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#215: Trigeminusneuralgie und MS – eine unsichtbare Herausforderung. Interview mit Dr. Monika Köchling

Diesmal spreche ich Dr. Monika Köchling über die Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten einer Trigeminusneuralgie. Da diese Form der Gesichtsschmerzen zu extremen Einschränkungen in der Lebensqualität führen kann, ist es enorm wichtig, sie zu behandeln. Die gute Nachricht, es gibt viele Ansätze, die Schmerzen unter Kontrolle zu bringen oder sogar ganz loszuwerden. Allerdings kann das manchmal etwas länger dauern und es ist wichtig gemeinsam mit den behandelnden ÄrztInnen nach der Lösung zu suchen und eventuell auch mehrere Ansätze auszuprobieren.

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Inhaltsverzeichnis

Vorstellung Monika Köchling

Ich arbeite in Grevenbroich als Neurologin, Psychiaterin und Psychotherapeutin in einer großen Gemeinschaftspraxis, dem NeuroCentrum am Rheinlandklinikum. Ich lebe in Düsseldorf und bin in 2.Ehe verheiratet. Außerdem habe habe ich zwei erwachsene Söhne. Zu meinen Hobbies zählen das Singen im Chor, das Wandern und die Lyrik.

Persönliche Motivation für den Beruf?

Das ist bei mir ganz  klar die Neugier, die mich immer wieder zu den richtigen Dingen antreibt. Meine Promotion habe ich in der neurologischen Abteilung von Prof. Dr. med. Klaus Poeck durchgeführt, was die Wahl zur Neurologie prägte.

Es ist spannend, Menschen zu erleben, wie sie ihre persönlichen Herausforderungen meistern. Ich lerne immer noch viel von meinen Patienten, denn in der Neurologie und Psychiatrie ist oftmals die Notwendigkeit gegeben, die Bewältigung einer Erkrankung in das Leben zu integrieren. Durch meine langjährige Erfahrung kann ich den ein oder anderen Impuls geben, dies auch gut zu tun. Mich motiviert, immer wieder herauszufinden, was ich dazu beitragen kann, gerade diesem Menschen, der mir gegenübersitzt etwas mitzugeben, was nützt.

Da man dies nicht allein überblicken kann, liebe ich es, eingebettet in mein großes Team mit zehn Facharztkolleginnen und -kollegen, Neurologen und Psychiatern und Psychotherapeuten als auch Schmerztherapeuten sowie drei psychologischen Kolleginnen und einem großen Team an MFAs inklusive MS Schwestern arbeiten zu dürfen.

Außerdem bin ich aktiv als Beiratsmitglied tätig in dem Neurotransdata Netzwerk, welches mit Praxen und Kolleginnen und Kollegen bemüht ist, mit Destiny (Data basE– asSisted Therapy decisioN support sYstem) wertvolle RWE daten zusammenzustellen und in Projekten Fragestellungen gemeinsam zu beantworten, um die Therapie und das Krankheitsmanagement zu optimieren. Dazu nutzen wir auch PHREND (Predictive Healthcare with Realworld Evidence for Neurological Disorders) als Therapieoptimierungsmodul.

Grundlagen der Trigeminusneuralgie bei MS

Was ist eine Trigeminusneuralgie und wie kann sie sich bei Menschen mit Multipler Sklerose zeigen?

Die Trigeminusneuralgie ist eine der schmerzhaftesten Erkrankungen mit typischen Gesichtsschmerzen, die in der Ausbreitung auf das Versorgungsgebietes des Trigeminusnerven beschränkt sind.

Die Schmerzattacken sind besonders stark, gekennzeichnet durch blitzartig einschießende Sensationen, die nur Sekunden anhalten, aber in schweren Fällen in Serien auftreten können und bis zu 2 Minuten anhalten. Diese Schmerzattacken laufen relativ gleichförmig und sich wiederholend ab.

Neben der Berührung der Haut in den betroffenen Gesichtsanteilen, auch schon durch Luftzug, sind Sprechen, Essen und Trinken Trigger für die Auslösung der Schmerzattacken. In schweren Fällen kommt es zu einer Einschränkung der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, sowie zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität und der Teilhabefähigkeit.

Der Trigeminus Nerv hat einen Verlauf nach einer Umschaltstation (Ganglion Gasseri) mit drei Nervenanteilen, die die Stirn, den Bereich des Oberkiefers und den Bereich des Unterkiefers sensibel versorgen. Diese Nervenanteile werden als Ast 1, 2 und 3 des Fünften Kopfnerven, römisch V, bezeichnet.

Typischerweise tritt die Trigeminusneuralgie viel häufiger in den Bereichen des Astes 2 und 3 auf, also im Bereich des Ober- und Unterkiefers.

Wie häufig tritt die Trigeminusneuralgie bei Menschen mit MS auf und nimmt die Wahrscheinlichkeit mit Erkrankungsdauer zu?

Zwei bis fünf Prozent der Patienten mit MS erleiden im Verlauf eine Trigeminusneuralgie. Zudem erkranken die Betroffenen in jüngeren Lebensjahren (< 40 Jahre).

Normalerweise betrifft die Trigeminusneuralgie vorrangig Menschen im höheren Lebensalter und es erkranken Frauen häufiger daran als Männer (Prävalenz 0,16-0,30 %).

Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens hängt  von dem Verlauf der MS ab.

Grundlage der Trigeminusneuralgie bei MS-Patienten ist ein entzündlicher Herdbefund im Wurzelgebiet des N. Trigeminus im Hirnstamm (Höhe Pons).
Bei der Hälfte der betroffenen MS-Patienten findet zusätzlich ein Gefäß-Nerv-Kontakt statt (Dual Hit Theorie).

Wie wird die Trigeminusneuralgie diagnostiziert und von anderen Gesichtsschmerzen unterschieden?

Klinische Diagnosekriterien der ICHD (Int. Klassifikation der Kopfschmerzerkrankungen) sind wichtig. Dazu zählen:

  1. Wiederkehrende paroxysmale einseitige Gesichtsschmerzattacken im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus ohne Ausstrahlung darüber hinaus.
  2. Der Schmerz weist alle der folgenden Kriterien auf:
    • Dauer von Sekunden bis 2 Minuten
    • starke Intensität
    • stromstoßartige, einschießende, stechende oder scharfe Qualität
  3. Ausgelöst durch nichtnoxische Reize im betroffenen Versorgungsgebiet des N. trigeminus.
  4. Nicht besser erklärt durch eine andere ICHD Diagnose.

Entscheidend ist bei der klassischen Trigeminusneuralgie, dass der neurologische Befund unauffällig ist, bis auf eine leichte Sensibilitätsstörung im betroffenen Gesichtsbereich und überempfindlichen Nervenaustrittspunkten der Nervenanteile im Gesicht.

Andere Gesichtsschmerzen können sich im ähnlichen Ausbreitungsgebiet präsentieren, sind aber meist dauerhaft vorhanden, weniger geprägt von den blitzartigen Attacken.

Differentialdiagnosen

  • periphere Trigeminusneuralgie
    • meist brennende Dauerschmerzen und zusätzliche Attacken
      (z. B: Postzosterneuralgie),
    • Kollagenosen wie das Sjögren Syndrom
    • traumatische Schädigungen oder Tumoren in dem Bereich des N. trigeminus (HNO und Zahnarzt mit einbeziehen zur Diagnostik)

Typische Anamnese und elektrophysiologische Nachweise einer Trigeminusschädigung mit bestimmten elektrophysiologischen Untersuchungen (Blinkreflex und TRIG SSEP).

  • Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz (früher atypischer Gesichtsschmerz)
    • durchgehender, meist dumpfer tiefsitzender Schmerz ohne scharfe Begrenzung, der oft im Bereich beginnt und sich über die Dauer diffus ausbreitet und auch zur Gegenseite ziehen kann; keine einschießenden intensiven Attacken, oft ausgelöst nach schmerzhaften Ereignissen (z. B. Zahnbehandlung)
  • Stromartigen Attacken im ersten Trigeminusast
    Abgrenzung der Trigeminusneuralgie vom SUNCT (short lasting unilateral neuralgi from headache attacks with conjunctival- injection and tearing)
    oder
    SUNA (short lasting unilateral neuralgiform headache attacks with cranial autonomic symptoms ; beide sind seltene trigeminoautonome Kopfschmererkrankungen mit kurzen einseitigen Schmerzattacken von Stirn und Auge, die mit gleichseitigen trigeminoautonomen Symptomen wie Augentränen und -rötung ) einhergehen,

  Klassische Trigeminusneuralgie mit Kompression durch Gefäß (Atrophie oder Verlagerung)

neurovaskulärer Kontakt bzw. Konflikt zwischen einem Gefäß (A. cerebelli superior oder A. cerebelli posterior inferior) und dem zisternalen Anteil des N. trig.; oder eine embryologische Variante, der A. Trigemina primitiva, ein Ast aus der A. carotis interna auf der Höhe des Cavum Meckeli abgehende kardiobasiläre Anastomose

Der Nachweis erfolgt über eine Darstellung in der Kernspintomographie der zisternalen Hirnnerven
im Millimeterbereich auflösenden T2 gewichtete Sequenz (constructive interference in steady state (CISS) oder sampling perfection with application optimized contrasts using different flip angel evolutions (SPACE) oder fast imaging employing steady acquisition (FIESTA) oder balance fast field echo (FEE)

Zusätzlich Gefäßdarstellung mittels 3-dimensionaler time of flight Technik, die hilfreich ist, um den Kontakt darzustellen.

 Auch die zisternalen Venen, insbes. Sinus petrosus  superior und inferior drainierenden Venen können den relevanten Kontakt verursachen.

 Wichtige sekundäre Ursachen:
  • MS-Läsion in Eintrittszone
  • Tumor in Eintrittszone (Intrinsische Tumore, wie Schwanome, Neurinome;  extrinsisch komprimierende Tumore wie zisternale Meningeome des Tentoriums)

Therapieoptionen für Trigeminusneuralgie bei MS

Welche Behandlungsmöglichkeiten stehen für Trigeminusneuralgie bei MS zur Verfügung, und wie werden diese individuell angepasst?

Keine Wirksamkeit direkt wirksamer Schmerzmittel (bspw. NSAR). Zum Einsatz kommen anfallssuprimierende Medikamente, früher Antikonvulsiva genannt.

Medikamentöse Behandlung der Trigeminusneuralgie

Basistherapie

  • Carbamazepin (200-1200mg)
  • Oxcarbazepin (300-1800 mg)

 

bei fortgeschrittenen Verläufen

  • Pregabalin  (150-600 mg)
  • Gabapentin (900-3000 mg)
  • Baclofen (25-75 mg)
  • Lamotrigin (200-400 mg)
  • Phenytoin nach Serumspiegel
  • Misoprostol (600 µg)
  • Botulinumtoxin (Onabotulinum A: 25-100 E)

 

Therapie der akuten Exazerbation

  • Phenytoin (250 mg langsam i.V.)
  • Pimozid (4-12 mg)
  • Serie ganglionärer lokaler Opioidanalgesien am Ganglion cervicale superius
  • Sumatriptan (6 mg s.c. oder 100 mg oral in 2 Dosierungen)

 

Scheitert die medikamentöse Therapie erfolgt die Entscheidung zur neurochirurgischen Behandlung.

Mikrovaskuläre Dekompression (OP nach Janetta)

Perkutane Verfahren:

    • Radiofrequenzthermokoagulation
    • Glyzerinrhizolys
    • Ballomkompression

Radiochirurgie

Welche nicht-medikamentösen Ansätze können helfen, die Beschwerden einer Trigeminusneuralgie zu lindern?

Alleinig sind nicht medikamentöse Ansätze in der Therapie nicht ausreichend hilfreich. Unterstützend können Strategien des suffizienten Schmerzmanagement genutzt werden, wie:

  • Entspannungstherapie , insbesondere Prpgressive Muskelentspannung (PMR) nach Jacobson, um eine grundlegende Entspannungskompetenz zu erwerben.
  • Belastungsmanagement
  • Ergotherapie
  • Biofeedbacktherapie – ein Psychotherapieverfahren, das teils auch von Ergotherapeuten angeboten wird.
  • Psychotherapie mit dem Fokus auf Schmerzpsychotherapie
  • Bei einer Chronifizierung der Schmerzen kann auch die Teilnahme an einer stationären oder tagesklinischen multimodalen Schmerztherapiemaßnahme hilfreich sein und möglicherweise zur Etablierung eines erfolgreichen Schmerzmanagements beitragen.

Welche Rolle spielen begleitende Therapien wie Physiotherapie oder Entspannungstechniken bei der Schmerzbewältigung?

Sie sind sehr hilfreich in der Regulierung des Muskeltonus (z. B. spezialisierte Physiotherapie bei craniomandibulärer Dysfunktion. kurz CMD).

Gibt es vielversprechende neue Entwicklungen oder Therapieansätze für Patienten mit Trigeminusneuralgie?

Ja, die Weiterentwicklung der anfallssupprimierenden Medikation, insbesondere Natriumkanalblocker, die keine Aufdosierungsphase erfordern und ein günstiges Nebenwirkungsprofil bieten; bspw. Vixotrigin.

Auswirkungen der Trigeminusneuralgie bei MS

Wie beeinflusst die Trigeminusneuralgie bei MS-Patienten das allgemeine Wohlbefinden und die Lebensqualität?

Die Trigeminusneuralgie kann zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Sie schränkt oft die Teilhabefähigkeit ein bis hin zur Unfähigkeit regelmäßig einen Beruf auszuüben.

Betroffene haben ein hohes Risiko komorbide depressive Krankheitsphasen zu entwickeln.

Was sind die langfristigen Aussichten für MS-Patienten mit Trigeminusneuralgie, und wie kann die Prognose verbessert werden?

Oftmals besteht ein Risiko zur Chronifizierung und ein hohes Rezidivrisiko je nach Ursache und Behandlungsmöglichkeit. Insbesondere neurochirurgischer Maßnahmen können für Abhilfe sorgen.

Wie kann man einer Trigeminusneuralgie am besten vorbeugen, falls das überhaupt möglich ist?

Es gibt keine spezifische Faktoren. Der Trigeminusnerv ist anfällig für vorübergehende reaktive Beschwerden nach Virusinfektionen. Also alles was uns immunologisch robust erhält, wie eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung, regenerativer Schlaf, keine Stresseskalation wirken vorbeugend.

Blitzlicht-Runde

Vervollständigen sie den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose...

… eine Herausforderung für PatientInnen und ÄrztInnen.

Welchen Durchbruch in der Forschung und Behandlung zur MS wünschen Sie sich in den kommenden 5 Jahren?

Medikation mit optimalem Nebenwirkungsprofil und verbesserte Angebote zum Krankheitsmanagement, wie Psychoedukation.

Welche Internet-Seite können sie zum Thema Trigeminusneuralgie empfehlen?

Die Trigeminus Selbsthilfegruppe, die landesweit organisiert ist unter: www.tshg.org

Literatur:

  • Trigeminus Leitlinie, LL 2019
  • PD Dr. med. Ruth Ruscheweyh, Der Schmerz,  2020, 34 S. 486-494

Verabschiedung

Abschließend, was ist die wichtigste Botschaft, die sie MS-Patienten mit Trigeminusneuralgie mit auf den Weg geben möchten?

Die Haltung ist entscheidend. Verzweifeln sie nicht. Werden und bleiben sie widerstandsfähig und wagen sie Neues.

Ich zitiere Hilde Domin:

„Ich setzte den Fuß in die Luft und sie trug.“

Wo findet man sie im Internet bzw. vor Ort?

NeuroCentrum am Rheinlandklinikum in Grevenbroich
Am Ziegelkamp 1f
41515 Grevenbroich
www.neuro-centrum.net
www.neurotransconcept.com

Vielen Dank an Frau Dr. Köchling für den tiefgehenden Einblick in die Möglichkeiten eine Trigeminusneuralgie zu behandeln.

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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