Im Interview begrüße ich Gabi Jacobs, die über viele Jahrzehnte Pflegeerfahrung verfügt und als Pflegeinstruktorin Bobath BIKA anderen Pflegerinnen und Pflegern das Konzept näher bringt. Vielleicht kennst Du Bobath aus dem Bereich der Physiotherapie, heute geht es darum, wie es die Pflege von schwer betroffenen MS-PatientInnen verbessern kann. Denn durch die spezielle Art des Umgangs miteinander soll die Neuroplastizität stimuliert werden, was manchmal dabei helfen kann, einst verlorene Fähigkeiten der eigenen Körperpflege wiederzuerlangen.
Ich durfte einem Kurs von Gabi beiwohnen, der während meiner Konsultation im Rahmen im Neurologisches Rehabilitationszentrum Quellenhof in Bad Wildbad abgehalten wurde und war begeistert vom Konzept. Ich wünsche Dir, dass Du nie auf so intensive Pflege angewiesen bist, aber da sie auch bei anderen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielt, kann das Wissen von Gabi für Dich womöglich auch in anderem Zusammenhang eine Rolle spielen.
Und an der Stelle ein großes Dankeschön an alle engagierten Pflegekräfte, die täglich einen tollen Job machen und anderen Menschen unterstützend zur Seite stehen,
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Inhaltsverzeichnis
[00:00:00] Nele Handwerker: Hallo, liebe Gabi, ich freue mich sehr, dass du heute mein Gast bist und uns ein bisschen was zur Bobath-Pflege erzählst. Aber erst mal ein ganz liebes Hallo an dich.
[00:00:10] Gabi Jacobs : Hallo, Nele. Schön, dass ich eingeladen worden bin. Ich finde das ganz spannend, auch zum Thema MS was berichten oder beitragen zu dürfen.
[00:00:20] Nele Handwerker: Genau. Und bevor wir richtig loslegen mit dem Interview, wäre es natürlich lieb, wenn du dich den Hörerinnen und Hörern einmal kurz selber vorstellst.
Vorstellung – Wer ist Gabi Jacobs?
[00:00:28] Gabi Jacobs : Mein Name ist Gabi Jacobs. Ich bin von Beruf Krankenschwester. Ja, Krankenschwester, ich habe 1980 diplomiert, das heißt, da war das noch der Beruf Krankenschwester. Deswegen bezeichne ich mich auch immer noch so. Ich habe meinen Traumberuf ergriffen. Mit 13 bin ich schon ins Krankenhaus sonntags, um ein bisschen zu helfen. Dann habe ich ein soziales Jahr gemacht, im Krankenhaus, um noch mal zu verifizieren, ob das auch wirklich mein Beruf ist. Ich bin jetzt sozusagen seit 1976 in der Pflege tätig, habe eben 80 mein Diplom gemacht und arbeite immer noch gerne in meinem Beruf.
Ich habe früher gearbeitet, also ich habe gelernt in München, habe dort elf Jahre gearbeitet in München, einschließlich meiner Ausbildung und bin dann ins Klinikum Karlsbad Lang in Steinbach gekommen. Das ist am Rande des Nordschwarzwaldes, zwischen Karlsruhe und Pforzheim. Das hieß damals noch Reha-Klinik, hat sich aber dann in den 2000er-Jahren, da gab es große Gesundheitsreformen, verändert zu einem Akutkrankenhaus. Wir hatten damals schwerpunktmäßig Querschnitt bei uns im Haus. Das, denke ich, ist für MS-Patienten auch irgendwie interessant. Hatten, wo ich arbeitete, die geriatrische Rehabilitation, das würde man heute anders bezeichnen, heute wäre die Art, wie wir damals das Kranken-, das Patienten-Klientel, wie man sagt, das wir hatten, würde man heute als Phase C-Rehabilitation bezeichnen. Die geriatrischen Patienten waren damals deutlich jünger, als sie heute sind, im Krankenhaus.
Dann war ich dort zwölf Jahre als Stationsleitung und bin da zuerst zusammengekommen mit dem Bobath-Konzept. Also ich durfte dann einen damals fünftägigen Pflegekurs Bobath besuchen und das hat mich so begeistert, dass ich mit meinen Händen das Gehirn des Patienten verändern kann. Also durch die Art des Anfassens beeinflussen kann, die Qualität des Bewegens, aber auch das möglich machen für wieder lernen, für wieder auf die Füße kommen. So dass es mir ein Bedürfnis, die Ausbildung zum Pflege Instruktor zu machen. Das gab es damals in Deutschland noch gar nicht.
Ich bin dann in die Schweiz, also nicht dinglich, sondern ich habe mich an Pat Davis gewandt, damals Königin des Bobath-Konzepts, würde ich mal sagen, also das war so ein Pilgerort zu Pat Davis, damals zu gehen nach Bad Ragaz. Hab dort von ihr Möglichkeiten bekommen für die Ausbildung. Aber Pat Davis ging dann ja bald drauf nach Italien, verschwand irgendwie von der Bildfläche. Sodass ich wieder im Regen stand. Und ein paar interessierte Pflegekräfte und ich haben uns in Deutschland zusammengetan und haben die BIKA, die Bobath-Initiative für Kranken- und Altenpflege gegründet. Und in Zusammenarbeit mit dem VeBID-Verein der lehrenden Instruktoren für Bobath für Therapie, haben uns zusammengetan und ein Curriculum erstellt. 1994 ist der Verein BIKA gegründet worden und 1997 bin ich dann qualifiziert worden als Pflege Instruktorin Bobath BIKA.
Also ich habe die Station, die geriatrische Station insgesamt noch als Instruktorin auch, also Stationsleitung und Instruktorin geleitet, habe dann aber aufgrund privater Gründe meine Arbeit reduziert, also Kind bekommen, habe meine Arbeit reduziert und bin dann als Springer im Haus tätig gewesen. Also so ein bisschen aus dem Grund, wenn man so Alphatier ist, ist es nicht gut, auf der gleichen Station zu bleiben, sondern sich da ein bisschen zu verändern. Bin dann, ja, eine Erfahrung reicher geworden, im Bereich Orthopädie, innere Medizin, Nephrologie, Neurologie sowieso. Ich habe dann so zehn Jahre als Springer bei uns im Haus gearbeitet. Immer da, wo es gebrannt hat, bin ich eingesprungen und konnte aber mein Wissen bezogen auf Bobath genauso gut in der Orthopädie anwenden, weil die Art des Bewegens geht ja nicht darum, dass jemand eine Nervenschädigung hat, sondern ich würde sagen, jeder Mensch, der eine Veränderung an seinem Körper hat, macht auch eine Veränderung in seinem Verhalten und eine Verhaltensveränderung macht eine Nervenveränderung, also im Sinne der Plastizität.
Das heißt, wenn jemand Schmerzen hat, muss ich auch entsprechend anfassen, also nehmen wir jetzt die Orthopädie, wenn jemand operiert ist, egal ob an Wirbelsäule oder Hüfte, Knie, Schulter, muss ich anders bewegen aufgrund der Schmerzsituation oder der Verletzung. Und anpassen an das, was der Orthopäde letztendlich sagt, weil das muss das Maßgebliche in dieser Situation sein. Und dieses Wissen aus Bobath oder Fähigkeiten, die ich schon erworben habe zu dem Zeitpunkt, konnte ich in jeder Abteilung einbringen für die Qualität der Bewegung von den mir anvertrauten Patienten. Seit ungefähr zwölf Jahren bin ich jetzt nicht mehr Springer, sondern bin Praxisbegleiter-Bobath in der Abteilung der neurologischen Frührehabilitation Phase B.
Das heißt, wir haben schwerstkranke Patienten, die in der Regel von der Intensivstation nach einer Schädigung des zentralen Nervensystems zu uns auf die Abteilung kommen. Ich arbeite im Klinikum 55 Prozent und sonst bin ich noch freiberuflich tätig. Und in dieser freiberuflichen Tätigkeit gebe ich anerkannte Bobath-Pflegekurse. Und in dem Zusammenhang hast du mich kennengelernt, weil ich am Quellenhof, einer Fachklinik für MS und Post Polio-Kranke, einen Kurs gegeben habe. Und du warst da eine Stunde mit im Unterricht und wir haben gemeinsam Mittag gegessen.
[00:07:00] Nele Handwerker: Genau, das war auch ganz spannend, denn ich habe schon ganz oft, mehr im Rahmen der Physiotherapie, den Begriff Bobath gehört. Ich habe mir aber nie die Zeit genommen, zu recherchieren, was das bedeutet, und fand das ganz spannend, als du grafisch gezeigt hast, dass es dabei auch um Neuroplastizität. Und dann dachte ich, die Gabi, die muss ich jetzt gleich mal ansprechen.
Die muss mal vorbeikommen. Es ist natürlich nicht schön, wenn die MS so voranschreitet, dass man im Pflegerischen damit in Kontakt kommt, nichtsdestotrotz kann das passieren. Und dann ist das ja super, wenn man davon profitiert und eine Hilfestellung bekommt, durch die vielleicht wieder Möglichkeiten der Bewegung zurückgewonnen werden können. Vermutlich geht es ganz vielen Hörerinnen und Hörern genauso wie mir. Daher die Bitte, kannst du uns zunächst erklären, was genau das Bobath-Prinzip ist? Das Schlagwort Neuroplastizität fiel jetzt schon. Und was es eben im Bereich der Pflegerehabilitation von Menschen mit neurologischen Störungen bedeutet?
Allgemeine Fragen zur Pflege nach Bobath
Könntest Du kurz erläutern, was das Bobath-Prinzip in der Pflege und Rehabilitation von Menschen mit neurologischen Störungen bedeutet?
[00:08:08] Gabi Jacobs: Das Bobath-Konzept ist ein sehr altes Konzept und viele denken noch an starre Muster, wenn Sie das hören, das ist es aber nicht. Das wurde manchmal standardisiert zu Techniken, Übungen, das ist es nicht. Das möchte ich hier auch nochmal ganz deutlich betonen. Dass die Wurzeln des Bobath-Konzepts und auch heute noch oder wieder, nachdem man sich ein bisschen wieder entfernt hat, von diesen Standards, mehr dazu hingeht, das als Konzept zu sehen. Und wenn man die Neuroplastizität jetzt als Stichwort nimmt, dann würde ich das unter die Ebene der Konzeptebene nehmen. Das heißt ein Wissen, was man nachlesen kann. Da gibt es viel Wissen, was man nachlesen kann. Gerade zum motorischen Lernen gibt es ganz, ganz viel auch evidenzbasiertes Wissen.
Aber es gibt auch viel Erfahrungswissen. Also Erfahrungswissen steckt einerseits in uns, die wir helfen, egal ob Therapeut, Pflege, Arzt. Also wenn wir jemanden anfassen und etwas spüren, dann spüren wir, also wenn ich jetzt vielleicht Muskulatur anfasse, spüre ich, ist die Muskulatur weich oder erschrickt dieser Mensch, gerade mit Spastizität, solche Sachen. Also das spüren wir und können unser Anfassen oder die Qualität des Anfassens dann darauf auch anpassen, aus der Erfahrung heraus. Das andere ist natürlich auch das Menschenbild, was auch auf dieser Konzeptebene steht, dass ohne Ansehen der Person, also Herkunft, Ethnik, Sozialstatus, alle Menschen gleichbehandelt werden. Und das ist, glaube ich, was jedem Pflegenden eigentlich sowieso mit Grund ist, in die Ausbildung zu gehen. Wir wollen helfen. Also so platt das jetzt klingt, aber das ist glaube ich schon der Ursprung. Keiner geht in den Pflegeberuf, um Geld zu verdienen. Das wird nicht sein.
Interessant für den Pflegebereich finde ich die Ebene der Prinzipien. Also jetzt waren wir kurz auf Konzeptebene, gehen wir auf Prinzipienebene. Das Bobath-Konzept ist alltags- und handlungsorientiert. Das finde ich etwas ganz Fantastisches, denn die Handlung macht manche Bewegung wieder frei. Also wenn ich einem Patienten mit der Zahnbürste in den Mund reingehe, dann kommt oft die Idee wieder, wird wach, den Mund passend zur Zahnbürste zu bewegen. Da macht man Lippenbewegungen, man macht mit dem Daumen, also ich sag mal so, wenn die Zahnbürste im Mund schrubbt, dann will der Mund sich dazu verhalten. Oder auch das Ausspucken, wenn man Mundwasser drin hat, macht manchmal Bewegungen möglich oder Erinnerungen, Assoziationen, über die der betroffene Mensch wieder an die ran Bewegung ankommt.
Ich würde mal sagen, das ist so wie ein Speicher, ein Speichermedium. Wir haben verschiedene Speichermedien im Hirn. Also früher hat man Ersatzdisketten gehabt. Das gibt es ja heute nicht mehr. Heute hat man es auf dem Stick oder auf einer externen Festplatte. Ist ja egal. Aber ich glaube, der Zuhörer weiß, was ich meine. Man hat an verschiedenen Stellen im Hirn Datensicherungen. Datensicherungen sind nie auf dem neuesten Stand. Aber wenn man sie braucht, ist man froh, dass man sie hat, also das ist Alltags- und Handlungsorientiertheit. Und im Pflegealltag bin ich da voll drin, was brauchen die Menschen von mir? Ich komme morgens ins Zimmer rein, was brauchen sie? Sie müssen ausscheiden, sie möchten aufstehen, sie möchten sich frisch machen, also Körperpflege, Zähne putzen, frühstücken, kleiden. Also all diese Sachen, die sind handlungs- oder alltagsorientiert.
Und es geht letztendlich immer um die Problemlösung. Und die Problemlösungen müssen angepasst sein an das Individuum. Und Individuum heißt natürlich auch die Prägung, aber auch das Krankheitsbild. Also ein Schlaganfallpatient braucht sicherlich in der Problemlösung ein bisschen andere Herangehensweise als ein Locked-in-Patient oder ein… mit SM-betroffener Patient, ein Querschnittspatient. Also es gibt ja ganz große Facetten an Krankheitsbildern, die wir in der neurologischen Früh-Reha hatten/haben. Oder auch, wenn ich denke, vor zwei Jahren, diese vielen Patienten, die auf dem Früh-Reha standen, post-Covid, die nach Langzeitbeatmung und multiverschiedenen Nervenstörungen bei uns aufschlugen, neben den Organschädigungen, die sie davontrugen. Also das ist problemlösend.
Nächstes Prinzip ist, dass das Bobath-Konzept dialogisch ist. Das heißt aber nicht unbedingt quatschen. Dialogisch ist anfassen, abwarten, mitbewegen. Jetzt so mit schwerkranken Patienten spreche ich manchmal nur phonetisch. Also ich nutze oft gar nicht Wörter, wenn Patienten bewusstlos sind, sondern eher phonetisch, wie “oh”, “ja”. Also Dinge, die weltweit verstanden werden, möchte ich mal sagen, die auf einer basalen Ebene vom Hirn interpretiert werden können. Und auch die Stimme passe ich entsprechend darauf an. Also einen spastischen Patienten laut anzusprechen, ist nicht gerade so förderlich. Aber jemanden, der antriebslos, in einer so Trägheit, also durch mangelnden Antrieb im Bett ist, der braucht schon ein bisschen Power. Da kann man schon mal sagen, auf geht’s weiter. Also um hier auch mehr Spannung über die Stimme in die Muskulatur zu rekrutieren oder möglich zu machen, zu rekrutieren.
Zielorientiert, ressourcenorientiert sind auch wesentliche Prinzipien. Also ich denke es ist immer wichtig den Patienten zu fragen, was willst du wieder können. Jetzt im MS-Bereich erlebe ich immer ganz viel, die Patienten wollen wesentlich ihre Unabhängigkeit haben. Wesentlicher Bestandteil ist, wie komme ich raus aus dem Bett? Wie komme ich in den Rollstuhl? Also ich denke, du hörst schon, ich denke immer an die schwer betroffenen Patienten, weil die unabhängigen Patienten, die haben mit mir als Pflegenden nichts zu tun. Also ebenfalls nicht mit mir. Ich kümmere mich nur um mehr betroffene Patienten. Das heißt, was wollen die Patienten? Sie wollen auf die Toilette. Was für viele wichtig ist, ist das Stehen. Für einen MS-Patienten ist auf die Füße kommen etwas so Essenzielles. Das scheint etwas Urmenschliches zu sein, stehen zu dürfen.
Ressourcenorientiert heißt für mich immer… Ja, ich sag’s mal jetzt ganz platt. Also, wenn jemand was kann, dann sollte ich das nutzen, das, was er kann, egal ob MS oder Schlaganfall, weil immer, wenn der Mensch in einer sinnvollen Aktion tut, also handelt, werden Neurotransmitter ausgeschüttet und dann schwimmt das ZNS schon mal in diesen Neurotransmittern und die aktivieren die Nervenzellen und das brauchen wir, wir brauchen aktive Nervenzellen, die dann helfen können für bessere Verknüpfung. Und darum geht es auch beim MS-Patienten wieder. Die haben ja in der Regel ein Ereignis, nennen wir das einen Infekt, das ist das, was ich oft erlebe oder höre, wenn ich am Quellenhof bin und sie frage, warum bist du hier, ja, ich habe wieder irgendeinen Blaseninfekt gehabt oder da war ein Ereignis und dann hat es einen Schub gegeben.
Letztendlich sollte ja immer die Vision sein, so wie es vorher war, sollten wir den Patienten wieder hinkriegen. Also die Vision sollte jeder von uns, der mit diesen Menschen umgeht, mit diesen Menschen beauftragt ist, mit ihm zu arbeiten, diese Vision sollte man haben. Sonst macht man frühzeitig Türen zu und geschlossene Türen sind irgendwie ziemlich schwer wieder zu öffnen, weil dann kommt es zum Verlernen im Sinne Non-Use oder Blödsinn lernen, im Sinne von zu viel Kompensation oder von, nennen wir es Kontrakturen, Versteifungen durch Nichtbewegen.
Ein Markenzeichen des Bobath-Konzepts ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit und in dem Zusammenhang hast du mich ja auch erlebt, im Quellenhof, in dieser MS-Fachklinik, dass hier auch der leitende Physio mit anteilig im Kurs drin war, um auch die Verbindung Pflege/Therapie zu haben. Und wenn ich jetzt bei mir, in meinem Krankenhaus schaue, unter interdisziplinäre Zusammenarbeit, dann kommt morgens der Therapeut. Also ich hab eine Tafel, da steht jede Schwester, wer zu welchem Patienten zugeordnet ist. Und die Therapeuten gehen, bevor sie zur Therapie mit dem Patienten gehen, zur zuständigen Pflegefachkraft und fragen, gibt es was. Weil es fast immer irgendwas gibt. Sei es schlecht geschlafen, hat heute Rückenschmerzen, ist mit Durchfall gequält, also wesentliche Dinge, die auch selbst für die Neuropsychologen wichtig sind. Weil auch das ja die Leistungsfähigkeit für die Beurteilung beeinflusst.
Die Methoden des Bobath-Konzepts, jetzt sind wir im nächsten Kreis oder Feld, wenn wir das Bobath-Konzept als solches mal erklären, als Strukturmodell erklären, dann sind die Methoden, mach es leicht, mach es möglich, fordere es heraus. Und das finde ich schön, das ist wie am Sportplatz. Das gefällt mir. Und das nächste ist, steigere die Leistungsgrenze. Wir wissen alle, dass an der Leistungsgrenze ein Lern Boost stattfindet. Und vor allem, wenn das Erreichte mehr ist als das Erwartete, das macht den Hammer an Lernen. Natürlich habe ich auch, das habe ich ganz übel lernen müssen, dass MS-Patienten natürlich da ein bisschen anders sind. Also meine Schlaganfallpatienten oder Schädel-Hirn-Trauma, die kann ich fordern bis zum Abwinken, die legen sich eine halbe Stunde ins Bett und dann geht’s weiter, also dann sind die wieder erholt.
Und das ist aber beim MS-Patienten leider nicht so. Und ich kann mich erinnern, ich war mal zum Supervision im Quellenhof, ehrgeizig war ich. Wir haben morgens den Patienten gewaschen, haben den aktiviert, echt super, dann hat er noch Therapie gehabt. Und die nächste Therapie konnte er nicht mehr machen, da war die Erschöpfung, also der Akku so leer, dass er bis zum nächsten Tag gebraucht hat, sich wieder zu erholen, dann war der schon wieder leistungsfähig. Aber die Erholungszeit ist einfach länger und das ist das, was ich damals ja, lernen musste. Das tat mir dann im Nachhinein leid, dass ich diesem Patienten eine Therapie vermasselt habe. Aber gut, so war es. Wesentlich, und da sehe ich mich als Pflegekraft ganz gut getroffen, in der Methodenebene vom Bobath-Konzept, ist die Repetition.
Ich habe so viele Repetitionen im Alltag wie die Toilettengänge, wenn wir das überlegen, wie viele Transfers sind für Toilettengänge, gerade bei MS-Patienten. Das ist schon immer wieder ein Thema, weil auch die Blase frühzeitig fast allen MS-Patienten Querelen macht, sage ich mal so. Ja und die Techniken des Bobath-Konzepts, das sind letztendlich die Werkzeuge, sage ich mal. Das sind Techniken, wie fasse ich an, sowas wie die Fazilitation, einladen, abwarten, mitbewegen. Die Aufgabenstellung, die Umweltgestaltung, also wie kann ich es ermöglichen, durch Gestaltung der Umwelt, dass sich ein Patient traut, sich zu bewegen. Also das können Stühle sein, die seitlich beim Transfer für Sicherheit sind, das kann ein G-Box sein, das kann oder ein Rollator sein, das können Griffe sein, also dass man da einfach schaut, wie gestaltet man das. So, das wäre jetzt das Bobath-Konzept erklärt.
[00:21:25] Nele Handwerker: Wunderbar, danke, genau. Und ich habe mich brav zurückgehalten. Spannend. Jetzt hast du am Anfang in deiner Vorstellung gesagt, dass du nicht sofort mit Bobath begonnen hast. Und damit kannst du ja auch einen gewissen Vergleich geben.
Warum ist eine spezialisierte Pflege, wie sie nach dem Bobath-Prinzip angeboten wird, für Patienten mit neurologischen Problemen wichtig und welche Vorteile bietet sie im Vergleich zu herkömmlichen Pflegemethoden?
[00:21:58] Gabi Jacobs: Ich will anders anfangen, Nele.
[00:21:57] Nele Handwerker: Gerne, mach das.
[00:21:58] Gabi Jacobs: Ich möchte von der Schwesternseite anfangen, denn wir haben einen Pflegemangel, oder? Ja, das ist der Hammer in Deutschland. Ich sehe das mal so, wenn ich nach herkömmlicher Pflegemethode arbeite, ich arbeite vielleicht auf einer inneren Medizin, habe 24 Patienten, davon müssen auch gewaschen werden, auf meiner Seite sage ich mal, also Station ist ja auf zwei Schwestern dann aufgeteilt oder Pflegefachpersonen, wie man heute sagt, dann kommt man psychisch in eine Waschstraße rein. Weißt du, was ich meine? Das Fließband fährt vorbei und du wäschst einen Patienten nach dem anderen. Fließbandarbeit. Das hast du, wenn du nach Bobath arbeitest, nicht. Weil da geht es um die Begegnung mit dem Patienten, da ist die Herangehensweise was anderes. Das ist für mich, ich habe heute auch, ich habe in dem Frühphasenbereich, wo ich arbeite, täglich vier Patienten bei der Körperpflege zu versorgen.
Da brauche ich meistens bis von halb sieben bis halb elf, elf ungefähr, bis ich da mal durch bin, bis alle soweit versorgt sind. Aber diese Körperpflege ist für mich wie eine Taxifahrt. Das hört sich jetzt witzig an. Ich nutze das Medium der Körperpflege für die Interaktion mit dem Menschen, mit seinem Körper, mit allem. Also es ist eine Art der Begegnung. Ich kriege ja mit jedem Anfassen Antworten von diesem Menschen. Also wenn ich jemanden anfasse, muss ich natürlich wachen Sinnes sein, um zu spüren, was macht meine Hand. Wie reagiert der Patient auf meine Hand? Das heißt, die Reaktion ist ja die Antwort des Patienten. Und dementsprechend kann ich anpassen und verändern. Und das ist für mich heute das, wie ich das Bobath-Konzept so leben kann. Das ist eine Interaktion. Und damit ist es nicht mehr langweilig, sondern spannend. Und immer neue Arten von Bewegung und Entwicklung. Und damit ist man nicht mehr in der Monotonie.
[00:24:06] Nele Handwerker: Und das natürlich für jeden spannender, in der Regel. Also ich würde es auf jeden Fall genauso sehen. Dann macht der Job deutlich mehr Spaß, als wenn es ein zack, zack, zack, zack, zack ist.
[00:24:18] Gabi Jacobs: Genau. Und dann ist es nicht Popo putzen, sondern auch ein intimer Akt, der einem erlaubt wird, vorzunehmen. Denn manchmal wird es ja so abgestempelt, du bist der Popo-Putzer vom Dienst. Und das sollte es auch emotional nicht sein. Und für mich so in der Zeit des… Also ich bin auch gehetzt, im Pflegealltag, wie wir alle gehetzt sind. Aber ich picke mir eine Sache raus, die mache ich gescheit. Und jetzt sage ich mal ganz salopp vielleicht, jetzt habe ich… Ja, vorgestern habe ich Dienst gehabt, gestern hatte ich frei. Dann ist es bei einem Patienten mehr die Hände und das Gesicht. Da hatte ich noch einen Schwerkranken in meinem Bereich mit Kanülen versorgt, der auch nur kurz Blickkontakt aufnehmen konnte. Das war jetzt kein MS-Patient, sondern ein schwer hirngeschädigter Patient.
Und dann lege ich Wert auf Hände, weil die reich sind an Rezeptoren, ich wasche die intensiv. Und auf Gesicht, denn auch das Gesicht hat so viele Rezeptoren und gerade der Mund, wo wir ja im Prinzip schon über das Eindringen in den Mund, sind wir ja schon im Hirn, weil das ja direkte Hirnnerven sind. Die gehen ja nicht über eine Pyramidenbahn oder eine Kreuzung übers Rückenmark, sondern Mund ist direkte Leitung ins Hirn. Das heißt, auch da kann man Veränderungen schaffen. Und das war ganz toll, dieser Patient hat dann über die Atmung so reagiert. Er wurde ruhiger, dann hat er wieder schneller geatmet, aber er war so aufmerksam dabei, das war ganz interessant. Und dann denke ich, ist okay, dann mache ich das ordentlich und den Rest, ich sage es jetzt mal salopp und auf bayerisch, den Rest schruppe ich ab. Also es ist jetzt ein bisschen platt formuliert, aber es muss ja zügig gehen. Ich habe ein Zeitfenster gesetzt, das macht das Sozialsystem Deutschland und in dem Zeitfenster muss ich meine Arbeit schaffen.
[00:26:24] Nele Handwerker: Aber du hast schon diese Flexibilität, zumindest ein bisschen, zu sagen, okay, ich lege jetzt eben mehr Fokus auf Hände/Gesicht.
[00:26:30] Gabi Jacobs: Ja, ich bin Fachperson, jede qualifizierte Fachperson darf das. Das ist ihrem Hirn überlassen, ihrem Verantwortungsbewusstsein, ihrem Können. Und dazu braucht es Schulung und Wissen. Darum bin ich auch froh, meine Stelle, die ich habe, ich bin bei uns im Krankenhaus dazu da, ausgebildetes Personal zwei Tage in Folge immer zu begleiten. Das heißt, wir haben den Bereich, den diese Pflegende hat, den überlegt sie sich vorher, denn sie müssen immer vorher überlegen, was wollen sie von mir lernen. Es gibt Unterschiede in der Entwicklung der einzelnen Pflegekräfte. Und die zwei Tage in Folge sind wir dann im gleichen Bereich, versorgen die Patienten und je nach dem Schwerpunkt, den diese Pflegekraft hat. Und dadurch werden die besser und kriegen wieder mehr Spaß, mehr Motivation auch.
Wenn du siehst, dass du mit dem, was du tust, etwas erreichst, dann ist das letztendlich unsere Bezahlung. Es ist nicht das Gehalt, also über das Gehalt brauchen wir nicht reden, in unserem Beruf. Aber der Dank der Patienten oder sie gefördert zu haben, also das spüren, dass man jemanden weitergebracht hat, das ist das Gold, was wir bekommen.
[00:27:30] Nele Handwerker: Ja, glaube ich gerne.
[00:27:31] Gabi Jacobs: Jetzt weiß ich nicht, ob ich deine Frage… Vorteile für den Patienten, Hast du gesagt, gell? Das war die Frage, jetzt bin ich abgeglitten.
[00:27:40] Nele Handwerker: Alles gut.
[00:27:41] Gabi Jacobs: Was bringt es für den Patienten, ja, Berta Bobath sagt, nur da wo der Patient aktiv ist, kann er seine Ressourcen in anderen Bewegungs-Sets oder Handlungen wieder sinnvoll einbauen. Das heißt, alles, was wir tun, sollte dazu dienen, den Patienten zur Aktivität zu führen. Aktivität meint jetzt aber nicht Spastizität, bitte. Sondern sinnvolle Aktivität, dass er das experimentell ausprobieren darf, mittun. Für ganz schwer Kranke, kann er natürlich auch nur durch Aufmerksamkeit oder in Gedanken, das darf auch sein. Also das ist auf der basalen Ebene. Aber ansonsten, wenn jemand ein Bein, wenn ich ein Bein anfasse und er kann mir helfen beim Aufstellen, dass er vielleicht 20% der Kraft übernimmt und ich die 80% dazu übernehme, dann wird A) die Leitung besser werden, Hirn an Bein und B) wird die Kraft größer werden. Und Kraft brauchen alle Patienten, Kraft, Ausdauer sind wesentliche Dinge, die alle brauchen.
[00:29:15] Nele Handwerker: Gut. Ja, genau, wenn es geht, länger konzentrieren. Das ist ja auch, auch wenn du da bei dem Patienten eine stärkere Fatigue ausgelöst hast, nichtsdestotrotz sagt ja auch die Fatigue-Forschung, dass wenn man das sozusagen oft machen würde, man trotzdem Chancen hat, die Fatigue langfristig zu reduzieren. Also auch bei MS gilt das ja. Auch wenn du in dem Moment dem die eine Anwendung da…
[00:29:38] Gabi Jacobs: Aber daraus lernt man ja auch.
[00:29:41] Nele Handwerker: Genau, da lernt man ja. Wir lernen ja alle.
[00:29:44] Gabi Jacobs: Ja, und Fehler gehören zum Lernen dazu, sie gehören auch für einen MS-Patienten dazu. Die wissen alle, das löst Spastik aus. Ich erlebe immer wieder Patienten, die sich mit viel Kraft irgendwo hinziehen, sie wissen, dass sie Spastik auslösen. Das höre ich auch immer wieder auf dem Quellenhof, aber sie haben keine andere Strategie, also müssen sie das so machen.
Das heißt, unser Job sollte doch sein, andere Strategien, wo weniger Spastizität oder keine Spastizität einschießt oder das Maß, was benötigt wird. Vielleicht brauchen manche die Spastizität, um aufstehen zu können. Dass man schaut, auf welcher Schiene fährt man, also man wird immer zweigleisig fahren müssen, aber wieviel Kompensation brauche ich wirklich und wo kann ich es anders lernen, dass es qualitativ besser geht und besser meint, leichter, effizienter und damit spart man Kraft und damit weniger Fatigue von mir aus oder geringere Erschöpfung.
[00:30:49] Nele Handwerker: Ja, oder hat sozusagen noch was übrig für andere Sachen, auf die man Lust hat. Genau. Jetzt hast du es schon ein bisschen angesprochen, du hast hervorragend die Überleitung gemacht.
Bei welchen vorliegenden Problemen profitieren Betroffene von diesem spezialisierten Pflegekonzept? Ab welchem Level von Einschränkungen?
[00:31:29] Gabi Jacobs: Ich muss jetzt passen, mit EDSS kenne ich mich jetzt nicht so aus, dass ich das jetzt in Grad einzahlen…
[00:31:34] Nele Handwerker: Nein, das würde auch keiner unbedingt von den Hörern verstehen, das sind ja MS-Patienten und nicht Ärzte, das heißt die HörerInnen denken mehr in Einschränkungen als in der dazugehörigen EDSS-Punktzahl.
[00:31:38] Gabi Jacobs: Die Patienten, die Hilfe brauchen bei der Körperpflege oder auf dem Weg aus dem Bett oder Hilfe brauchen auf die Toilette, also für Hose rauf und runter ziehen. Das sind die Menschen, die pflegerische Unterstützung brauchen. Das kann die häusliche Pflege sein, also der Partner, aber auch eben die Krankenpflegekraft, die das macht, wenn man in einer Einrichtung ist oder die häusliche Pflege braucht, also im Sinne von Sozialstation dazu. Was erlebe ich bei Patienten? Also ich habe jetzt die Tage eine Patientin, die hat nicht MS, aber sie hat eine spinale Spastik, die ich jetzt die Tage gepflegt habe, die hat Entzündungsherde im Rücken. Also ich erzähle jetzt einfach so, weil es gerade vorgestern war oder vorgestern und am Montag auch habe ich diese Patientin betreut. Die hat Spastik, der zieht die Fersen an den Popo. Da biegt der Rücken durch wie ein Flitzebogen und das macht Schmerzen ohne Ende, die schreit, wenn die Spastik einschießt. Und kommt man morgens ins Zimmer und möchte die Schutzhose, die nass ist, wechseln, dann kriegst du die kaum raus, weil die Beine so aneinanderkleben oder gepresst sind, durch die Spastik, dass allein das ein riesenpflegerisches Thema ist.
Fortgeschrittene MS-Patienten kennen das. Pflegende, die mit MS-Patienten viel zu tun haben, kennen das auch, es ist ein dramatisches Problem. Und da geht es ja wirklich darum, wenn solche Situationen sind, Ideen zu haben, wie kann ich diesem Menschen jetzt helfen, aus dieser massiven Spastizität rauszukommen, um eine Erleichterung zu haben, aber auch um die Reinigung vorzunehmen, um die Schutzhose zu wechseln. Also das ist ja ganz pragmatisch, das hört sich so primitiv an, wenn ich das sage, aber es ist wirklich worst case und diese Situation habe ich am Quellenhof erlebt, die erlebe ich bei uns, die gibt es auch im Querschnittsbereich. Es ist einfach für den einzelnen Betroffenen, wie aber auch für die pflegende Fachperson ein Riesenthema. Man spricht nur nicht darüber. Schon recht intim.
Und da gibt es schon Möglichkeiten zu helfen und das glaube ich ist wesentlich. Wesentlich ist aber auch zu schauen, wie kann ich Körperpflege gestalten, dass der Patient wieder aktiver wird. Also zum Beispiel bei den MS-Patienten, wenn man die Körperpflege gerade für den Unterkörper im Bett, nicht in Rückenlage gestaltet, sondern in Seitenlage, dass die ein bisschen selber wieder an ihr Bein kommen. Die Seitenlage hemmt oft etwas die Spastik, sodass man da leichter die Beine wieder lösen kann. Dass sie dann lernen, selber sich zu bewegen, weil man weiß, dass das Bewegen, ein sinnvolles Bewegen, ein Aktivieren, die Agonisten wie die Antagonisten aktiviert und das für die Spastik sehr günstig ist.
Die Seitenlage auch etwas ist, was mit Rotation einhergeht und auch Rotation sich günstig auf Spastizität auswirkt. Und das gilt es ja letztendlich für Patienten erfahrbar zu machen, damit sie da ein Stück sukzessive wieder mehr übernehmen können und selbst Wege aus diesen Sackgassen, also Spastizität bezeichne ich mal als Sackgasse, aus ihren Sackgassen rauszufinden. Also die Eigenbefähigung, das ist doch das Wesentliche. Das ist auch das, was die Patienten möchten, Wege finden, wie sie es selbst machen können. und dann ist man unabhängiger.
[00:36:02] Nele Handwerker: Ja, absolut, genau. Und kannst du, also jetzt hast du schon gesagt, spezifisch. Genau, meine nächste Frage geht jetzt nämlich um Spastiken und chronische Schmerzen. Jetzt hast du schon gesagt, die Seitenlage ist da ganz gut.
Die Rolle der Pflege nach Bobath bei der MS-Behandlung
Wie kann die Pflege nach dem Bobath-Prinzip dazu beitragen, Symptome wie Spastiken und chronische Schmerzen zu lindern?
[00:36:29] Gabi Jacobs: Ja, letztendlich, wenn die Pflegende das macht, meinst du jetzt. Weil sonst, wenn es der Patient selbst machen muss, ich glaube, dann ist schon der Physiotherapeut gefordert, spezifisch die Anleitung zu geben. Das würde ich mir nicht anmaßen. Aber wenn ich jetzt morgens so eine Situation habe, wo Spastizität das Thema ist, versuche ich durch… Ja, gerade wenn es die Beine sind, erstmal versuche ich, mein Bein ins Bett zu stellen und die Beine des Patienten über mein Bein zu legen. Dann hängt der Patient auf meinem Bein, sag ich mal. Und die Schwerkraft kann wirken, dass der Rücken runtergeht, also dieser hohle Rücken.
Wenn die Beine weit in Beugung sind, verändert sich die Stellung des Beckens. Und dadurch wird der Rücken länger. Das dauert ein bisschen, weil die Spastizität bei MS-Patienten ist ja, das ist einfach brutal, sag ich mal. Das ist grausam, grausame Spastik und das dauert. Und wenn man diese Beine über dem Oberschenkel hängen hat, das ist wie eine Stufenlage. Der hängt dann dran. Das dauert ein bisschen, bis der Popo dann runterkommt. Die Zeit muss man geben. Und man kann dann leichte Drehbewegungen, geht nicht um große Bewegungen, nach rechts und links machen. Aber man hat die Gewichte des Patienten letztendlich auf seinem Bein und nicht in den Händen.
Weil das schaffst du mit den Händen gar nicht. Und dann kann man sukzessive ganz langsam versuchen, diese Beine über Außenrotation nach unten zu bewegen. Also Außenrotation, Abduktion, genau anders als das Muster. Aber das dauert und man muss immer wieder warten, bis diese Spastik, ich nenne das verpufft, das ist anders als zentrale Spastik, die ich von meinen hirngeschädigten Patienten kenne, was nicht heißt, dass der MS-Patient hat auch Hirnschädigung hat, also je nach Art der MS, aber ist nicht zu vergleichen mit dem Schlaganfallpatienten. Das ist eine völlig andere Art von Spastik, die ich da erlebe. Aber was ich erlebe, ist, dass das, wenn man dem die Zeit gibt und sukzessive ein Stück bewegt und da, wo man merkt, oh, jetzt möchte es gleich wieder einschießen, ein Hauch zurück geht, dann verpufft das. Das kann man spüren und man kann den nächsten Zentimeter gewinnen, an Weg, aber das dauert.
[00:39:00] Nele Handwerker: Genau. Ja, also unser Interview hier heute dient ja auch nicht dazu, dass wir jetzt Pflegekräfte ausbilden, aber ich finde das auch für die Person, die vielleicht diese Pflege erfährt, interessant, wenn diejenigen verstehen, warum macht die pflegende Person das mit mir? Das ist immer gut, wenn das Verständnis da ist, wenn vielleicht die Pflege vorher anders lief.
[00:39:03] Gabi Jacobs: Ich glaube, das ist gar nicht das Problem, weil was ich höre von den Patienten, am Quellenhof, dass sie durchaus merken, wer Bobath in der Pflege schon erlebt hat, also einen Kurs besucht hat und wer nicht, das sagen die. Und insofern wissen sie sehr wohl, wie sie angefasst werden und jeder Mensch, der merkt, das tut mir gut, dann ist das überhaupt kein Thema. Wer professionell anfasst, da gibt es nichts mit Intimität oder sonst was, weil Professionalität heißt, dass du weißt, wo du anfasst. Und weil das gut tut, ist das überhaupt kein Thema mehr von Intimität oder sonst was, sondern du bist froh, dass du gerade gerettet wirst.
[00:39:54] Nele Handwerker: Ja, das stimmt.
[00:39:55] Gabi Jacobs: Und das macht dann wieder die Beziehungsebene aus.
[00:39:58] Nele Handwerker: Jetzt betrifft ja MS nicht nur den Patienten selbst, sondern eigentlich auch immer die Angehörigen, sofern es die Angehörigen gibt.
Die Bedeutung von Pflege und Unterstützung für Angehörige
MS betrifft nicht nur den Patienten selbst, sondern auch die Angehörigen. Wie kann die Pflege nach Bobath dazu beitragen, Angehörige zu entlasten? Und gibt es Schulungs- oder Unterstützungsangebote für Angehörige von MS-Patienten, um die Pflege zu Hause zu verbessern?
[00:40:27] Gabi Jacobs: Ich habe mich vorbereitet auf deine Frage. Ich habe mich gestern mit dem VeBID, mit der Vorsitzenden des VeBIDs noch kurz kontaktet. Es gibt hier die Schulung von Angehörigen, das ist deine Frage, richtig?
[00:40:36] Nele Handwerker: Genau, bloß für die Zuhörerinnen und Zuhörer wissen es ja nicht, deshalb stelle ich kurz die Frage noch zu Ende. Wie kann die Pflege nach Bobath dazu beitragen, die Angehörigen zu entlasten und inwieweit gibt es da eventuell Schulungs- und Unterstützungsangebote?
[00:40:53] Gabi Jacobs: Jetzt von der Pflege direkt gibt es keine Unterstützungsmöglichkeit. Also es gibt geschulte Pflegekräfte, Punkt, aber Schulungen für Angehörige, denn das größte Problem ist doch, letztendlich brauchen die Angehörigen Hilfe.
[00:40:46] Nele Handwerker: Genau.
[00:40:47] Gabi Jacobs: Und das sind ja ganz arme Socken, sage ich mal, die Angehörigen. Und 2011 ist die Barmer mit dem IFK, das ist der Verband praktisch der Krankengymnasten, die haben also auf die Beine gestellt, nämlich die Schulung von pflegenden Angehörigen. Da kann ich nachher sagen, wer sowas anbietet. Aber es gibt die Möglichkeit, also von allen inzwischen, das hat sich nämlich geändert, alle Krankenkassen, Pflegekassen. Also du musst in einer gesetzlichen Krankenkasse sein, der Patient oder der Angehörige. Wenn das so ist, hast du das Recht über die Pflegekasse so eine Schulung zu bekommen. Das sind Gruppenschulungen. Das ist für alle Kassen.
Was aber das eigentlich Bessere ist, es gibt nur von der Barmer Kasse, also wenn man in der Barmer, ich mache keine Werbung für die Barmer Krankenkasse, ist nicht mein Thema. Aber es ist so, wenn du in der Barmer Kasse bist, dann kannst du eine 1 zu 1 Schulung haben. Das ist das Beste, denn viele Angehörigen können ja gar nicht hin zu einer Schulung, die können ja gar nicht von zu Hause weg, sind ja eingebunden in diese Pflege und das… du findest ja nicht so schnell jemanden, der dich da zu Hause vertritt. Es gibt eine 1 zu 1 Schulung Physiotherapeut, pflegender Angehörige mit diesen Patienten, zu Hause.
[00:42:20] Nele Handwerker: Das ist super, ja.
[00:42:23] Gabi Jacobs: Ja, weil dann sind die Rahmenbedingungen klar. Also wie steht das Bett, wo ist die Toilette, wie kommt man rein, wie kann man den Transfer gestalten, also all das ist klar und kann dann eins zu eins geschult werden. Und das wären dann drei Schulungen a 120 Minuten, ja, drei Hausbesuche a maximal 120 Minuten und das Besondere ist aber auch, wenn sich dieser Patient verschlechtert. Also es kommt irgendein Ereignis und er verschlechtert sich, kannst du nach einer gewissen Zeit nochmal eine Schulung bekommen und direkt die Kosten bei der Barmer einreichen. Es gibt aber für andere Kassenpatienten die Möglichkeit in Einzelfallentscheidung das über die Kasse zu regeln. Also auch wenn ich jetzt AOK-Patient bin, aber dann braucht es eine Einzelfallentscheidung, dass so eine Schulung möglich ist. Soll ich jetzt noch sagen, bei wem es das gibt?
[00:43:38] Nele Handwerker: Ja, gerne.
[00:43:40] Gabi Jacobs: Das ist Bettina Weis, also ich habe jetzt nicht die Internetadresse, aber Bettina Weis, Praxis Bremen, die schult Therapeuten dafür. Und die könnte sagen, wo in Deutschland es geschulte Therapeuten dafür gibt.
[00:43:53] Nele Handwerker: Okay, ja, ja, aber das ist großartig, weil ich meine, das machen ja ganz viele und ich kenne es auch aus dem entfernteren Bekanntenkreis, dass die Angehörigen, die wollen ja gerne helfen, aber das ist natürlich zu viel. Ich war auch gestern bei meiner 97-jährigen Oma im Heim und habe sie bloß angezogen und habe ihr da aus Versehen, wollte ich ja nicht, aber irgendwie wehgetan. Sie sagte dann, Nele, reiß mir mal nicht den Arm ab, lass den mal dran, den brauche ich noch. Das geht schon bei ganz vielen Sachen los. Und je stärker betroffen jemand ist, desto wichtiger werden die richtigen Handgriffe. Und bei meiner 97-jährigen Oma muss ich mich ja nicht um die Intimpflege oder andere pflegerische Dinge kümmern.
Aber wenn man zusammenlebt mit jemandem, den man unterstützen möchte, dann möchte man es natürlich gut machen. Und mir war es ja auch unangenehm, dass ich meiner Oma aus Versehen weh getan habe. Und das ist mir klar, dass gilt mit Sicherheit für alle. Das ist natürlich schön, wenn man ein Konzept lernen kann, was wirklich der Person, die mir so nahe steht, hilft, sie vielleicht sogar dabei unterstützt, Bewegungen und Fertigkeiten wieder ein bisschen zurückzugewinnen. Weil okay, da kommt vielleicht auch ab und zu ein Pflegedienst, aber ich bin ja die ganze Zeit da. Oder ich bin nachts da oder wie auch immer jetzt die genaue Konstellation ist, in den einzelnen Situationen. Also es ist schon spannend und selbst wenn man nicht die Einzelschulung bekommt, die ist natürlich das i-Tüpfelchen, aber dann hätte man ja immer noch den Vorteil, dass man auch ein bisschen emotional sich vielleicht austauschen kann, mit den anderen, weil das ja auch immer eine große Belastung ist.
[00:45:25] Gabi Jacobs: Ja, das finde ich total wichtig.
[00:45:30] Nele Handwerker: Natürlich muss man dann schauen, wie die Person, um die ich mich kümmern, während meiner Abwesenheit betreut wird, ob das vielleicht geht, während der/die Patientin/ Patient mit MS, in dem Moment vielleicht gerade in der Reha ist und man sich sozusagen nicht um die Betreuung kümmern muss, oder was auch immer. Also da muss man dann schauen. Genau. Wie ist das denn, wenn ich jetzt sozusagen nach Pflegekräften suche, für die häusliche Pflege?
Zugang zur Bobath-Pflege
Ist die Pflege nach dem Bobath-Prinzip weit verbreitet und gut zugänglich für Patienten?
[00:46:04] Gabi Jacobs: Da kannst du eigentlich nicht so nachschauen. Also ich glaube, wenn, müsstest du… Unter Sozialstation wirst du da wenig finden, glaube ich mal. Eher in den Reha-Kliniken und da müsste man dann nachfragen. Also im Quellenhof sind fast alle geschult. Ich habe extra vorher nochmal nachgeschaut, seit 2011 bin ich jährlich dort. Die haben wenig Fluktuation und wenn sie mal keine Schulung brauchen, dann wollen sie eine Woche Supervision von mir und dann geh ich dort jede Stunde mit einer anderen Pflegekraft mit. Also, weil ihnen das so wichtig ist.
[00:46:40] Nele Handwerker: Ja, super. Toll.
Gibt es spezielle Einrichtungen oder Fachleute, die auf die Pflege nach Bobath spezialisiert sind?
[00:47:00] Gabi Jacobs: Einrichtungen … Also, ich denke, unser Haus schon… Und mindestens die Abteilung, auf der ich arbeite, Früh-Reha, aber die ist für MS-Patienten ja nicht interessant. Weil das sind Schädel-Hirn-Verletzte, Neuro-Früh-Reha. Aber es gibt schon Häuser, die sehr spezifisch nach Bobath arbeiten, ja, das gibt es schon. Wie weit die aber für MS-Patienten so spezifisch sind, das weiß ich nicht, weil das nicht so sehr meine Szene ist. Ich bin durch den Quellenhof geschult. Denn man schult sich gegenseitig, ich lerne ja von den Patienten auch. Also eigentlich sind die Patienten die größten Lehrmeister. Und so durfte ich mich entwickeln, aber das kann ich nicht beantworten. Ich glaube, die Strauß-Klinik in München gibt es als MS-Klinik, aber da weiß ich überhaupt nicht, wie weit die da… Ich glaube nicht, dass der Bobath Kurse laufen, ich habe nie etwas gehört.
Die Zukunft der Bobath-Pflege für MS-Patienten
Wie siehst Du die Zukunft der Pflege nach dem Bobath-Prinzip? Gibt es neue Entwicklungen oder Ansätze, auf die wir gespannt sein können?
[00:48:23] Gabi Jacobs: Ich möchte noch zwei Punkte sagen. Also das Bobath-Konzept ist ein individuelles Konzept, das heißt, es ist offen für alle Techniken. Wenn du was aus der Basalen anwenden möchtest, aus dem Affolter-Konzept, aus der Kinästhetik, das ist offen, weil das sind Techniken und die darf man anwenden da drin. Genauso wie eine Verbandstechnik oder es ist ganz egal, das wird angewendet. Es ist ja mehr die Herangehensweise, das Individuum sehen, mit seinen persönlichen Problemen. Das spezielle Werkzeug ist die Fazilitation, die Qualität des Anfassens, des Einladens beim Anfassen und Mitbewegens. Das ist es, was es ausmacht.
Aber ansonsten, es sind ja keine anderen Dinge da drin verboten oder so. Ich warne auch davor, ich warne jeden davor, engstirnig zu werden, wie eine Sekte, das wird dem Menschen nicht gerecht. Wir müssen offenbleiben und die Werkzeuge, die wir nutzen, sind abhängig vom Patienten und auch von dem, der sie nutzt. Der eine kann besser mit dem Werkzeug umgehen und der andere mit dem anderen Werkzeug. Der eine rührt lieber mit dem Kochlöffel und der andere lieber mit dem Schneebesen. Man kann nicht immer beides gleichwertig nutzen, aber bei manchen Gerichten kann man sie gleichwertig nutzen. So würde ich das sehen und so sollte man das leben.
Für mich wäre eigentlich der Wunsch, mehr Personal, nicht mehr Geld, mehr Personal für mehr Zeit für die uns anvertrauten Kranken zu haben. Das Problem in der Pflege ist doch, je enger die Personalressourcen sind, desto schlechter werden wir ausbilden, weil die Pflegenden, die heute ausgebildet werden, die haben doch gar nicht die Möglichkeit, zu lernen, was kann ich tun, wenn ich ein bisschen Zeit überhabe. Diese Idee habe ich schon, weil ich in einer glücklicheren Zeit ausgebildet worden bin, also wo Zeit Ressourcen waren. Aber dass man mit einem Patienten vielleicht mal auch mal eine Jacke auf einen Bügel zusammenhängen könnte, ganz salopp, also so ein ganz einfaches Beispiel, so eine Idee mal zu haben, auf das kommt doch da niemand, dass das auch eine Herausforderung sein könnte. Also es gibt ja ganz einfache Dinge, die wir manchmal auch mit Patienten tun könnten, hätten wir mehr Zeit.
[00:50:49] Nele Handwerker: Also mehr Pflegekräfte, dann hoffen wir, dass der Herr Steinmeier da Interesse geweckt hat.
[00:50:56] Gabi Jacobs: Herr Steinmeier wird da, glaube ich, nichts machen können. Ich denke, das ist ein deutsches Sozialproblem und da kann auch unser Bundesgesundheitsminister letztendlich nicht so viel dran drehen. Da muss die ganze Gesellschaft bereit sein, mehr Geld für die Krankenkassen oder Pflegeversicherung bereitzustellen, Punkt. Nur dann kann es gelingen. Aber keiner will mehr bezahlen, da sind du und ich, genauso mit dem Boot, also da meine ich wirklich uns alle.
Blitzlicht-Runde
Welche Internet-Seite kannst du zum Thema Pflege nach Bobath empfehlen?
[00:51:33] Gabi Jacobs: Bertha, Ida, Konrad, Anton, also BIKA.de. Bobath Initiative für Kranken-, und Altenpflege, wenn man das Wort Bobath eingibt, dann kommt man schon auf die BIKA Seite. Da gibt es Literatur, da gibt es Artikel, da gibt es auch kleine Filmchen. Da wird man auf den YouTube Kanal verwiesen. Also ich glaube, die ist ganz spannend, die Seite. Aber es ist natürlich viel mehr für den hirngeschädigten als den spinalgeschädigten Menschen. Es gibt einen Artikel zum MS-Patienten auf der Seite, den hat Klaus Gusowski, BIKA Instruktor, mit mir geschrieben, das ist so ein Fallbericht MS.
Verabschiedung
Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?
[00:52:24] Gabi Jacobs: Nicht den Mut verlieren. Dranbleiben. Insofern vielen Dank, Nele.
[00:52:30] Nele Handwerker: Vielen Dank, Gabi. Danke für all das, was du schon in all den Jahrzehnten gemacht hast. Ich durfte ja eine Stunde beiwohnen, dann war ich schon wieder in der nächsten Session, aber ich fand das super und ich bin mir sicher, du motivierst ganz viele Leute und kannst ganz viel von deinem Wissen weitergeben. Und danke, dass du uns einen Einblick in das Thema gewährt hast.
[00:52:48] Gabi Jacobs: Ebenso danke. Schön, dass ich mich hier präsentieren durfte.
[00:52:51] Nele Handwerker: Sehr gerne. Tschüss.
Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele
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