. Nach erfolgreichen Studien und Erfahrungen im Bereich Schlaganfall wurde recoveriX auch bei Menschen mit Multipler Sklerose ausprobiert, die durch die Erkrankung unter motorischen Einschränkungen leiden und auch hier funktioniert das Training.
Im Interview sprechen wir darüber, wie ein Training mit recoveriX abläuft, wie viel Trainingseinheiten nötig sind, und welche Verbesserungen realistisch sind. Außerdem geht es darum, wo das Training angeboten wird, welche Kosten damit verbunden sind und wer womöglich Zuschüsse von einem Leistungsträger in Anspruch nehmen kann.
Der Podcast und dazugehörige Blogbeitrag wurde durch die freundliche Unterstützung der g.tec medical engineering GmbH ermöglicht.
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Inhaltsverzeichnis
Vorstellung – Wer ist Dr. Christoph Guger?
Christoph Guger: Mein Name ist Christoph Guger. Ich sitze hier in Schiedlberg in Österreich. Das ist ein ganz kleines Dorf, wo wir unser Headquarter von g.tec medical engineering haben. Wir sind vor circa 25 Jahren gegründet worden und wir stellen Brain-Computer-Interfaces, also so Gehirn-Computer-Schnittstellen her und beliefern viele Unis, Spitäler, Forschungszentren und die Industrie, mit unserer BCI-Technologie.
Einführung zur Neuroehabilitation mit recoveriX
Können sie einen Überblick darüber geben, was recoveriX ist und wie es MS-Patienten mit motorischen Beeinträchtigungen helfen kann?
Christoph Guger: Also recoveriX ist ein Brain-Computer-Interface-System, das in der Lage ist, Gehirnaktivitäten zu analysieren. Und das wird bei MS-Patienten so angewandt, dass der MS-Patient vor einem Bildschirm sitzt, wo man einen kleinen Avatar sieht. Und dieser Avatar bewegt zum Beispiel die linke Hand. Und das ist dann die Instruktion für den Patienten, sich eine linke Handbewegung vorzustellen. Das ist ganz wichtig, er denkt nur an die Bewegung. Und diese Gehirn-Computerschnittstelle kann über EEG-Signale, über Gehirnströme dann erkennen, dass der Patient jetzt gerade an die Bewegung denkt. Und dann triggern wir eine funktionelle Elektrostimulation der Muskel in der linken Hand.
Und dann führt schließlich die linke Hand die Bewegung durch, die sich der Patient vorher gedacht hat. Es dauert einige Sekunden und dann wird zufällig eine andere Körperfunktion aktiviert, zum Beispiel der rechte Fuß. Dann denkt sich wieder der Patient, den rechten Fuß zu bewegen, die Gehirn-Computerschnittstelle erkennt das und wir stimulieren den rechten Fuß. Das wird 240 mal in einer Therapiesitzung wiederholt und Patienten kommen zu uns 30 mal. Also es sind 30 Therapiesitzungen und somit stellt sich einen Patient ungefähr 8.000 mal diese Bewegungen vor. Das führt zu Neuroplastizität und ist ein ganz wichtiges Prinzip der Neurorehabilitation.
Bei MS-Patienten sind auch einige Neuronen geschädigt. Die funktionieren nicht mehr richtig. Die Aktionspotenziale werden gar nicht mehr weitergeleitet oder sehr langsam weitergeleitet und dadurch ist halt die Fein-, und Grobmotorik und viele andere Sachen beeinträchtigt. Dadurch, dass wir das 8.000 mal wiederholen, lernen gesunde Neuronen diese geschädigten Neuronen zu ersetzen. Neuronen können ja elektrische Felder detektieren und sie suchen immer nach neuen Wegen, um sich zu verknüpfen und wir schicken 8.000 mal Aktionspotenziale durch die Therapie im Gehirn runter und dadurch verbinden sie diese Neuronen neu und verstärken diese Fein-, und Grobmotorik unserer Patienten wieder.
[00:03:26] Nele Handwerker: Sehr spannend. Klingt aber auch ein bisschen anstrengend für die Patienten, oder? 240 mal die Übung wiederholen, wenn jemand eingeschränkt ist. Würde mich jetzt mal kurz interessieren.
[00:03:37] Christoph Guger: Wir haben ja vor vielen Jahren mit Studenten begonnen, das System zu entwickeln. Wir können ganz genau die Genauigkeit messen, wie gut sich ein Proband rechte und linke Gedanken vorstellt. Dabei werden die EEG-Signale analysiert. Bei Studenten war die Genauigkeit gar nicht mal so groß, weil die gar nicht mal so motiviert waren, das eine Stunde lang zu tun. Dann haben wir interessanterweise unsere erste Studie mit Schlaganfall gemacht und auf einmal waren die Schlaganfallpatienten viel besser als die Studenten. Das Gleiche trifft für MS-Patienten genauso zu.
Da sind oft die Extremitäten, Füße, Hände, gelähmt oder schwer beeinträchtigt, dass man die Bewegung nicht richtig durchführen kann und auf einmal, oft auch nach vielen Jahren, bewegt sich die Hand oder der Fuß wieder, sobald ich daran denke. Das führt zur sehr hohen Motivation unserer Patienten und sie sind voll motiviert, dass sie da eine Stunde lang die Therapie durchführen. Wie schon vorher erwähnt waren die Genauigkeiten einfach viel besser und das ist natürlich auch ganz wichtig.
Wir haben da eine Gruppenstudie gemacht und da haben wir einfach festgestellt, bei Patienten, wo die Genauigkeit hoch ist, sind die motorischen Verbesserungen höher als bei Patienten, wo die Genauigkeiten geringer sind. Das heißt einfach, man muss bei der Therapie mittun, damit man mehr davon hat. Also wenn man einfach da sitzt und nichts tut, ist es einfach schade um die Zeit. Aber wenn man mit tut, dann kriegen wir so gut wie bei jedem Patienten eine Verbesserung. Also es sind ganz wenige Ausnahmen, wo man keine Verbesserungen sehen. Das hat aber meistens damit zu tun, dass ein zweiter Schlaganfall eingetreten ist oder Schub gekommen ist von der MS, sonst verbessern sich die Patienten.
[00:05:23] Nele Handwerker: Okay, super. Das klingt total plausibel.
Welche MS-PatientInnen profitieren am meisten von recoveriX? Und gibt es bestimmte Mindestanforderungen, die Voraussetzung für einen Trainingserfolg sind?
[00:05:40] Christoph Guger: Die Einschlusskriterien sind eigentlich sehr einfach. Es kann jeder Patient teilnehmen, der in der Lage ist, für eine Stunde vor dem Computer-Bildschirm zu sitzen und versteht, was die Instruktionen sind, was der Computer ihm vorgibt. Also rechte Hand bewegen, linken Fuß bewegen und so und dann ist man dabei. Bei MS ist das eigentlich so gut wie immer der Fall. Wir haben noch nie einen Patienten gehabt, der da nicht reingefallen ist.
Bei Schlaganfall könnte es sein, dass der präfrontale Cortex beeinträchtigt ist und dann versteht man einfach die Anweisungen nicht. Dann kann man die Therapie eigentlich schon aktiv betreiben. Von der Schwierigkeit, wie schwer die MS den Körper beeinträchtigt, ist auch egal. Wir haben Leute, die nur noch im Rollstuhl sitzen und die Hände nicht mehr bewegen, die profitieren. Dann haben wir Patienten, die noch fast gar nichts merken, die profitieren aber auch. Da wird auch Fein-, und Grobmotorik, Spastik besser. Und das ist auch ganz wichtig, dass diese Patienten trainieren, weil nachher wird das Gehirn grundsätzlich mal gesünder. Falls dann der nächste Schub kommt, startet man einfach schon besser und einem wird nicht so viel weggenommen, wie wenn man halt schlechter startet. Wir empfehlen eigentlich, so bald wie möglich die Therapie zu machen, damit diese Verschlechterungen gar nicht erst eintreten.
Wie fügt sich recoveriX in das breitere Spektrum der Gesundheitsversorgung und Rehabilitation für Personen mit MS ein?
[00:07:12] Christoph Guger: Also wir haben bei recoveriX ein Franchise-System gegründet, um die Therapie ambulant anbieten zu können. Da arbeitet man mit Physiotherapeuten, Geschäftsmännern, Medizinern, Ärzten usw. zusammen. Und die können dann selber so ein recoveriX-Zentrum aufmachen. Dort kommen dann die Patienten einfach für diese 30 ambulanten Therapien vorbei, die ungefähr eine Stunde dauert. Da wird dieses EEG-System am Kopf angebracht, die Stimulationselektroden auf die Hände und Beine geklebt. Es dauert ein paar Minuten und dann wird die Therapie für ungefähr 50 Minuten durchgeführt. Dann wird alles wieder entfernt und man kann nach Hause gehen.
Wichtig ist halt, dass man sehr viele Vor- und Nachuntersuchungen durchführen. Wir haben da insgesamt 18 verschiedene Tests, um objektiv beweisen zu können, was sich eigentlich beim Patienten tut. Die müssen z.B. 25 Schritte gehen und wir messen die Zeit. Dann müssen sie aufstehen, einen Kreis gehen und sich wieder niedersetzen, wir messen die Zeit. Das ist z.B. ein sehr guter Test für Koordination der Bewegung und für Balance. Da müssen sie sechs Minuten gehen und wir messen, wie weit sie kommen. Da sind auch Konzentrations- und Erinnerungstests dabei. Damit können wir einfach ganz objektiv quantifizieren, was sie bei einem Patient tut.
Das ist ganz wichtig, weil die Therapie erstreckt sich über ungefähr zwei Monate und oft vergisst man dann eigentlich, wie es am Anfang war und durch die Tests kann man das noch einfach sehr schön zeigen. Bei MS sehen wir einfach fantastische Verbesserungen. Patienten, gehen schneller, das kann bis zu dreimal so schnell sein. Die stehen schneller auf, die setzen sich viel schneller nieder. Am Anfang sieht man zum Beispiel oft, dass das ausschaut, wie wenn ein Patient aufsteht. Am Schluss ist, wie wenn ein gesunder Mensch aufsteht. Also wir machen auch davor und danach Videos, um das zu vergleichen. Da sieht eindeutig die Verbesserung im Gangbild. Das ist ganz wichtig, um Patienten das zu zeigen.
Wir haben dann noch Abschlussgespräche mit den Patienten, wo wir diese ganzen Parameter darlegen. Und sehr oft wissen die Patienten, was alles besser geworden ist. Vor kurzem hat mir einer erzählt, da hat z.B. der linke Arm immer gezittert und sie war nicht in der Lage, ihren Kaffee zu trinken, weil sie einfach alles verschüttet hat, sie hat auch keine Gabel verwendet. Jetzt, nach der recoveriX Therapie, nimmt sie die linke Hand ganz normal, trinkt den Kaffee mit der linken und isst wieder ganz normal mit dem Besteck. Und sie merkt gar nicht mehr, dass die linke Hand jemals was gehabt hat.
Oder eine andere Dame hat mir erzählt, die kann jetzt 90 Minuten durchgehend Minigolf spielen. Daran hat sie schon ganz lange nicht mehr gedacht. Eine andere Dame kann jetzt vier Stunden lang Karten spielen. Früher ist sie einfach sofort müde geworden und hat noch ein paar Minuten schon gegähnt. Das ist auch etwas, was die ganze Umgebung merkt, also Freunde und Familie, dass es den Patienten besser geht. Eine Logopädin aus Wien war hier, die hat zum Beispiel vorher ein Kind therapiert und dann ist sie schlafen gegangen, weil sie einfach so ermüdet war. Jetzt kann sie sechs Kinder therapieren und dann geht sie noch einkaufen.
Und das ist auch recht schön, dass wir nämlich festgestellt haben, dass recoveriX die Fein-, und Grobmotorik verbessert, also Hände und Füße sind viel besser zu bewegen. Spastik lässt aus. Das ist ganz wichtig, weil die Spastik oft die Bewegungen blockiert. Die entsteht ja dadurch, dass das Gehirn den Muskel nicht mehr ansteuert und dann zieht sich die Hand oder der Fuß zusammen. Und man kann einfach diese motorischen Tätigkeiten nicht mehr richtig ausführen. Dann haben wir gesehen, dass die Temperaturkontrolle der Extremitäten sich normalisiert. Oft ist eine Hand oder ein Fuß kälter. Tremor, das Zittern wird besser, ist auch ganz wichtig.
Auch einfach, dass man gesünder ausschaut, wenn einen andere Leute ansehen. Konzentrationsfähigkeit wird besser, Leute können auf einmal die Zeitung wieder komplett lesen oder sich besser erinnern. Und Blasenkontrolle wird besser, das bringt auch sehr vielen Patienten was. Aber das Beste ist eigentlich die Fatigue. Weil zurzeit haben Neurologen einfach überhaupt keine Behandlungsmöglichkeit gegen Fatigue. Da gibt es kein Medikament, da gibt es keine Therapie. Und wenn Leute mit recoveriX trainieren, wird diese Fatigue deutlich besser und die Leute sind viel aktiver im Alltag.
[00:11:44] Nele Handwerker: Ja, macht absolut Sinn. Dazu hatte ich auch schon mal eine Folge, da bin ich ein bisschen drauf eingegangen, über die primären, sekundären und tertiären Faktoren, wie Fatigue entsteht. Und das hat ja wirklich viel damit zu tun, dass man einfach so viel Energie für Körpersteuerungsprozesse verwendet, weil die nicht mehr gut funktionieren. Daher macht es Sinn, dass das besser wird. Und schön, dass auch die kognitiven Fähigkeiten besser werden.
Das hat man in den letzten Jahren immer mehr herausgefunden, dass das wirklich stark zusammenhängt. Und dass es bei jemandem, der zum Beispiel fitter ist, total Sinn macht, sportlich zu trainieren, vielleicht noch mit einer kleinen gedanklichen Übung. Und dann verbessert man eben die verschiedensten Funktionen. Mit der Blase ist für mich etwas Neues, aber toll, es ist eben immer gut, wenn die Neuroplastizität angeregt wird.
Details zum Training mit recoveriX
Kann das Trainingsprogramm an die spezifischen Bedürfnisse und den Fortschritt individueller PatientInnen angepasst werden?
[00:12:48] Christoph Guger: Ja, das ist eine ganz interessante Erkenntnis, die wir gewonnen haben. Vor zehn Jahren haben wir ungefähr mit der Entwicklung von recoveriX begonnen. Und damals haben wir uns gedacht, dass wir ultra komplexe Bewegungsabläufe brauchen. Also einfach für jede Bewegung, die man mit den Fingern und Füßen machen will, dass man das trainieren und ganz viele Stimulatoren brauchen.
Mittlerweile wissen wir, wenn wir eine ganz primitive Dorsiflexion der Hand und des Fußes durchführen, dass sich das auf die ganze Extremität auswirkt, also Finger, Handgelenk, Ellbogen, Oberarm, das wird alles besser. Spastik lässt Im ganzen Arm und in der Hand nach und Fein-, und Grobmotorik wird besser. Das Gleiche ist beim Fuß. Und das ist eigentlich recht interessant, dass wir nicht jeden einzelnen Finger trainieren müssen, um diese Ergebnisse zu erzielen. Und das macht das Ganze auch praktikabel in der Anwendung, sonst würde so eine Therapie einfach viel zu lange dauern.
Mittlerweile schafft man das mit 30 Therapieeinheiten. Also man trainiert da ungefähr effektiv 24 Stunden und danach ist man einfach um einiges besser. Ich sage immer, wenn ich Englisch lerne nach 24 Stunden, bin ich nicht viel besser. Also es zahlt sich auf jeden Fall aus, diese Therapie in Anspruch zu nehmen. Wir haben eine Gruppenstudie gemacht, wenn Patienten die Therapie zweimal machen, da haben wir gesehen, dass sich diese Verbesserungen mehr oder weniger linear fortsetzen. Also es hört nicht auf, nach diesen Therapieeinheiten.
Und was auch ganz wichtig ist, es ist ein Langzeittherapieerfolg, also wir machen da Nachuntersuchungen einen Tag nach der Therapie, einen Monat später und sechs Monate später. Üblicherweise sind die Patienten sechs Monate später nochmal besser, weil wenn sie mit der recoveriX Therapie aufhören, ist das Gehirn mal gesünder. Und dann bewegen die Patienten im Alltag mehr die Füße und die Hände, das trainiert die Muskeln. Und schlussendlich gehen die nochmal weiter und schneller und fühlen sich auch besser. Also es geht nicht mehr verloren. Außer es kommt halt irgendein anderes medizinisches Event, aber grundsätzlich bleibt es dann so.
[00:14:58] Nele Handwerker: Okay, das ist ja super. Mein Tipp ist zu schauen, dass man eine verlaufsmodifizierende Therapie hat, die die MS im Griff hält, denn dann kann man sich auf die Rehabilitation konzentrieren. Jetzt hatten Sie kurz einen Begriff benutzt, Dorsiflexion. Da bin ich mir sicher, den kennen nicht alle Hörerinnen und Hörer. Wenn Sie einfach noch mal ganz kurz erklären, welche Art von Bewegung damit gemeint ist.
[00:15:18] Christoph Guger: Da hebt man einfach die Hand und alle Finger so 90 Grad nach hinten. Das versteht man unter Dorsiflexion. Beim Fuß ist fast das Gleiche, da zieht man den Fuß und die Zehen nach oben, so weit es geht. Und diese Bewegung produzieren wir durch diesen elektrischen Stimulator, der durch die Gehirn-Computerschnittstelle angesteuert wird. Bei der Therapie ist ganz essentiell, dass das unmittelbar erfolgt, also sobald der Patient an die Bewegung denkt, wird dieser Stimulator eingeschaltet. Und dadurch, dass wir das 8000 mal wiederholen, wird diese Neuroplastizität angeregt und ist so oft, wie ein Kind ungefähr braucht, um gehen zu lernen. Und gerade beim Gehirn sind Wiederholungen das Entscheidende.
Darum konzentrieren wir uns auch auf diese ganz einfachen Bewegungen, die muss der Patient ganz monoton im Prinzip ausführen und dann werden die Patienten besser. Daher wenden wir eigentlich auch die gleiche Therapie für alle Patienten an, weil es einfach funktioniert. Wir haben bei Schlaganfallpatienten z.B. auch festgestellt, dass die wieder besser sprechen und besser schlucken können. Dadurch, dass wir den sensomotorischen Cortex aktivieren, durch diese Handbewegungen, haben wir einen Effekt auf das Sprachnetzwerk. Zum Sprechen braucht man mal den auditorischen Cortex. Das ist einfach, um Sprache zu verstehen. Dann braucht man Wernicke’s Area, um die Wörter einfach zu erkennen. Schlussendlich braucht man Broca‘s-Area, um die Antwort zu geben. Und das steuert noch den Mund, die Zunge, Lippen an, um die Wörter wiederzugeben. Dieser sensomotorische Cortex, der auch für Mund und Lippen und so weiter verantwortlich ist, wird durch recoveriX angeregt. Und dadurch haben wir einen Effekt auf das gesamte Sprachnetzwerk im Gehirn.
Das Gleiche trifft auch auf Schmerzen zu, recoveriX wird zum Beispiel in Finnland schon für chronische Schmerzen bei Patienten angewendet. Also wenn Medikamente und andere Therapien einfach nicht mehr helfen, gehen die hin und machen die recoveriX Therapie, also wieder nur Bewegungsvorstellungen und die Schmerzen lassen nach. Und das ist im Prinzip der gleiche Effekt wie mit dem Sprachnetzwerk. Wir können auch auf das Schmerznetzwerk zurückgreifen, indem wir sensomotorischen Cortex modulieren durch die Therapie.
[00:17:43] Nele Handwerker: Spannend, Schmerzen sind auf jeden Fall auch ein unterbehandeltes Symptom bei MS. Das ist toll, das wird sicherlich für viele spannend sein. Jetzt haben Sie es zwar schon mal erklärt, ich würde gerne trotzdem noch mal zurückgehen.
Wissenschaftliche Grundlagen und Evidenz
Was passiert im Körper und im Gehirn während einer recoveriX-Trainingseinheit?
[00:18:14] Christoph Guger: Das recoveriX System instruiert den Patienten, sich eine rechte Handbewegung z. B. vorzustellen, durch diese Vorstellung der rechten Handbewegung wird der sensomotorische Cortex aktiviert. Das ist einfach der Bereich, der für die rechte Hand zuständig ist. Das ist üblicherweise in der linken Hemisphäre vom Gehirn. Und genau da haben wir EEG-Elektroden angebracht, um diese Gehirnaktivitäten messen zu können. Das sind im Prinzip Spannungen, die vom Gehirn aktiviert werden und wir können die einfach messen, das ist ganz normale Elektrotechnik.
Somit können wir erkennen, sobald der Patient an die rechte Handbewegung denkt. Und dann wird erst der Stimulator getriggert und eingeschaltet, der nachher wirklich den rechten Muskel stimuliert. Und dieser Pairing-Effekt, der ist ganz wichtig, dass halt der Muskel angesteuert wird, sobald das Gehirn daran denkt.
Dadurch lernen die Neuronen wieder, dass das zusammengehört und die kognitiven Prozesse werden mit der Motorik gekoppelt.
Interessant bei recoveriX ist auch, dass man viele Standard-Neuro-Reha-Prozeduren eigentlich auf einmal durchführen. Diese funktionelle Elektrostimulation, die Muskelstimulation ist zum Beispiel eine Standardtherapie, die machen wir. Die motorischen Vorstellungen werden weltweit eingesetzt. Da sagt einfach der Physio-, oder der Ergotherapeut, stell dir doch mal diese Bewegung vor. Die machen wir, nur mit dem Unterschied, dass wir 8.000 mal machen.
Die Spiegelneuron-Therapie machen wir ebenfalls. Der Patient sieht ja diesen Avatar am Bildschirm und sobald er an die rechte Handbewegung denkt, bewegt auch der Avatar die rechte Hand. Dadurch wird wiederum der sensomotorische Cortex aktiviert. Spiegelneurone im Gehirn sind dafür verantwortlich, dass man Verhalten kopiert. Mein Sohn hat zum Beispiel Skifahren gelernt, indem er einfach anderen Kindern zugeschaut hat, wie die das machen. Diese sprechen wieder mit dem sensomotorischen Cortex und dadurch lernt man Bewegungsabläufe.
Es gibt genauso Experimente, also wenn ein Patient nur einem anderen Menschen zuschaut, der die rechte Hand bewegt, dann wird auch das rechte Handareal bei ihm im Gehirn aktiviert, weil diese Spiegelneuronen das produzieren. Diese Therapie ist eben im recoveriX System auch drinnen. Dann gibt es noch ein paar weitere Therapien, die wir vereinen, nur mit dem Unterschied, dass wir alles gleichzeitig machen. Im Worst Case haben wir acht Standardtherapien gleichzeitig. Zusätzlich haben wir aber auch noch diese Kopplung der mentalen und kognitiven Prozesse mit der Motorik über die Brain-Computer-Schnittstelle und dadurch ist eigentlich die Therapie so effektiv.
[00:20:59] Nele Handwerker: Super, wunderbar.
Gibt es spezifische Studien oder Evidenz, die die Wirksamkeit von recoveriX, für MS-PatientInnen zeigen? Und wie vergleichbar sind Studiendaten mit Schlaganfallpatienten? Sind die Rehabilitationsprozesse ähnlich?
[00:21:20] Christoph Guger: Die erste Studie war mit oberen Extremitäten bei Schlaganfallpatienten. Da haben wir rechte Handbewegung gegen linke Handbewegung trainiert. Da haben sich so gut wie alle Schlaganfallpatienten verbessert, es hat nur zwei Ausnahmen gegeben. Eine Patientin, die leider aus dem gleichen Ort war wie ich und die ich schon seit langem kenne, die hat einen zweiten Schlaganfall gehabt in dieser Zeit, wo wir die Therapie durchgeführt haben, also in diesen zwei Monaten. Und dadurch hat sie sich schlussendlich nicht verbessert.
Der zweite Proband, der nicht besser wurde, der hat einfach nie aufgepasst. Der hat immer umher geschaut und sich unterhalten. Und wenn man nicht mit tut, dann bringt es auch nichts. Alle anderen sind besser geworden. Und das sogar 10, 20 und 30 Jahre nach dem Schlaganfall. Und das ist etwas, was Patienten sehr oft gar nicht hören. Also denen wird gesagt, nach einem Jahr gibt es eigentlich keine Verbesserungen mehr, manchmal schon nach sechs Monaten. Und das stimmt einfach nicht. Also die Dauer, wie lange der Schlaganfall her ist, die hat nichts mit den Verbesserungen zu tun. Man muss nur mittun und dann verbessert man sich.
Da haben wir eben erkannt, dass die Spastik besser wird, Fein-, und Grobmotorik wird besser, Temperaturkontrolle, Sprache, Schlucken, was recht interessant war, dass halt auch die Sprache besser wird. Dann haben wir uns gedacht, eigentlich sollte man es für die Füße auch probieren und das war die zweite klinische Studie. Da haben wir festgestellt, dass die Patienten einfach schneller gehen, länger gehen können, Balance besser wird, Koordination der Bewegungen besser wird und somit das Gangbild wesentlich schöner ist.
Interessanterweise hat sich die Fußtherapie auch auf die oberen Extremitäten ausgewirkt. Und sogar die Hände und Arme sind besser geworden, obwohl wir eigentlich die Füße therapiert haben. Dann ist noch die Konzentration, das Erinnerungsvermögen besser geworden. Und die Fußtherapie war einfach für den Patienten auch viel leichter zu verstehen, um wie viel, dass er besser geworden ist. Weil zum Gehen braucht man einfach beide Füße und man fällt so richtig auf, wenn halt der Fuß besser geht, dass man schneller ist und mehr tun kann im Alltag.
Bei den oberen Extremitäten ist es so, dass man einfach sehr viel mit der gesunden Hand kompensiert und Tätigkeiten durchführt.
Dann fällt es den Patienten oft gar nicht so auf, dass jetzt diese Hand besser wurde. Da waren nachher diese Videos ganz wichtig, dass wir vor und nachher vergleichen. Und während dieser Studie hat nachher unser Neurologe, der Tim von Oertzen, das war der Primar, im Kepler Klinikum hier in Linz gesagt, wieso probiert man das eigentlich nicht bei MS, das müsste genauso funktionieren.
Dann haben wir die ersten 5 MS-Patienten mal rekrutiert für die nächste klinische Studie. Dann sind gleich mal 5 von 5 besser geworden, was immer ein gutes Indiz ist und dann haben wir eigentlich nur noch beweisen müssen, in einer Gruppenstudie, dass das quasi für jeden zutrifft. Und bei MS funktioniert es eigentlich noch besser als beim Schlaganfall, also die Patienten werden einfach noch mal ein Stück besser. Und das ist damit zu erklären, dass die Läsionen im Gehirn einfach viel kleiner sind, als bei den meisten Schlaganfallpatienten, wo richtig große Areale beeinträchtigt sind.
Bei MS ist es doch so, dass manchmal gar nicht so richtig erkennbar ist im Magnetresonanzbild, wo die Läsionen liegen. Dadurch dürften sich einfach die gesunden Neuronen leichter tun, die geschädigten Neuronen zu umgehen und die Bewegung zu verstärken. Bei MS war noch die Herausforderung, dass ja MS bilateral ist. Also da sind beide Körperseiten beeinträchtigt, bei Schlaganfall ist ja immer nur eine Körperhälfte. Und das haben wir so gelöst, dass wir bei MS-Patienten in einer Therapieeinheit den linken Fuß gegen die rechte Hand therapieren und in der nächsten Einheit dann den anderen Fuß gegen die andere Hand. So wechseln wir immer ab und damit können wir eigentlich alle vier Extremitäten aktivieren.
Das beeindruckende bei MS-Patienten war… mit der motorischen Verbesserung und der Spastik haben wir sowieso gerechnet, weil wir es einfach gewusst haben von Schlaganfall-Patienten, dass das hilft. Aber das beeindruckende war eigentlich, wie gut sich die in der Fatigue verbessert haben und bei der Blasenkontrolle. Und das sind zwei ganz wichtige Punkte, weil die im Alltag einfach extrem viel bringen,
[00:25:46] Nele Handwerker: Ja, absolut. Jetzt muss ich auch nochmal aus Neugier nachfragen, Blasenkontrolle wird wahrscheinlich besser, wenn ich die Füße mitmache. Also gibt es auch, dass Sie bei MS-Patienten nur die Hände und Arme stimulieren?
[00:26:00] Christoph Guger: Das haben wir jetzt nicht ausprobiert, weil wir eben alle vier Extremitäten behandeln wollten. Das könnte man natürlich in der nächsten klinischen Studie untersuchen. Wir haben uns jetzt aber mal auf eine Folgebehandlung fokussiert, diese klinische Studie läuft zurzeit. Und das soll die Frage beantworten, was passiert eigentlich, wenn ich die Therapie 60 mal und nicht 30 mal durchführe? Wie viel besser werde ich dann? Da wissen wir einfach von Schlaganfallpatienten, dass die Ergebnisse fantastisch sind. Also wir haben da Patienten sechs Monate nach dem Schlaganfall bekommen, Feinmotorik ist deutlich besser geworden. Das messen wir, indem wir kleine Stäbchen wo reinstecken muss und wir messen einfach die Zeit, wie lange er braucht. Und nach 25 Therapien sind die schon mal viel besser, obwohl sie eigentlich durch die Neurorehabilitation, die bei uns angeboten wird, austherapiert sind, werden aber trotzdem besser.
Und wenn wir nachher nochmal 25 Sitzungen anhängen, dann werden die nochmal besser. Da haben wir einige Patienten schon gehabt, wo nachher einfach die Motorik wie vor einem Gesunden ausschaut. Also ich könnte jetzt ohne Test gar nicht mehr feststellen, dass die Hand jemals irgendeine Beeinträchtigung gehabt hätte. Mit diesen feinen Tests kann man es dann schon erkennen, weil wir können einfach ganz genau quantifizieren, ob was besser wird und wie viel es besser wird. Und bei MS-Patienten ist es genau das Gleiche, dass die deutlich besser werden.
Benutzererfahrung und Verfügbarkeit von recoveriX
Welche zeitnahen und langfristigen Verbesserungen haben MS-Betroffene durch die Neurorehabilitation mit recoveriX gemacht und wie wirkt sich das auf den Alltag aus?
[00:27:29] Nele Handwerker: Ja, diese Tests kennen, glaube ich, die meisten von uns auch. Ich mache sie auch regelmäßig. Diese 25-Fuß-Wegstrecke, 25-Foot-Walk und den 9-Hole-Peck-Test, wo ich Stäbchen in eine Schablone reinstecken muss, mit links und rechts. Aber bloß noch mal ganz kurz, jemand, der natürlich stark beeinträchtigt ist, bei dem wird das wahrscheinlich nicht nach 30 oder 25 Sessions so sein, als ob er gesund ist. Das ist vermutlich immer von dem Punkt, wo ich herkomme, verbessere ich mich um einen bestimmten Faktor, Sie haben es ja gesagt, zum Beispiel dreifach schneller. Dass da jetzt keine falschen Erwartungshaltungen geweckt werden.
[00:28:07] Christoph Guger: Nein, also das ist es nicht. Deswegen haben wir auch die Gruppenstudien gemacht. Im Schnitt wissen wir genau, um wie viel ein Patient besser wird. Da gibt es ja verschiedene Scores, also um wie viel, dass man weiter geht, um wie viel, dass man schneller geht. Bei der Fußtherapie ist zum Beispiel so, dass unsere Patienten um 0,19 Meter pro Sekunden schneller gehen, nachdem sie diese Therapie gemacht haben. Das ist jetzt ein bisschen schwer sich vorzustellen. Aber wenn man jetzt, um ein Medizinprodukt anzumelden in Europa, muss man eine klinische Evaluierung durchführen.
Also wir haben uns jetzt mit sämtlichen anderen existierenden Rehabilitationsmöglichkeiten beschäftigt und das effektivste andere Gerät schafft 0,11 Meter pro Sekunde. Wir schaffen 0,19 Meter pro Sekunde und recoveriX ist einfach viel einfacher anzuwenden. Der Patient sitzt in einem Sessel, führt die Therapie durch, ein Therapeut kann einige Patienten parallel behandeln. Also es geht viel einfacher und wir erzielen eigentlich eine viel höhere Geschwindigkeitssteigerung als jede andere Technologie. Wenn man jetzt normal geht, hat man ungefähr einen Meter in der Sekunde, was man geht. Wir schaffen eine Verbesserung von 0,19, also dann kann man sich ungefähr vorstellen, um wie viel man schneller geht. Je größer die Beeinträchtigung ist, desto mehr merkt man halt auch, was man schneller geht.
Also wir haben schon Patienten, die dreimal so schnell gehen. Gibt es auch diesen Timed-Up-and-Go-Test, wo man aufstehen muss, ein Stück vorwärts gehen, einen Kreis machen und wieder rückwärts gehen und sich hinsetzen. Und einige Patienten gehen dann dreimal so schnell, also statt einer Minute, dann in 20 Sekunden. Und das bringt einem dann richtig viel im Alltag. Wir haben auch Patienten gehabt, die im Rollstuhl begonnen haben und einfach gar nicht gehen haben können. Da rede ich jetzt von Schlaganfallpatienten, bei MS haben wir jetzt keinen gehabt, der so stark beeinträchtigt war, weil das unser Inklusionskriterium für die klinische Studie war, dass die Patienten einfach nur zehn Meter gehen können, um einfach die Verbesserung zu messen.
Aber bei Schlaganfall haben wir einen gehabt, der ist nicht mehr gegangen, der war im Rollstuhl und der hat auch nicht mehr kommuniziert. Also den hat man angesprochen und der hat eigentlich nicht reagiert. Und beim 53. mal ist er nachher die ersten drei Schritte gegangen, beim 100. mal ist er von unserem Parkplatz ins Therapiezentrum reingegangen und wieder raus, ohne Rollstuhl. Und das Beste war eigentlich, er hat wieder normal kommuniziert, er war einfach wieder da und war wieder frisch verliebt in seine Frau. Die haben wieder gescherzt und ganz am Anfang haben wir uns gedacht, was sollen wir da bewirken? Und schlussendlich ist er gegangen und hat kommuniziert, richtig cool.
[00:30:58] Nele Handwerker: Wunderbar und dann war er ja auch offenbar motiviert, auch wenn man es ihm vorher nicht angemerkt hat. Sie haben ja jetzt schon mehrfach betont, wie wichtig es ist, dass man selber mit dran teilnimmt. Auf jeden Fall eine ganz tolle Geschichte. Jetzt haben Sie gesagt, dass man kurz nach der Therapie einen Erfolg X hat und die langfristigen Verbesserungen sehen aber sogar noch besser aus, einfach, weil ich wieder mehr tätig werden kann. Das hat man selten bei Rehabilitation.
[00:31:30] Christoph Guger: Wenn man jetzt Botox oder so gegen die Spastik gibt, das hält drei Monate und da muss man eigentlich wieder hingehen. Bei recoveriX haben einige Patienten, die einfach niemals wieder Botox gebraucht haben, weil die Spastik weg war oder einfach die Schmerzen und die Verkrampfung nicht mehr so dramatisch war, dass sie es einfach nicht mehr gebraucht haben. Das ist natürlich super sinnvoll. Von der Verbesserung ist halt so, dass die entweder gleich am Anfang einsetzt und kontinuierlich weitergeht. Das kann auch gleich am Anfang ganz viel sein. Das kann sich aber auch eine Zeit gar nichts tun und auf einmal geht es los.
Einen Patienten haben wir zum Beispiel gehabt, der hat sich bei den ersten sieben mal gedacht, ich vertue ja nur meine Zeit, das bringt ja gar nichts und eigentlich könnte er sich ins Kaffeehaus setzen. Beim achten mal hat er auf einmal die Spastik im Fuß ausgelassen und er hat den Fuß wieder bewegen können. Das erste Mal seit Jahren. Also es war ein ganz kurzer Moment, wo die Spastik ausgelassen hat und die Motorik war da. Diese unmittelbaren Verbesserungen sehen wir auch richtig häufig. Auf einmal bewegt sich was.
Wie zugänglich ist recoveriX für MS-PatientInnen? Wo findet man Anbieter für diese Art der Neurorehabilitation? Und gibt es spezifische Anforderungen?
[00:32:53] Christoph Guger: Wir sind im Moment, glaube ich, in 18 Ländern vertreten. Das ist natürlich Schweiz, Deutschland, Österreich, aber auch in Südkorea und in Honolulu. Die werden eigentlich wöchentlich mehr, die Länder. In Österreich arbeiten wir zum Beispiel mit einer Physiotherapeutin zusammen und die hat bereits recoveriX Zentren in Wien, in Graz, in Linz, Klagenfurt, Schladming, Innsbruck aufgebaut und sie wird eigentlich gemeinsam mit einem Partner in Waidhofen an der Ypps, gesamt Österreich abdecken. Schlussendlich möchten wir erreichen, dass niemand länger als 30 Minuten zur Therapie kommen muss, weil es natürlich logistischer Aufwand ist. Im Moment fahren einige Leute zwei, drei Stunden her, um die Therapie zu bekommen.
[00:34:09] Nele Handwerker: Okay, super. Gibt es eine Adresse oder eine E-Mail, wo man sich hinwenden kann, um zu fragen, wo der nächste recoveriX Anbieter ist und immer die aktuelle Auskunft erhält, egal wann man die Folge hört oder liest?
[00:34:31] Christoph Guger: Also am besten ist, man geht auf recoveriX.com. Da sind alle Franchise-Partner und recoveriX Zentren vermerkt und man gibt dann einfach in Google Maps seine Adresse ein und dann kommt eigentlich das nächste recoveriX Zentrum raus. Wir haben natürlich auch einen Newsletter, wo wir Leute informieren, wenn ein neues Zentrum entsteht. Da kann man sich einfach anmelden.
Natürlich möchte man es auch in Rehabilitationskliniken und Spitäler reinbringen. Dann kann man sich dort einfach für eine normale Rehabilitation überweisen lassen. In Österreich gibt es zum Beispiel in Bad Hall so ein Zentrum, da geht dann ein Patient hin für einen Monat und kann sich dort einfach therapieren lassen. Das hat dann auch den Vorteil, dass die Kosten übernommen werden. Bei diesen anderen Franchise-Partnern muss man es einfach selber bezahlen. Wobei in Österreich die Krankenkasse schon einen großen Teil eigentlich co-finanziert.
In der Schweiz ist es so, dass jetzt bald in Zürich wer beginnen wird und der wird nachher die ganze deutschsprachige Schweiz abdecken. In Deutschland haben wir bereits Zentren, zum Beispiel in Lindau und in Leipzig, in Passau und in Freiburg. Und im Februar wird dann München mit zwei Standorten, Frankfurt und Hamburg, dazukommen. Und in zwei Jahren werden wir dann ungefähr 50 Zentren in Deutschland haben.
Wie hoch sind die Kosten für die Behandlung mit recoveriX und gibt es Möglichkeiten eine teilweise oder vollständige Rückerstattung durch die Krankenversicherung zu erhalten?
[00:35:44] Christoph Guger: Das hängt ein bisschen vom Land ab. Also in Finnland werden zum Beispiel 80 Euro pro Sitzung erstattet, in Österreich werden 48 Euro pro Sitzung erstattet. Und je nach Land sind die Kosten ein bisschen unterschiedlich. Im deutschsprachigen, also Deutschland, Österreich, liegen die Kosten pro Therapie ungefähr bei 130 Euro. 48 Euro werden in Österreich erstattet und den Rest kann man nachher noch von der Steuer absetzen. Dann bleibt eigentlich gar nicht so viel über, was man selber bezahlen muss. Aber viel wichtiger ist ja, dass es die Option gibt, dass man einfach besser wird. Wenn Patienten zu uns kommen, dann ist eigentlich das Geld nicht wirklich das Thema. Es ist eher, wann kriege ich meinen recoveriX Termin, der große Fragepunkt.
[00:36:31] Nele Handwerker: Sie haben gesagt, dass man die recoveriX Therapie auch im Rahmen einer Rehabilitation machen kann. Wenn ich jetzt einen Monat da bin, trainiere ich dann auch 50-mal, also einfach deutlich öfter. Oder komme ich dann auf weniger Einheiten?
[00:36:44] Christoph Guger: Da kommt man üblicherweise auf weniger Einheiten. Die Reha-Zentren, die machen eine Therapie pro Tag, wobei die halt nur von Montag bis Freitag arbeiten. Und wenn ich einen Monat da bin, schaffe ich ungefähr 20 Therapieeinheiten. Hängt natürlich auch davon ab, wie schnell die damit beginnen, weil am Anfang sind oft Untersuchungen von Patienten und dann wird erst der Therapieplan erstellt. Aber man kann da ungefähr mit 15 bis 20 Therapien rechnen. Wobei wir schon von der Gruppenstudie wissen, dass es ganz essentiell ist, dass man diese 25 Therapien bei Schlaganfall und 30 Therapien bei MS macht. Wir haben schon Patienten, die sich nach 10 oder 20 mal nicht wirklich verbessert haben. Nach 25 beziehungsweise 30 mal ist einfach so gut wie jeder besser. Also man muss schon eine gewisse Anzahl an Wiederholungen durchführen, um einen Erfolg erzielen zu können. Es kann richtig viel sein, was besser wird, es kann ja nur ein bisschen sein, im Schnitt ist es aber trotzdem einiges, was die Patienten besser werden.
[00:37:51] Nele Handwerker: Okay. Und das heißt, hätte ich die Möglichkeit, dass im Rahmen meiner Rehabilitation zu machen, dann würde es total Sinn machen, zu schauen, dass ich im Anschluss eben noch weiter trainiere bei einem lokalen Anbieter, der außerhalb der Reha-Einrichtung ist, um auf meine 30-Einheiten zu kommen, korrekt?
[00:38:10] Christoph Guger: Genau, das empfehlen wir und das möchten wir schlussendlich erreichen, dass in den Spitälern und Reha-Einrichtungen recoveriX steht. Dann kriegt man im akuten oder sub-akuten Stadium schon die Therapie und ambulant kann man auch einfach in die recoveriX Zentren kommen. Das hat dann den Vorteil, dass man einfach gleich wieder heimfahren kann und ein normales Leben führen kann und nicht am Monat irgendwo ist, wo man halt nicht rauskommt. Also die Kombi macht Sinn. Und wir haben halt auch gesehen, dass es nach 25 oder 30 mal nicht aufhört, also es geht so weiter. Und bei ganz schwerwiegenden Beeinträchtigungen geht es ja ganz lange weiter. Also einen Patienten haben wir gehabt, der es 100 mal gemacht hat und der hat richtig schlecht begonnen und vorher habe ich es ja erzählt, dass der am Schluss wieder gesprochen hat und gegangen ist.
[00:39:00] Nele Handwerker: Und offenbar eine höhere Lebensqualität, weil er auch wieder mit seiner Frau kommuniziert hat. Das Thema Lebensqualität ist wirklich wichtig.
Zukünftige Pläne für recoveriX
Gibt es Pläne für die Weiterentwicklung von recoveriX oder anderer Angebote im Bereich Neurorehabilitation für MS-PatientInnen?
[00:39:29] Christoph Guger: Ja, wir… also technisch gesehen kriegen wir Zulassungen laufend in verschiedenste Länder. Also wir sind in Kanada, Australien, Neuseeland, bald in China und Japan, USA und so weiter, ganz Europa und Israel, das haben wir eh schon lange. Also geografisch weiten wir uns aus. Und natürlich gibt es ja MS fast in jedem Land der Erde, in Hongkong witzigerweise nicht, oder Gott sei Dank nicht. Technisch gesehen probieren wir das auch für andere Krankheiten, wie zum Beispiel Parkinson. Da waren jetzt die ersten Patienten schon bei uns und die werden auch deutlich besser. Unsere erste Patientin, zum Beispiel, ist gleich mal doppelt so schnell gegangen, bei diesem Timed-Up-and-Go-Test, was ein Indikator für Fein-, und Grobmotorik, Koordination der Bewegungen und Balance ist, dass sich das alles verbessert hat. Da führen wir auch die jetzige klinische Studie durch.
Wegen der Fatigue haben wir auch Patienten mit Long-Covid eingeladen. Auch bei Long-Covid Patienten, die jetzt bei uns waren, hat sich die Fatigue deutlich verbessert. Da fehlt uns aber noch die Gruppenstudie. Das sind einfach ein paar wenige Patienten, die bisher jetzt bei uns waren. Dann haben wir auch ein paar Leute mit inkompletten Querschnitt in die recoveriX Therapie aufgenommen. Unser erster hat auch diesen Timed-Up-and-Go-Test mehr als doppelt so schnell bewerkstelligen können, nachdem er 25 recoveriX Therapien durchgeführt hat.
Also im Prinzip können wir für sehr viele verschiedene neurologische Erkrankungen klinische Studien durchführen. Es ist nur, jede klinische Studie ist sehr viel Aufwand und dauert. Aber es wirkt einfach bei sehr vielen Beeinträchtigungen im Gehirn. Und wie man sieht, auch in der Wirbelsäule, also beim inkompletten Querschnitt, ist ja die Läsion nicht im Gehirn, sondern tiefer. Und da dürfte der Mechanismus so funktionieren, dass das Gehirn umorganisiert wird durch die Neuroplastizität, dass das Gehirn einfach die Bahnen, die noch vorhanden sind im Rückenmark, dann besser einsetzt, damit der Patient besser gehen kann.
[00:41:47] Nele Handwerker: Echt spannend.
Verabschiedung
Wo finden interessierte HörerInnen weiterführende Informationen zur Neurorehabilitation mit recoveriX?
[00:42:00] Christoph Guger: Auf recoveriX.com findet man die Ergebnisse der klinischen Studien für Schlaganfall und Multiple Sklerose. Da kann man nachlesen, das ist natürlich auch in wissenschaftlichen Publikationen ganz genau erklärt, was sich verbessert, wie viel sich verbessert und wie es funktioniert, das kann jeder nachlesen. Wir haben auch eine Publikation in Frontiers for Kids. Das ist im Prinzip eine wissenschaftliche Publikation, die für Kinder geschrieben wird, die kann man sogar Kindern geben, wird auch von Kindern reviewed. Das ist recht interessant. Und dieser Artikel liest sich zum Beispiel viel einfacher als eine wissenschaftliche Arbeit. Und da versteht man richtig schnell, wie recoveriX eigentlich funktioniert und was es tut.
Und wir haben auch ganz viele Videos online. Das sind erstens mal Patienteninterviews, wo Patienten einfach berichten, was sich verbessert hat. Das ist ganz interessant da reinzuhören, weil man nachher kann ein bisschen abwägen, ob man vielleicht eine ähnliche Beeinträchtigung hat und ob das für einen selber was bringt. Dann haben wir ganz viele Vor- und Nachuntersuchungsvideos online, wo man einfach in einem Video vergleichen kann, wie hat sich der Patient vorher bewegt und wie hat er sich nachher bewegt und da sieht man einfach ganz eindeutig, was besser geworden ist.
Das ist auch immer das Entscheidende für den Patienten und für die Familie und für die Ärzte, dass sie so ein Video sehen, weil diese ganzen Tests, 9-Hole-Peg und wie sie alle heißen, also selbst wenn das doppelt so schnell ist, kann man sich nicht so richtig gut vorstellen, was das im Alltag heißt. Mit den Videos sieht man es einfach ganz eindeutig, was sie da tun.
[00:43:38] Nele Handwerker: Wunderbar. Vielen Dank an Sie für die Entwicklung und an ihr Team, mit dem sie natürlich daran arbeiten, klingt nach einer wirklich tollen Sache. Vielen Dank, dass Sie mein Gast waren und weiterhin ganz viel Erfolg, auf dass es möglichst vielen Patientinnen und Patienten zugutekommt. Es taugt vermutlich für alle möglichen Erkrankungen, wo Neuroplastizität gebraucht und wieder verbessert werden muss. Da hört es bei MS oder Schlaganfall lange nicht auf. Super spannend. Vielen Dank, viele Grüße nach Österreich. Tschüss.
[00:44:17] Christoph Guger: Danke für die Einladung. Ciao.
Schau gern auch auf dem YouTube Kanal g.tec medical engineering vorbei und sieh Dir die Playlist zu recoveriX an, dann bekommst Du ein gute Vorstellung davon, was möglich ist mit dem Training und das ist eine Verbesserung ausgehend vom eigenen Ist-Stand.
Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele
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