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#239: Wie Du High Intensity Intervall Training (HIIT) optimal langfristig nutzt. Interview mit Dr. Jens Bansi

Im Interview begrüße ich Dr. Jens Bansi, Leiter Forschung und Entwicklung bei den Kliniken Valens in der Schweiz, und spreche mit ihm über die Vorteile des High Intensity Intervall Training (HIIT) für Menschen mit Multipler Sklerose und wie man es in sein Leben integrieren kann. Am einfachsten gelingt das mit der Unterstützung durch Experten, aber das Konzept von intensiveren Trainingseinheiten gelingt durchaus auch allein. Auf jeden Fall bietet körperliches Training viele positive Vorteile.

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Inhaltsverzeichnis

[00:00:01] Nele Handwerker: Hallo, Jens, ich freue mich riesig, dass du heute hier bist und mein Gast und uns ein bisschen einweist, in die Möglichkeiten und Chancen, die man mit High-Intensity-Intervall-Training hat. Aber erst mal ein ganz liebes Hallo nach Pfäfers in Sankt Gallen in der Schweiz.

[00:00:16] Jens Bansi: Ja, genau. Danke, Nele, für die Einladung, das hat mich riesig gefreut. Ich verfolge dich ja auch hinter den Kulissen und weiß, dass du da seitens Podcasts so quasi der Podcast bist im Bereich MS. Und das hat mich riesig gefreut, als du mir die Einladung gegeben hast. 

[00:00:39] Nele Handwerker: Sehr gut, so soll es sein. Bevor wir richtig loslegen, wäre es natürlich ganz lieb, wenn du dich kurz den Hörerinnen und Hörern vorstellst, wer du bist, damit sie wissen, wen ich heute hier als Gast habe.

Vorstellung – Wer ist Jens Dr. Bansi?

[00:00:50] Jens Bansi: Ja, also mein Name ist Jens Bansi und ich bin mittlerweile seit 20 Jahren an den Kliniken Valens. Als ich vor 20 Jahren, in 2004 gestartet bin, war das nur die Klinik Valens, also es gab nur einen Standort und mittlerweile haben wir neun Standorte. Also neun stationäre Reha-Standorte und das bedeutet, dass wir da circa 1.200 Patientenbetten betreuen und ganz sicher im Bereich der Neuro-Reha der führende Anbieter sind.

[00:01:29] Nele Handwerker: Wunderbar.

[00:01:31] Jens Bansi: Und seit 2019, 2020, mit der Pandemie, hat die Klinik sich dann dankenswerterweise entschieden, mich zum Leiter Forschung und Entwicklung zu befördern. Ich habe 2014 das PhD in der Deutschen Sporthochschule gemacht, das Doktorat. Und hab dann angefangen, im Bereich der körperlichen Aktivität zu forschen. Wobei das PhD selber, das war noch in Wasser, da haben wir den Land-Wasser-Vergleich gemacht. Hat es Unterschiede, wenn Betroffene mit MS in 28 Grad kühl temperiertes Wasser, wenn sie da quasi so ein Fahrradtraining auf dem Hometrainer fahren. Wir haben gesehen, dass das Tiptop wirkt. Aber man konnte sich am Ende des Tages nicht so wirklich erklären, was dieses Tiptop bedingt hat.

Wir haben dann gesehen, dass sich Marker erhöhen in dem Wassertraining, die das neurale Netzwerk ausbauen. Das ist so ein Eiweiß, brain derived neurotrophic factor, klingt ein bisschen kompliziert. Und wir konnten uns eigentlich nur vorstellen, dass das mit der Intensität zusammenhängt. Dann haben wir ziemlich schnell nach der Verteidigung gesagt, ja, man müsste das nochmal an Land machen, nur an Land und dann mit so einem intensiven, kurzen knackigen, also diem Intervalltraining, was du schon ansprachst.

Und dann haben wir recht schnell, in 2016, von der MS-Gesellschaft Geld zugesprochen bekommen und durften das in Valens untersuchen. Damals, im 2016, da war das noch ganz unvorstellbar und dieser Gedankengang, dass man mit diesen knackigen, kurzen Intervallen am Limit fahren lässt, war auch für die MS-Gesellschaft sehr speziell. Aber die Präsidenten sind da immer sehr offen und innovativ und haben gesagt, ja klar, das klingt doch super und dann probieren wir das mal. Das hat dann auch richtig eingeschlagen damals, 2017 in der Publikation, was dazu geführt hat, dass das Medial vor allem eingeschlagen hat, dass man das Protokoll dann abgefilmt hat von 3Sat in der Nano-Sendung. Es hat einen zehnminütigen Sendeplatz bekommen.

Dieses mediale Echo habe ich nie wieder so bekommen. Obwohl die Publikation und das, was wir untersuchen, jetzt qualitativ hochwertiger ist. Und auch vom Journal, von dieser Fachzeitschrift her ist das krass weit oben publiziert, wenn man das so sagen darf. Aber eben die breite Masse, dieser mediale Nachhall, das ist nicht mehr so passiert. Und dann komme ich mir vor wie der Nerd, der super publiziert, aber die Masse, die kriegt das gar nicht mit und es ist ihnen auch egal, was da passiert.

[00:04:51] Nele Handwerker: Ja, das ist manchmal so, aber ich habe einen Faible für Nerds, bin mit einem theoretischen Physiker verheiratet, habe gerne Big Bang Theory geschaut und ich finde es total wichtig, die Erkenntnisse der Wissenschaft einfach verständlich, in die Masse zu tragen. Insofern toll, dass du heute hier bist.

Persönliche Motivation für Beruf?

[00:05:14] Jens Bansi: Also ich wusste eigentlich mit dem Abitur, dass ich sehr gerne mit Training Personen helfen würde. Und damals, wann war das, 1996, da gab es eigentlich nur die Sporthochschule Köln und Leipzig, wie hieß die, die hatte noch so einen alten Namen irgendwas mit Leibesübungen.

[00:05:49] Nele Handwerker: Schön old school der Name.

[00:05:50] Jens Bansi: Nur die beiden haben das eben angeboten. Die Kölner, die haben es Rehabilitation und Behindertensport genannt, also auch ein eher befremdlicher Name heutzutage. Dann habe ich mich da beworben und man muss an der Hochschule einen Test machen, den ich bestanden habe. Ja und dann habe ich da studiert und war ziemlich begeistert und habe recht schnell gemerkt, dass ich dafür brenne. 2002 habe ich abgeschlossen.

Und dann war einfach Valens die erste Institution, die sich auf meine Bewerbung gemeldet hat. So bin ich dann nach Valens gekommen, mit einem Praktikum und bin recht schnell mit 60 Prozent angestellt worden und wusste eigentlich immer, dass das mein Ding ist. Die Klinik hat das immer sehr geschickt gemacht, wenn es ein bisschen langweilig wurde. Also am Anfang ist man begeistert, von diesen ganzen Diagnosen und all das, was man theoretisch in den Hörsälen, in den Vorlesungen gehört und gesehen hat. Das hat man auf einmal live, und man musste die Diagnosen bearbeiten.

[00:07:42] Nele Handwerker: Spannend. Ja. Aber gib’s zu, du magst auch Wintersport, wenn du in die Schweiz gegangen bist.

[00:07:47] Jens Bansi: Natürlich, das ist dann so in den Genen drin. Also der Wintersport, der ist auf jeden Fall drin und ich freue mich wahnsinnig, wenn der Schnee fällt und wenn es dann anständige Minustemperaturen hat. Genau. 

[00:08:03] Nele Handwerker: Sehr schön, das ist gut. Wir haben ein ganz hübsches Kinderbuch, Gian und Giachen. Die sprechen schweizerdeutschen Dialekt, findet meine Tochter total klasse.

[00:10:23] Jens Bansi: Das ist dann quasi 100% und im Intervall fahre ich jetzt mindestens mit 90%. In dieser Untersuchung habe ich die Herzrate, den Herzschlag mitlaufen lassen. Ich habe ein subjektives Anstrengungsempfinden abgefragt und ich habe auf dem Hometrainer meine Leistung in Form von Watt abgefragt. Ich habe vielleicht 120 Watt erreicht, mit einem Herzschlag von 160, 165, wie auch immer und das ist gleich 100 Prozent. Wenn ich jetzt 90 Prozent habe, dann würde ich diese 160 mit 0,9 multiplizieren und dann wüsste ich, okay, ich müsste diesen Wert mindestens in diesem Intervall erreichen. Und dann fahren wir mindestens drei, maximal fünf Intervalle.

 

Jetzt sind wir in der Studie, da würden wir gucken, dass wir mindestens fünfmal in diesem Intervall fahren. Das erste Intervall fühlt sich jetzt einfach ein bisschen intensiver an. Und je mehr Intervalle ich habe, spätestens ab dem dritten merkt man wirklich, dass ich am Limit fahre und dann erreiche ich auch diese 90% und je näher ich an die 100% komme, desto besser wird es. Das haben wir und jetzt auch andere Kolleginnen angeschaut, dass das auch vom System, also vom kardiopulmonalen oder vom immunologischen System, egal was ich da messe, viel besser vertragen wird, als wenn ich am Stück kontinuierlich 30 Minuten in so einem herkömmlichen, anaeroben Ausdauertraining eben die Betroffenen durchfahren lasse.

[00:12:11] Nele Handwerker: Okay. Macht Sinn. Seitdem wir hier an der Elbe wohnen, wo es ein kleines bisschen Steigung gibt und ich meine Tochter auf dem Fahrrad zur Kita fahre, gibt es drei kurze Steigungen und mittlerweile fühle ich mich ein ganzes Stück fitter, seitdem ich sie regelmäßig fahre. Und wir müssen auch hoch in den Garten laufen, wir wohnen ja an einer Hanglage, ergibt total Sinn.

Allgemeines Verständnis von HIIT und MS

Was genau ist High Intensity Interval Training (HIIT) und wie wirkt es sich auf den Körper aus?

[00:08:28] Jens Bansi: HIIT heißt, mit einer hohen Intensität fahre ich in einem kurzen, knackigen Intervall am Limit. Da reden wir wirklich von ein, maximal anderthalb Minuten. Und dieses Limit sind quasi meine individuellen Belastungsgrenzen, die ich dann in einer ersten Untersuchung definiere. Das kann man sich vorstellen, auf dem herkömmlichen Hometrainer, der Experte sagt Fahrradergometer, lasse ich die Leistung ausgehend, die meisten Geräte, die starten bei 20 Watt und dann gehe ich jede Minute mit dem Widerstand nach oben. Das ist meistens bei den MS-Betroffenen circa 10, wenn sie etwas fitter sind, 15 Watt pro Minute.

Und es hat Geräte, die das automatisch, elektromagnetisch hochsteuern. Je mehr man einen wirklich sanften Anstieg hat, also wirklich 1, 2, 3 Watt, dass es dann wirklich 10 Watt pro Minute ist und nicht auf einmal, nach einer Minute geht es wieder hoch, desto besser wird das Vertragen. Aber am Ende ist, dieses Definieren, wo ist mein Limit, das Wichtige. Dann fährt man mit 60 Umdrehungen, am Anfang geht es noch sehr einfach und je länger ich unterwegs bin, merkt man, dass es immer strenger wird und immer schwieriger diese vorgegebene Drehzahl zu halten und irgendwann fällt die ab. Meine Muskeln brennen und sind übersäuert und ich höre auf. Das ist der Moment des subjektiv empfundenen Maximums, was dann gleich 100% gesetzt wird.

[00:10:21] Nele Handwerker: Und wie oft gehe ich in das Intervall rein?

 

Welche Vorteile kann HIIT für Menschen mit Multipler Sklerose haben?

[00:12:38] Jens Bansi: Also generell ist es wichtig, dass ich mich aktiv verhalte und die Welt hat ein bisschen ein Problem, dass sie sich nicht so aktiv verhält. Was wir verkennen, ist, dass die WHO seit 2017 die Pandemie der Inaktivität ausgerufen hat. Was bedeutet, dass aufgrund dieser Inaktivität, dass wir gewisse Schritte, gewisse Umsätze, an körperlicher Aktivität nicht haben, sich Diagnosen ausbilden, die sich sehr krass monetär und sozioökonomisch auf das System auswirken.

Dieser monetäre Betrag, die WHO, die macht jedes Jahr ein Update, erhöht sich um 10, dieses Jahr 15 Millionen Dollar. Die aufgrund der körperlichen Aktivität diese Folgediagnosen ein Problem haben, das gilt für normal Gesunde. Wenn ich eine Diagnose habe, unabhängig von MS, habe ich ja wirklich einen deftigen Grund, warum ich jetzt inaktiv bin und vielleicht wirklich ruhiggestellt, hospitalisiert. Wenn ich an einen Tumor denke, eine Chemotherapie, da bin ich ja wirklich, über Wochen hospitalisiert und komplett ruhiggestellt.

Das heißt, ich habe eine sekundäre Komponente, die zu meiner primären Diagnose hinzukommt, die massive Entzündung aufbaut. Und das kumuliert. Dagegen muss ich angehen. Das hat klare Vorgaben, dass ich mindestens 150 Minuten pro Woche körperlich aktiv bin. Die WHO lässt das ein wenig offen, sie sagt einfach moderate körperliche Aktivität. Das kann man sich wahrscheinlich vorstellen, dass man, so wie du das beschrieben hast ein bisschen fokussierter in den Spaziergang geht. Dass man nicht schlendert, einfach sich fokussiert, jetzt laufe ich, vielleicht mal einen schnelleren Abschnitt habe. Und dass ich da wahrscheinlich auch ein bisschen kurzatmiger werde, aber nicht gemütlich über den Weihnachtsmarkt schlendere, das wird dann halt nicht reinfallen.

Sie lässt mir aber dann, je intensiver das wird, eine Verkürzung zu. Das heißt, wenn ich intensiv dran bin, braucht es nur 75 Minuten. Und die Auswirkungen, die diese körperliche Aktivität hat, die sind krass. Also Schlaganfall wird um 50 Prozent reduziert, Diabetes um 50 Prozent, das Risiko von Alzheimer um zwei Drittel runtergeholt. Ein wahnsinniger Effekt und man würde sich fragen ja im Moment, wenn es doch dieses Medikament geben würde mit all diesen tollen Effekten, warum nehmen wir das denn nicht? Und darum geht.

Und was dann hinter den Kulissen passiert, ist, dass das entzündliche Geschehen positiv beeinträchtigt wird, dass ich belastungstoleranter werde, dass ich diese ganzen kardialen, kardiopulmonaren Risikofaktoren runterhole. Sobald ich mehr als 10, 15 Minuten körperlich aktiv bin, beeinflusse ich auch die Emotion. Das heißt depressive Verstimmungen lassen sich viel effizienter mit einer körperlichen Aktivität beeinflussen und je strukturierter die wird, mit dem Training, als die Medikation.

All das wirkt hinter den Kulissen und was jetzt bei der MS mit dieser chronifizierten Entzündung passiert, ist genau das Negative. Entzündung wird aufgebaut, es wird sofort das Schlafverhalten beeinflusst, es werden Emotionen beeinflusst. Das heißt, ich habe sekundär durch dieses inaktive Verhalten Spiralen, die laufen, die sehr kontraproduktiv sind.

Und das verändere ich und dieses An-Aus dadurch wird das System gestresst und es hat das Gefühl, hoppla, ich bin gestresst und dann ist es schon wieder vorbei. In dieses An-Aus, reingehen, wieder rausgehen, das hat einen wahnsinnigen Effekt auf all die Mechanismen, die hinter den Kulissen ablaufen. Es werden viele Faktoren durch diesen kurzen, intensiven Reiz getriggert, die dann fast medikamentöse Effekte haben.

[00:17:51] Nele Handwerker: Ohne großartige Nebenwirkungen, außer vielleicht ab und zu mal eine Sportverletzung. Die kann man nicht ganz ausschließen, muss man zugeben. Wenn man zum Beispiel, wie ich einfach bewundert, was da gerade für ein hübsches Solarthermie-Ding auf dem Dach ist und fast gegen irgendeinen Boller fährt, aber nur fast. Also immer ein bisschen vorsichtig, die Straße im Blick behalten, wenn man Fahrrad fährt. Aber gut, das passiert.

Richtiges Training und Sicherheitsaspekte

Wie sieht ein sicherer und effektiver HIIT-Trainingsplan für MS-Patienten aus?

[00:18:37] Jens Bansi: Ja, vielleicht muss man da ein bisschen einschränken und ganz klar und ehrlich sagen, dass es wahrscheinlich eher unrealistisch ist, wenn ich ohne Experten, ohne Coach probiere, am Limit zu fahren. Das ist so wahnsinnig schwer und da muss ich auch sagen, dass ich es auch nicht kann, wenn ich nicht eine Person neben mir steht, die wie Richie the Coach, mich an mein Limit brüllt quasi. Und man muss es pragmatischer sehen, dass dieses hochintensive Intervalltraining bedeutet, dass ich Momente in meine Trainingsroutine einbaue, wo ich aus dieser alltäglichen Routine ausbreche. Und die tägliche Routine, das sind n 80 Prozent, wo ich mir vornehme, dass ich ein Ausdauertraining und/oder ein Krafttraining mache. Und diese 80 Prozent sind dann wahrscheinlich in einem Bereich, wo ich das Gefühl habe, dass ich das Stunden weitermache, ist wahrscheinlich auch ein bisschen langweiliger, weil ich dann Stunden auf dem Hometrainer sitze und einfach kontinuierlich fahre oder anderthalb Stunden draußen dann an der Elbe, am Fluss entlanglaufe oder durch den Wald laufe.

Und das, was Spaß macht, dieses Intensive ist homöopathisch 20 Prozent, was ich einbaue. Also wenn ich drei Trainingstage habe, würde ich einen Tag intensiver machen. Da buchse ich dann in dem Moment aus. Der Körper liebt gleichbleibende Zustände, der würde am liebsten immer diese 80 Prozent haben. Täglich einen eineinhalb Stunden Spaziergang, immer dieselbe Strecke. Der Kopf hat sich so eingegroovt auf die Strecke, man weiß haargenau, was geht, das liebt er.

Da muss ich ihn aus dem Trott bringen, auf dem falschen Fuß erwischen, indem ich eine Einheit einbaue, wo ich kürzer gehe, aber dafür, so wie du sagst, einfach mal bergauf. Und jetzt probiere ich diese Strecke bergauf so schnell wie möglich zu gehen. Vorher habe ich sicherheitsmäßig gecheckt, dass es da auch eine Bank hat, oben an der Kuppe, am Kumulationspunkt, dass ich auf die Bank kollabiere und dass es sicher ist. Das ist klar, dass ich nicht einfach gib ihm, Augen zu und durch, sondern dass ich weiß, okay, ich habe die Bank da hinten und ich komme auch wieder zurück.

[00:21:26] Nele Handwerker: Ja, das ist gut. Ich kann bei uns wenige Meter entfernt einen Fußweg nach oben steigen und bin dann auf dem Plateau des Sandsteins und kann schön auf die Elbe runter gucken. Mache ich immer mal. Und es ist bemerkenswert, also jetzt mit schwangerem, langsam immer dicker werdenden Bauch, laufe ich das nicht mehr zügig hoch, aber ich japse dann oben durchaus. Angepasst an das Körpervolumen, sage ich mal, ist das schneller oder langsamer, was mich zum Japsen bringt. Aber ich habe einen schönen Ausblick und es ist ein bisschen was anderes. Ich brauche da auch immer Abwechslung. Sonst ist mein Geist, der findet diese Langeweile nicht so toll, der findet es anstrengend, wenn das langweilig ist, sich dann zu motivieren.

Welche Rolle spielt die individuelle Belastbarkeit bei der Festlegung der Intensität und Dauer der Übungen?

[00:22:16] Jens Bansi: Also am besten wird meistens das Radfahren toleriert. Das kriegt man sehr gut hin. Je individueller ich das Training gestalte, umso effizienter wird das natürlich. Das heißt, alles, was ich subjektiv einschätze, ist vielleicht auch durch die Diagnose oder diese längere Phase der Inaktivität ein bisschen beeinträchtigt. Was bedeutet, dass ich die Belastung viel höher einschätze, als ich hinter den Kulissen vertrage. Meistens schätze ich das subjektiv viel schwerer ein, als was ich leisten kann und könnte. Deswegen, je individueller, je mehr ich so eine Belastungsuntersuchung vor ein Training schalte, desto besser ist es. Aber das braucht natürlich wieder den Coach, das braucht wieder den Therapeuten, der das macht. Das hat wieder Aufwand, das heißt, ich muss in die Einrichtung, in die Praxis. Ich habe wieder einen Weg, den ich machen muss. Deswegen würde ich sagen, ja, wenn es nicht geht, das Wichtige ist, dass man sich bewegt.

[00:23:53] Nele Handwerker: Ja, lieber bewegen als nicht bewegen.

[00:23:56] Jens Bansi: Was immer interessant ist mit den Betroffenen, wenn man subjektiv Ziele setzt, was sie haben, dann ist klar, das Gehen ist natürlich ein ganz wichtiger Faktor. Und die Lebensqualität hängt ganz stark von dieser Gehfähigkeit ab. Dann ist es in vielen Momenten unrealistisch, wenn ich die Betroffenen auf das Rad, auf den Hometrainer setze und Moment, das Ziel ist doch eher, ich will länger gehen und ich will vor allem schneller gehen können und jetzt fahre ich Rad.

Da ist der rote Faden, dass diese kardiorespiratorische Fitness ganz eng eben von der Gehfähigkeit abhängt. Die dänischen Kollegen, die haben das recht gut aufgezeigt, dass, wenn ich die Fitness steigere, ich auf diesen klassischen Geh-Assessments, 6-Minuten-Geh-Test, das wäre jetzt die Geh-Strecke, also länger gehen können. Und so ein 25-Fuß-Gehtest, 25 Fuß, das sind circa 3,68 Meter, eine ganz krumme Zahl, wo man ganz schnell gehen lässt, das heißt, das wäre die Geschwindigkeit. Und beide Tests werden positiv durch die erhöhte Fitness beeinflusst. Also obwohl ich auf dem Hometrainer trainiere, tu ich hinter den Kulissen auch die Gehfähigkeit verändern und verbessern und das ist ganz wichtig.

[00:25:28] Nele Handwerker: Ja. Weil mein Herz stimuliert wird und weil ich besser Luft kriege. Respiratorisch und kardiologisch ist immer das, was wirklich jeder da draußen versteht.

Gibt es bestimmte HIIT-Übungen, die auch bei mittlerer bis starker Einschränkung funktionieren?

[00:25:58] Jens Bansi: Also der Hometrainer, der funktioniert aus meiner subjektiven Erfahrung bis zu einem EDSS von 6,5. Ab 7, 7,5 wird es von der Koordination einfach zu schwierig und eher unrealistisch, dass ich Drehzahlen über 50 erreiche. Und das ist für das Radfahren wichtig, dass sich nicht ein Pedal dreht, sondern dass ich eine Grundkadenz von mindestens 50 Umdrehungen halten kann. Wenn das dann nicht mehr geht, dann ist es die Aufgabe von mir als Experten, die betroffene Person zu überzeugen, dass die Arme und der Oberkörper die Beine werden. Und dass ich die Arme eben einsetze.

Fitness bleibt Fitness, das heißt, dem System ist es egal, ob ich mit den Beinen arbeite oder mit den Armen arbeite. Das heißt, auch ein Handkurbelergometer, erhöht die Fitness und wird die Gehfähigkeit bei Untersuchungen verändern. Weil das von der Fitness abhängt. Das ist immer sehr schwierig, den Betroffenen klarzumachen, weil die Beine natürlich einen sehr großen und hohen Stellenwert haben.

Wir als Mensch mit dem aufrechten Gang, das Gehirn ist halt sehr dominant. Wenn das nicht mehr geht, dann ist das erstmal, eine ziemlich krasse Einschränkung in dem Moment. Dann diese Offenheit haben, dass das es weniger eine Rolle spielt und ich mit dem Oberkörper genauso viel erreiche. Es gibt ganz viele effiziente Hilfsmittel wie so elektromechanische Kurbeln, die ich an meinen Rollstuhl docken kann und die ich wie einen Handcycle viel effizienter als mit den Armen auf einmal fahren kann.

Ich habe drei Betroffene in Valens, die machen jedes Jahr eine Spendenfahrt, die fahren mit ihren Tri-Cycles von Frankfurt am Main nach Zürich.

[00:28:10] Nele Handwerker: Wow.

[00:28:14] Jens Basi: Über 650 Kilometer täglich, 50 bis 70 Kilometer, genau, wow. Die haben einen EDSS von 7, 7,5 und die leisten wahnsinnig viel in dem Moment. Diese Touren macht er seit 2012 und seit 2015/2016, wurde das Radfahren immer schwieriger und 2016 auf 2017 eigentlich unmöglich. Das war für ihn in dem Moment eine krasse Einschränkung. Bis er sich in 2019 diese Kurbel angeschafft gesehen hat, ja, wie krass ist das denn.

Jetzt spielt er Rollstuhlbadminton und macht alles mit dem Oberkörper und die Beine sind ihm sowas von egal, aber das ist ein Verarbeitungsprozess und da ist jeder anders und das muss jeder für sich sehen. Wenn ich gut begleitet werde, geht es vielleicht einfacher und rascher. Aber das ist es auch ganz wichtig, dass man als Therapeut und Trainer die Arme und den Oberkörper immer mehr in den Vordergrund rückt. Am Ende geht es um die Fitness und um die körperliche Aktivität. Dann ist auch klar, dass irgendwann 8,5, das Höchste, was ich gesehen habe, war 9. Dann ist man so schwer betroffen, dann ist die Bewegung wirklich minimal.

[00:30:12] Nele Handwerker: Total schönes Beispiel und die ganzen positiven Effekte auf meine Psyche habe ich ja trotzdem, vielleicht ein bisschen geringere Fatigue, dass ich besser schlafen kann, wenn ich meine Fitness nach oben bringe und das ist ja wichtig. Ich meine, klar, immer versuchen, so viel wie möglich zurückzugewinnen bzw. zu erhalten. Aber je nachdem, wie heftig die MS ist, kann es halt auch sein, so langsam wie möglich, Boden gegen die MS zu verlieren, das ist ja immer eine individuelle Sache.

Integrationsstrategien für den Alltag

Wie können Patienten HIIT-Übungen in ihren täglichen Zeitplan integrieren, insbesondere nach Abschluss der Rehabilitation?

Nele Handwerker: Was hast du  für Tipps, wie man HIIT Übungen einbauen kann? Dass das Training nach dem Ende der Rehabilitation weitergeht und möglichst nicht wieder bei Null anfängt, wenn ich ein oder zwei Jahre später wieder zur Reha gehe.

[00:31:10] Jens Bansi: Es muss pragmatisch sein und Sport ist wahrscheinlich schon ein Begriff, wo einige schon zurückschrecken und denken, ja Sport, sich maximal messen mit einem Gegner, das kann ich, mag ich, will ich nicht. Das heißt, ich würde einen Schritt zurückgehen und sagen, dass es körperlich aktiv sein bedeutet und das ist sehr realistisch. Das heißt, ich schaue, dass ich aktive Momente einbaue. Cool wäre es, wenn es 150 Minuten moderat ist und je intensiver, desto weniger Zeit braucht es.

Da macht es sicher auch Sinn mal wie so ein Konto zu gucken. Wie sieht so eine Woche von mir aus? Ich werde wahrscheinlich dichtere Tage haben und ich werde weniger dichte Tage haben. Wo lasse ich in dieser Woche Energie? Wie so ein Konto, Einnahmen/Ausgaben. Und Dann definiere ich Tage, die jetzt total dicht sind und wo ich viel Energie lasse und da macht das auch überhaupt gar keinen Sinn, da jetzt mein körperliches Training oder diese körperlichen Aktivitäten einzubauen, weil das System eh schon mental, kognitiv und physisch eben, am Limit läuft.

Sondern ich baue diese körperliche Aktivität einen Tag später, wo der Vormittag komplett frei ist, da setze ich die halbe Stunde, Stunde, dann weiß ich, ich habe genügend Zeit, gemütlich aufzustehen, mich zu fokussieren, in die Aktivität zu gehen und hinten raus, weil der Vormittag eben frei ist, noch runterzukommen. Und je mehr ich das schaffe, das Ganze zu strukturieren, desto eher wird diese körperliche Aktivität zu einem Training. Das Strukturieren bedeutet, dass ich diese ausbrechenden Momente aus dem Alltag schaffe, die nennt der Experte Overload.

Das heißt, ich baue einen Zustand auf, wo ich mich physisch ausschöpfe. Je regelmäßiger ich das schaffe, desto eher werde ich merken, dass ich in den ersten Momenten rasch Fortschritte mache. Das wird über die Zeit immer schwieriger, weil das System fitter wird, diesen Fortschritt einzubauen. Aber er muss eingebaut werden und dieses “Müssen” ist die Struktur. Am Ende bedeutet dieses Müssen, das Training. Also ich strukturiere diese körperliche Aktivität, dass ich immer einen Overload habe. Und dass ich immer ein Overload habe, bedeutet, dass ich immer Progression habe und das Niveau immer individuell an diesen neuen Zustand anpasse.

Und das bedeutet, dass ich immer wieder neu auch nach ein, zwei, Trainingswochen in diese Belastungsuntersuchung gehe. Dass ich das immer wieder anpasse. Da brauchst du eine gute Betreuung, es braucht ein gutes Netzwerk. Und am Ende, wenn ich das Netzwerk nicht habe, ist auch klar, dass es unrealistisch ist, das zu machen. Aber je regelmäßiger ich es schaffe, diese Regelmäßigkeit ist das A und O, rauszugehen, wenn ich es wirklich schaffe, dreimal die Woche das zu machen, das würde schon reichen.

Und je motivierter ich bin, es macht keinen Sinn, einem, der eher läuft, das Radfahren aufzuschwatzen oder umgekehrt, einem Läufer das Radfahren aufzuschwatzen, sondern je motivierter ich bin, desto eher bleibe ich dran. Es muss zu so einem Ritual werden, wie das Zähneputzen. Zähneputzen, das mache ich jeden Morgen, ich mache es jeden Abend, es ist nicht viel. Wenn ich es nicht mache, ist auch okay, aber dann habe ich ein schlechtes Gewissen und darum geht es, dass ich halt meine drei Tage habe, die ich durchziehe. Dann gibt es sicher Momente, wo ich das mal nicht habe, und dann ist es auch nicht tragisch, aber ich habe das schlechte Gewissen und ich bleibe dran und lasse den Schweinehund nicht sich einschleichen und ich lasse wieder los. Das ist dann eben das Problem.

[00:36:16] Nele Handwerker: Genau und wenn es einem gut geht, kann ich bloß sagen, rein für die Flexibilisierung. Also ich bin extrem gering betroffen. Ich habe zum Beispiel gestern Abend von 23 Uhr bis Mitternacht eine halbe Stunde Salsa vorm Rechner gemacht. Und die macht ganz gut los und mit dem dicken Bauch, war das auch schön und ich konnte deutlich besser schlafen. Ich habe auch wegen meinem gefühlten Dauerinfekt kurz mal Kopfstand gemacht und das ging dann auch schon wieder besser als den Tag zuvor. Der Druck auf den Kopf war nicht so groß.

Also ich finde das immer wieder bemerkenswert, wenn man eine Weile bestimmte Sportarten nicht gemacht hat und dann wieder einsteigt, wie schnell man positive Effekte hat. Leider verliert man es auch immer in die andere Richtung relativ schnell. Aber da kann man ja wirklich gucken. Und ich bin da auch ein ganz großer Fan von Sachen ausprobieren und dann das Richtige finden. Die einen brauchen halt den Druck durch die Gruppe, die anderen durch den Trainer, die anderen machen es gerne für sich, weil sie, was weiß ich, die individuelle Zeit brauchen.

So wie ich, weil ich Podcasts aufnehme, Kind hab und so Späße. Aber da muss man gucken und auf jeden Fall dranbleiben, das ist ganz wichtig. Und je nachdem don’t break the chain oder so, dass man sich irgendwo Aufkleber, Strichliste, was auch immer, irgendeine Art findet, wie man sich motiviert, dran zu bleiben.

Welche Unterstützung kann ein Physiotherapeut vor Ort bieten, um sicherzustellen, dass die Übungen korrekt und regelmäßig durchgeführt werden?

[00:37:52] Jens Bansi: Ja, schon. Das ist die Schnittstelle. Das heißt, mir geht es nicht immer gleich, sondern die Symptome, die schwingen ja wie so eine Tagesform. Manchmal geht es schlechter, dann geht es wieder besser. In den Momenten, wo es wieder schlechter geht, ist vielleicht eine gewisse Unruhe, Nervosität da. Ist es jetzt ein Schub, was ist es jetzt, ist es die Fatigue, was ist das? Und da kann die Expertin/der Experte natürlich flankierend super Support bieten. Und eine gewisse Nervosität nehmen und aufzeigen, dass obwohl es mir gerade nicht so gut geht, ich physisch doch sehr viel leiste. Sie dann ausprobieren lass, was heute geht, das ist das eine. Das andere ist immer wieder das Individuelle aufrechtzuerhalten. Dass man die Trainingsintensität individuell anpasst. Dass man, wenn eben das Niveau nach oben geht, ich auch mit der Dosis nach oben gehe und dass ich das miteinander verfolge, als Team.

Erfolgsmessung und Anpassung des Trainingsplans

Wie kann der individuelle Erfolg von HIIT bei MS-Patienten gemessen werden, und welche Zeitspanne ist für sichtbare Ergebnisse realistisch?

[00:39:45] Jens Bansi: Gerade, wenn ich Einsteiger bin, wenn ich ganz neu reinkomme, oder anders, wenn die Betroffenen zum ersten Mal zu uns kommen, dann kommen sie ja, weil irgendwie was schlechter ist und sich wahrscheinlich über die Zeit aufgebaut hat. Das heißt, da würde ich als Experte antizipieren, dass es wahrscheinlich eine längere Phase der Inaktivität gegeben hat. Und wenn wir die jetzt anfangen, in der stationären Reha, körperlich aktiv aufzubauen, dann machen die innerhalb der ersten Trainingstage einen wahnsinnigen Sprung.

Das heißt, im Bereich der Kraft hat es locker 300, 400 Prozent Kraftzuwächse. Das kann nicht sein, doch, es kann schon sein, weil sie so weit weg vom Referenzwert sind, zu Beginn. Wenn ich jetzt anfange mit der Dosis annähernd an diesem Referenzwert einsteige zu trainieren, dann machen die Muskeln einen wahnsinnigen Sprung. Und wenn ich nicht dranbleibe, dann, ist es zwar ein gutes Gefühl, aber man stagniert eben wieder. Das heißt, gerade so in den ersten Momenten ist es sehr sinnvoll, dass ich den Experten habe, der die Dosis, die Intensitäten anpasst.

Beim Ausdauertraining ist es nicht ganz so rasch, wie beim Krafttraining, da habe ich innerhalb der ersten drei bis fünf Trainingstage einen wahnsinnigen Sprung. Das geht dann wahrscheinlich 10, 14 Trainingstage, bis man merkt, dass man besser durchkommt, besser über die Zeit kommt, dass sich die Widerstände mit viel weniger Aufwand, Herzfrequenz, die sich absenkt, höherer Watt, tieferer Herzschlag, das geht dann so zwei Wochen, 14 Trainingstage. Da ist halt der Coach wichtig, dass er diese Progression aufrecht erhält, dass er die Dosis anpasst, dass er auf dem Rad mit der Wattzahl nach oben geht, dass man das wieder anpasst, in dem Moment.

[00:42:16] Nele Handwerker: Genau. Wir sprechen hier im Zusammenhang mit Progression  natürlich von dem positiven Fortschritt, nur nochmal zur Klarstellung.

[00:42:26] Jens Bansi: Absolut, also ansteigen lassen von einem Widerstand, einfach mit einer höheren Intensität.

Welche Anzeichen sollten darauf hinweisen, dass der Trainingsplan angepasst oder modifiziert werden muss?

[00:42:51] Jens Bansi: Beim Krafttraining kann man das recht gut bildlich darstellen, das heißt, ich sollte 8 bis 10 Wiederholungen machen. Der Klassiker ist das Ganze dann über drei Sätze. Das heißt, ich mache drei Sätze, 8 bis 10 Wiederholungen und nach diesem dritten Satz bin ich ausgeschöpft. Wenn ich einen vierten, fünften Satz dran schieben kann, ist es Zeit eben mit dem Gewicht deutlich nach oben zu gehen. Weil das Ziel wäre, dass ich nach diesem dritten Satz ausgeschöpft bin…

[00:43:15] Nele Handwerker: Ermüdete Muskeln habe, ja.

[00:43:17] Jens Bansi: Weil ich maximal ein, zwei Wiederholungen noch machen kann. Dann wechsle ich die Maschine und mit dem Wechsel der Maschine, wechsle ich die Muskelgruppe und dann wird die nächste Muskelgruppe ausgeschöpft. Oder auf dem Rad, dass ich halt einfach Stunden weiterfahre, dass ich ein, anderthalb, zwei Stunden, einfach weiterfahre, ohne dass ich groß ermüde.

[00:43:52] Nele Handwerker: Moby Dick durchhören kann und nicht müde werde. Da ist was schief gegangen, da habe ich nicht hart genug trainiert.

Mögliche Herausforderungen und Lösungen

Welche Herausforderungen können während des HIIT-Trainings auftreten, bezogen auf MS-Symptome, und wie können diese bewältigt werden?

[00:43:52] Nele Handwerker: Ich hatte Professor Philip Zimmer im Interview und er sagte, am Anfang kann das erst mal kurzzeitig einen negativen Effekt haben, wenn ich stark trainiere, der dann relativ schnell weg ist.

[00:44:22] Jens Bansi: Ja, das ist bei uns allen so. Das heißt, actio est reactio, wenn ich einen Reiz setze, dann ist klar, dass dieser Reiz eben eine Folge, ein Ergebnis produziert. Das heißt, wenn ich Trainings-Einsteigerin, Trainings-Einsteiger bin und ich mache diese 8 bis 10 Wiederholungen oder ich fahre auf einmal eine Stunde auf dem Hometrainer und ich bin es nicht gewohnt, dann kriegt das System natürlich auf allen Ebenen muskulär immunologischerseits einen wahnsinnigen Reiz zugeführt, der auch ein riesiges Echo hat, weil das System noch nicht gelernt hat mit diesen Reizen umzugehen.

Das heißt im Anschluss an das Training habe ich ein Portfolio an Symptomen, die ganz individuell sein können und die vorübergehend subjektiv mein Empfinden negativ beeinflussen. Das kann dann wirklich bis hin zu 15 Minuten einfach nicht gehen können oder dass ich wirklich so taktisch zittrig laufe. Manche sagen, sie haben so Ameisenlaufen, ein Surren in den Muskeln, aber das Ganze ist vorübergehend. Spätestens nach 20, 30 Minuten, wenn man dann in die Pause geht, sich regeneriert, merkt man, dass das System wieder ins Gleichgewicht kommt. Und dann habe ich ein Fenster ab einer Stunde nach der Belastung, wo es sogar deutlich besser geht und wo die Betroffenen berichten, dass die Gehfähigkeit sich subjektiv deutlich verändert, positiv verändert und dass es besser geht. Das sind 60 bis 90 Minuten und spätestens nach 90 Minuten, ist es wieder normal. Dann ist es wieder genauso wie vorher, je trainierter, je fitter, je belastungstoleranter ich werde, desto besser verarbeitet das System dieses Echo.

Dann merke ich nach 10 Trainingstagen, dass das Gehen sich nicht mehr verschlechtert. Dass das Surren zwar noch da ist, aber nicht mehr in dem Maße so wie zu Beginn des Trainings und dann merke ich, oha, es verändert sich was. Das sind dann diese Trainingseffekte, wo ich merke, dass ich belastungstoleranter werde. Wo es mehr braucht, bis das System wieder in diesen Zustand gebracht wird. Aber es braucht halt viel mehr Reiz. Der kann auch mental sein, dass ich durch das Training die Woche viel besser durchstehe, dass ich auf der Arbeit präsenter, fokussierter bin. Also das hat auf verschiedenen Ebenen Auswirkungen dieser Trainingseffekte.

[00:47:23] Nele Handwerker: Genau, falls du also da draußen gut befreundet mit deinem inneren Schweinehund bist, hör ihm nicht zu, wenn er dir erzählen will, siehst du, hättest du mal besser nicht trainiert, jetzt geht es dir schlecht. Es braucht einfach einen relativ kurzen Moment, ich meine 10 Trainingstage und dann geht es mir schon ein ganzes Stück besser. Dann habe ich nicht mehr mit diesem, vielleicht kurzzeitig Uhthoff-Phänomenen zu tun, das sich meine Symptome temporär schlechter anfühlen. Also bitte, bitte, bitte höre auf diesen Schweinehund nicht, trainiere weiter und dann wird der Schweinehund auch immer kleiner und immer leiser. Dann hat er nämlich nicht mehr viele Argumente.

Gibt es Gründe bei denen HIIT möglicherweise nicht oder nicht mehr ratsam ist?

[00:48:05] Jens Bansi: Also sobald ich kardial eingeschränkt bin, wenn ich kardiovaskuläre oder kardiopulmonale Risikofaktoren habe, dann muss das medizinisch abgeklärt sein, dass ich medizinisch das Okay bekomme, dass ich das mache. Genauso wie mit Orthopädischem. Wenn ich frisch operiert bin, neues Kniegelenk oder Hüftgelenk bekommen habe, dann sollte ich nicht innerhalb der ersten 10 Tage nach der OP sofort auf das Rad gehen. Denn wenn da ein Belastungslimit von dem Operateur drin ist, muss ich natürlich dieses Limit einhalten. Aber das ist ja klar, genauso wie bei der Herzdiagnose. Und dann gehe ich davon aus, dass die Betroffenen kardiovaskulär gesund sind und dann gibt es eigentlich keine Einschränkungen.

[00:49:10] Nele Handwerker: Genau und das ist ja auch total reizvoll, wenn man es schafft kardiovaskuläre Probleme zu verhindern. Denn dann hat man deutlich mehr Optionen. Wie es immer so schön heißt, die Komorbiditäten. Also ich möchte, wenn ich MS habe, möglichst nicht noch irgendeine andere Erkrankung dazu bekommen und da kann Sport total gut dabei helfen.

Langfristige Perspektive und Lebensqualität

Wie kann regelmäßiges HIIT-Training dazu beitragen, die Lebensqualität von MS-Patienten langfristig zu verbessern?

[00:49:46] Jens Bansi: Also das eine ist, wenn ich es schaffe, 10, 15 Minuten spazieren zu gehen, dann werde ich sofort einen Einfluss auf die Emotionen haben. Das heißt, ich werde mich einfach besser fühlen. Je besser ich mich fühle, desto mehr Vertrauen bekomme ich in meine Struktur, dass diese Struktur auch belastungstolerant ist, desto eher werde ich durchhalten. Der Kopf spielt eine wichtige Rolle. Wenn der Kopf da ist und wenn ich das Vertrauen habe, dann muss ich gar nicht so trainiert sein und werde es trotzdem schaffen, 40, 42 Kilometer dann eben durchzufahren, einen Marathon zu laufen. Weil das dann vom Kopf abhängt.

Die Belastungstoleranz und das Vertrauen in die körperlichen Strukturen, die ist immens wichtig. Da wird ein regelmäßiges Training dieses Vertrauen sicher steigern. Ich bin immer ein bisschen vorsichtig mit dem HIT, weil das Fahren am Limit wirklich schwierig ist. Und dass man das eher runterbricht auf ein regelmäßiges körperlich aktiv sein, was ich über 150 Minuten pro Woche einbaue, um eine gewisse Regelmäßigkeit reinzubekommen. Dann werde ich ganz viele von diesen positiven Effekten merken.

[00:51:26] Nele Handwerker: Sehr gut. Jetzt war ich bisher erst einmal bei einer Reha. Das war keine MS-spezialisierte Klinik, aber eine für neurologische Erkrankungen und sie konnten meine Tochter in Corona-Zeiten mit betreuen. Sehr überzeugt, sagte die Ernährungsberaterin, dass die Ernährung so viel wichtiger ist als der Sport. Du bist natürlich auch voreingenommen, für deiner Perspektive, aber kannst du kurz sagen, wie du die körperliche Aktivität in den umfassenden Ansatz zur Bewältigung oder zum Leben mit einer MS einordnen würdest

Welche Rolle spielt Sport in einem umfassenden Ansatz zur Bewältigung von Multipler Sklerose?

[00:52:00] Jens Bansi: Ich meine, ich würde es nicht ganz so dogmatisch sagen, wie diese Ernährungsberaterin, aber irgendwo hat sie schon recht. Der Lebensstil beinhaltet neben der körperlichen Aktivität auch die Ernährung. Aber da gilt dasselbe, es muss pragmatisch sein. Jetzt hat es so viele Diäten und es macht sicher keinen Sinn, die MS-Betroffenen durch die Stadt zu hetzen, weil es am Nordende von Dresden diesen Laden gibt, wo ich diese paläontologischen Steinzeitprodukte bekomme. Das macht keinen Sinn, weil ich dann einen riesigen Aufwand habe, da muss ich in den öffentlichen Nahverkehr, ich muss hinfahren, um diese Produkte zu holen.

Die Literatur ist sich da wenig uneins, aber wo sie sich einig ist, wenn ich es schaffe, diese mediterrane Diät aufrechtzuerhalten und mediterran bedeutet, alles ist frisch, hochwertige Öle, wie zum Beispiel natives Olivenöl, wenig rotes Fleisch, sondern wenn ich Fleisch konsumiere, dann Huhn oder noch besser Fisch. Einmal in der Woche genehmigt die mediterrane Diät auch rohes Fleisch. Und der Vorteil von dieser mediterranen Diät ist eben diese eine Alkoholeinheit, ich darf auch ein Glas Rotwein, ein Glas Weißwein und ein Bier trinken. Das heißt, die lässt auch deutlich mehr Genuss zu, als diese dogmatischen Steinzeit-Diäten und was das nicht alles hat. Und Intervallfasten, ich hungere mich irgendwie gesund, das… Come on, das Leben muss ja auch irgendwo ein bisschen Freude machen. Da zeigt die Literatur aber, dass die mediterrane Diät wirklich einen deutlichen Vorteil hat und nicht viel schlechter wirkt als das Intervallfasten und/oder paläontologisch.

Wenn ich das einbaue, meine Diät ein bisschen umstelle, weniger Fleisch, mehr frische Gemüseprodukte, wenn Fleisch, dann Fisch und dazu noch körperlich aktiv sein, ich glaube, dann mache ich so viel richtig, zumindest gemäß der WHO, und da werde ich so viele Effekte innerhalb von 10 Tagen merken, dass es mir deutlich besser geht. Genau. So müsste es sein und das ist auch realistisch, das umzusetzen.

[00:54:39] Nele Handwerker: Genau, das kann man auch länger durchhalten, nicht bloß mal kurzzeitig, wie diese speziellen Diäten. Und vor allen Dingen, das sind Sachen, die kann ich machen. Persönlich nehme ich auch meine Immuntherapie, aber ich versuche auch in meinem Lebenswandel die Sachen umzusetzen, die sinnvoll sind und mich aber nicht so zu stressen, dass es mich dann schon wieder nervt und ich damit aufhöre.

Blitzlicht-Runde

Vervollständige den Satz: „Für mich ist die Multiple Sklerose…“

[00:55:09] Jens Bansi: Für mich ist…. eine Erkrankung mit vielen Symptomen, die aber am Ende des Tages doch sehr gut handle-bar ist.

Welchen Durchbruch in der Forschung und/oder Behandlung der Multiplen Sklerose wünschst du dir in den kommenden 5 Jahren?

[00:55:29] Jens Bansi: dass man es unter Umständen schafft, mit diesen mRNA-Impfungen für die neue Generation an Betroffenen eine Impfung hinzukriegen.

[00:55:51] Nele Handwerker: Das wäre schön, ja.

[00:55:52] Jens Bansi: Dass ich die MS quasi wegimpfe und die Kinder oder die Babys, die Jugendlichen, impfen kann. Und dass die heranwachsende Generation, irgendwann MS-frei ist, in den nächsten zehn Jahren.

Welche Internet-Seite kannst du zum Thema MS empfehlen?

[00:56:11] Jens Bansi: Da würde ich jetzt, wenn wir in der Schweiz wären, sofort auf die Schweizerische MS-Gesellschaft verweisen, die wirklich top Sachen anbietet, von Beratungen und ich gehe mal davon aus, dass die deutsche MS-Gesellschaft das ähnlich macht. Gerade in dem finanziellen Support hat die wirklich super Beratungen, wo man auch anonym anrufen und sich beraten lassen kann.

[00:56:51] Nele Handwerker: Beide Patientenorganisationen sind gut, ich gucke da auch öfter nach. Die Schweizer mag ich auch, sind gut strukturiert.

Verabschiedung

Möchtest du den Hörerinnen und Hörern noch etwas mit auf dem Weg geben?

[00:57:08] Jens Bansi: Ja, bleiben Sie aktiv, bleiben Sie fokussiert und interessiert, so bleiben wir dann alle für immer 31.

[00:57:27] Nele Handwerker: Naja, ich bin schon 43, aber okay. Ja, aber auf jeden Fall, ich mache relativ viel Sport und verhalte mich gesund, insofern hat es sozusagen mit der späten Mutterschaft noch geklappt und alle Tests haben auch gezeigt, bisher ist alles super mit dem Kind, also sind ja auch schöne Effekte.

Wo findet man dich und deine wissenschaftlichen Arbeiten im Internet?

[00:57:45] Jens Bansi: Ja, man kann einfach Vorname, Nachname oder Nachname, Vorname such und wenn man das dann noch mit Kliniken Valens verbindet, da wird man wahrscheinlich recht viel finden über mich.

[00:57:56] Nele Handwerker: Sehr schön, wunderbar. Lieber Jens, ich danke dir. Vielen Dank für all das, was du herausgefunden hast, wie du Leuten natürlich vor Ort hilfst und dass du mein Gast warst. Viele Grüße in die schöne Schweiz und danke für das motivierende Interview zum Thema Macht mehr Sport, bewegt euch.

[00:58:29] Jens Bansi: Danke dir, Nele. Man kann mich auch persönlich Jens.Bansi[at]Kliniken-Valens.ch anmailen, wenn Fragen unter den Fingernägeln brennen, einfach frech bei mir sehr gerne melden. Ja, wirklich, es hat mich wahnsinnig gefreut, dass ich hier um meine Erfahrungen berichten und kundtun konnte. Danke dir nochmal für die Einladung.

[00:58:47] Nele Handwerker: Sehr gerne. Und deine E-Mail packe ich auch rein, haha. Damit die Leute gar nicht erst suchen müssen, sondern es ganz einfach geht. Danke, Tschüss.

[00:58:56] Jens Bansi: Prima, danke.

Jens Bansi

Bis bald und mach das Beste aus Deinem Leben,
Nele

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Nele Handwerker

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